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"Spam & Co": Wie sich neue Begriffe durchsetzen  
  "BSE-Krise", "Alcopops", "googeln" und "Ich-AG": Jedes Jahr bekommt unsere Sprache Zuwachs durch neue Begriffe. Französische Computerwissenschaftler haben nun ein Modell entwickelt, mit dem sich die Verbreitung völlig neuer Wörter nachvollziehen lässt.  
Linguisten glauben, dass man damit auch etwas über die Entstehung des Vokabulars menschlicher Ursprachen lernen kann.
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Die Studie "Sharp Transition towards Shared Vocabularies in Multi-Agent Systems" von A. Baronchelli et al. erschien am Preprintserver "arXiv".
->   Zur Studie
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Die Geschichte von "Spam"
Bild: dpa
Als unerwünschte E-Mails in der Welt des Internet auftauchten, hatte man für dieses Phänomen ursprünglich verschiedene Bezeichnungen, wie etwa Junk-E-Mail oder unerbetene E-Mail. Irgendwann setzte sich jedoch der Begriff "Spam" dafür durch.

Dieser Prozess passiert jedes Mal, wenn neue Dinge mit einem Namen ausgestattet werden. Linguisten scheiterten allerdings bis jetzt daran, ein Modell dieses Vorgangs ohne zentralen Entscheidungsträger zu entwickeln.
->   Spam - Wikipedia
Neues Modell: "naming game"
Nun ist es erstmals gelungen, diesen Prozess durch ein Computermodell abzubilden. Das Besondere daran: Das Programm könnte auch Einsichten in die Entstehung der ersten Sprachen geben.

Luc Steels und seine Kollegen vom Sony Science Laboratory in Paris untersuchten das "naming game" - ein einfaches Computermodell, das die Erfindung und den Gebrauch von neuen Namen beschreibt. In diesem Spiel gibt es eine Reihe von Personen, die mit verschiedenen Objekten in einer virtuellen Umwelt leben.
Zufällige Bezeichnung von Objekten
Die Personen kreieren zufällige Bezeichnungen für die Objekte, treten dann in Paaren zusammen und versuchen über die Objekte zu sprechen. In jeder Interaktion nennt der Sprecher seine Bezeichnung für ein Ding, während die zweite Person zuhört.

Wenn der Zuhörer das Wort nicht erkennt, dann merkt er sich dieses als mögliche Bezeichnung für das betreffende Objekt. Versteht er es hingegen, dann verwerfen sowohl er als auch der Sprecher sämtliche alternativen Begriffe, die sie bisher gehört oder gebildet haben.
->   The Naming Game
Zahl der Begriffe bleibt begrenzt
Die vielfache Wiederholung dieses Prozesses spiegelt nach Steels und Mitarbeitern die Erfindung und den Gebrauch neuer Worte wider: Permanent werden neue Begriffe erfunden, in Verwendung bleiben allerdings nur jene, die von anderen verstanden werden. Somit bleibt auch die Zahl der vorhandenen Begriffe klar begrenzt.

Die Simulationen zeigten, dass damit das Auftauchen eines neuen Vokabulars beschrieben werden kann. Sie zeigten außerdem, dass in diesem Modell jedes Objekt langfristig nur durch ein Wort bezeichnet wird.

"Das Modell ist so einfach wie möglich", betont Steels gegenüber dem Magazin "New Scientist", "aber es enthält die entscheidenden Zutaten, mit denen eine Bevölkerung ein wirksames Kommunikationssystem entwickelt."
Ähnlicher Prozess bei Ursprachen
Könnte ein ähnlicher Prozess bei der historischen Entstehung menschlicher Sprachen im Spiel gewesen sein? "Absolut", meinte der Linguist James Hurford von der University of Edinburgh.

Er weist allerdings darauf hin, dass die menschliche Sprache neben verbreiteten Worten auch reichhaltigere Strukturen - wie etwa Grammatik - benötigt. Und deren Auftreten könne das "naming game" noch nicht erklären.
Auf der Suche nach Grammatik
Zur Zeit versuchen Steel und Mitarbeiter komplexere Versionen des Modells zu entwickeln, mit denen auch die Evolution von Grammatiken dargestellt werden kann.

Sie sehen darüber hinaus auch Anwendungen im Bereich der Computerindustrie: Z.B. müssen Programmierer gegenwärtig Standards entwickeln, sodass kommerzielle oder wissenschaftliche Datenbanken miteinander effizient kommunizieren.

Mit dem Modell von Steel und Kollegen könnte es möglich sein, Computer eigenständig kommunizieren zu lassen, indem sie ihre eigene Sprache entwickeln.

[science.ORF.at, 12.10.05]
->   Sony Science Laboratory Paris
->   New Scientist
 
 
 
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01.01.2010