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Studie: "Volkscharakter" meist soziale Konstruktionen  
  Nach gängigen Klischees sollen Deutsche fleißig und Italiener heißblütig sein. Nun haben Wissenschaftler in einer weltweit einzigartigen Studie nach dem berühmten Körnchen Wahrheit solcher Stereotypen geforscht. Ergebnis: "Nationale Klischees spiegeln nicht wirklich die einzelnen Persönlichkeiten in diesen Ländern wider."  
Übrigens, kulturelle Nähe führt zu ähnlichen Einschätzungen. Dies gilt laut der Studie auch für Österreich und Deutschland.
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Die Studie "National Character Does Not Reflect Mean Personality Trait Levels in 49 Cultures", die durch die Zusammenarbeit zahlreicher Teams unter der Federführung von Antonio Terracciano entstanden ist, wurde am 7. Oktober 2005 in "Science" veröffentlicht (Band 310, S. 96-100, DOI:10.1126/science.1117199).
->   Zur Originalstudie (kostenpflichtig)
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Bisher ungeeignete Kriterien
Bisher habe es mangels geeigneter Kriterien nur wenige Versuche gegeben, die Richtigkeit von nationalen Klischees zu überprüfen, schreibt ein großes internationales Team um den US- Forscher Antonio Terracciano vom National Institute on Aging in Baltimore (US-Bundesstaat Maryland).
Italiener: "Playboyhaftes Auftreten vor Frauen"
Die Forscher fanden zum Beispiel keine Bestätigung der Klischeevorstellungen von Italienern.

Auch andere Untersuchungen stellten jüngst bereits fest: Italiener sind keine Machos, sie fühlten sich Frauen nicht überlegen. Nur beim Punkt "playboyhaftes Auftreten vor Frauen" räumen viele Italiener ein, dies treffe auf sie zu.
"Nationalcharakter" aus begründeten Stereotypen
Die Autoren: "Der 'Nationalcharakter' besteht offenbar aus unbegründeten Stereotypen, die vor allem der Wahrung der nationalen Identität dienen dürfte. (...) Dieser 'Nationalcharakter' hat aber auch eine dunkle Seite.

Wenn die Stereotypen für Nationen oder ethnische Gruppen negativ sind, können sie zu Vorurteilen, Diskriminierung und Verfolgung führen. Die Geschichte ist voll solcher tragischer Beispiele."
Verbundene Kulturen, ähnliche Persönlichkeitsprofile
Nicht überraschend nennen es die Forscher, dass sich Australier als extrovertiert betrachten, dass Deutsche und deutschsprachige Schweizer glauben, sie seien besonders pflichtbewusst und dass sich Kanadier als liebenswürdig beschreiben.

Schließlich zeigten geographisch und historisch verbundene Kulturen wie Deutschland und Österreich oder die USA und Kanada ähnliche Persönlichkeitsprofile.
Geschlechterklischees haben biologische Grundlage
Außerdem scheinen auch Geschlechterklischees - Frauen sind warmherzig, Männer durchsetzungsfähig -, die sich rund um den Globus halten, eine Grundlage in den Eigenschaften der einzelnen Menschen zu haben, wie es heißt.

Diese neue Studie steht damit im Gegensatz zu einer kürzlich veröffentlichten Analyse psychologischer Publikationen und der Darstellung der Geschlechter in den Medien.
->   Von wegen Mars und Venus: Frauen und Männer denken ähnlich (19.9.05)
Umfrage unter 4.000 Menschen aus 49 Staaten
Der Untersuchung lagen drei verschiedene Umfragen mit fast 4.000 Teilnehmern in 49 Staaten und Regionen zu Grunde.

Dabei wurden die Menschen nach Persönlichkeitsmerkmalen wie Experimentierfreude, Pflichtgefühl oder Offenheit gefragt.

Sie sollten sich selbst sowie Freunde und schließlich einen "typischen Menschen ihrer Kultur" bewerten.
Volkscharakter als soziale Konstruktion
Ergebnis: Die beiden ersten Erhebungen - Selbsteinschätzung und Angaben zu Freunden - entsprachen sich weitgehend, wichen aber stark von der dritten Untersuchung zur allgemeinen Wahrnehmung eines Volkscharakters ab.

Der so genannte Volkscharakter könnte demnach vor allem eine soziale Konstruktion sein, folgern die Autoren: "Die Klischees werden kulturelle Phänomene, übermittelt durch Medien, Hörensagen, Erziehung, Geschichte und Witze."

[science.ORF.at/APA/dpa, 7.10.05]
Mehr über Stereotypen in science.ORF.at:
->   Gender und Genre: Geschlechter-Stereotype im Film (20.12.04)
->   Stereotype beeinflussen Wahrnehmung von Studien (7.9.04)
->   Rassismus: Keine Frage der Wahrnehmung (12.12.02)
 
 
 
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01.01.2010