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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
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Creative Access: Zukunft des Wissens  
  Ausgehend von den USA hat die Open-Access-Bewegung grundsätzliche Fragen zur Zukunft der digitalen Informationsgesellschaft aufgeworfen. Freier Zugang alleine wird für die demokratische Nutzung von Wissen aber nicht reichen, meint der Historiker Oliver Rathkolb anlässlich einer Tagung in Wien.  
Strategien gegen das "schwarze Loch" der digitalen Informationsgesellschaft
Von Oliver Rathkolb

Österreich rangierte 2002 im International Telecommunication Index hinsichtlich möglichst kostengünstiger Zugänge zu digitalem Wissen für die Bereiche Gesundheit, Arbeit und Erziehung unter 178 Staaten auf Platz 16.

Österreich war somit deutlich schlechter positioniert als in Rankings, die sich am "Reichtum" pro Kopf der Bevölkerung orientieren, es lag aber noch vor Deutschland, Australien und Belgien; erst gereiht waren Schweden, Dänemark und Island.
->   International Telecommunication Index
Welches Wissen ist verfügbar?
Kaum in der Öffentlichkeit thematisiert wird aber die Frage, welches Wissen aus der wissenschaftliche Produktion überhaupt in digitaler Form verfügbar gemacht wird und unter welchen Bedingungen dieses Wissensangebot zugänglich gemacht wird.

Sind es Marktinteressen, die von vornherein die Auswahl zur Digitalisierung bestimmen und damit letztlich die breite Wissensrezeption steuern und kontrollieren, oder sind es mittel- und langfristige wissenschaftliche Kategorien und Zielsetzungen, die die Digitalisierung bestimmen?

Verfügen WissenschaftlerInnen über genügend "digitale Kreativität", um die theoretisch grenzenlosen Möglichkeiten des World Wide Webs zur globalen Wissensverbreitung und Wissenskommunikation zu nützen oder sind sie längst Manövriermasse kommerzieller Interessen geworden, die trotz dem scheinbar unbeschränkten digitalen Zugang letztlich essentielle Wissensbausteine nur gegen hohe Gebühren erschließen und teilweise unüberwindbare Barrieren aufbauen.
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Tagung in Wien
Das Demokratiezentrum Wien veranstaltete am 21./22. Oktober 2005 in Kooperation mit den Büchereien Wien als Teil eines vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds beauftragten Projekts über Creative Access eine internationale Tagung, die sich mit derartigen grundsätzlichen Fragen auseinandersetzen wird.

Ort: Hauptbücherei Wien, Urban-Loritz-Platz 2a, A-1070 Wien
Zeit: 21./22. Oktober 2005
->   Die Tagung: "Open Access to Digital Archives and the Open Knowledge Society"
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Intensive Debatte zu Open Access
Ausgehend von der Open-Access-Bewegung in den USA hat in den letzten Jahren auch in Europa eine intensive wissenschaftliche und politische Debatte über den freien Zugang zu digitalem Wissen eingesetzt.

Darunter wird jenes Wissen verstanden, das in elektronischer Form vorliegt, also etwa digitale Textdokumente, Musikdateien, digitale Fotos und Videos usw.

Das Prinzip des offenen Zugangs wird als Gegenpol zur zunehmenden Ökonomisierung und zu den strengen Copyrightbestimmungen gesehen.
Kommerzialisierung braucht Grenzen
Grundtenor dieser Bewegung ist es, dass zwar die kommerzielle Verwertung des digitalen Wissens prinzipiell möglich bleiben soll, dass es aber auch Grenzen der Kommerzialisierung geben muss, um sicherzustellen, dass auf dem Wissen der Menschheit zum Wohle aller aufgebaut werden kann.

Im Rahmen der Konferenz soll diese für die Zukunft der Wissensgesellschaft wichtige Debatte weitergeführt werden.

Aus verschiedenen Blickwinkeln werden daher einerseits die in diesem Zusammenhang entwickelten Modelle und Strategien (z.B. Creative Commons, Wikipedia, Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen) und andererseits grundlegende Probleme (wie Urheberrechtsbestimmungen und die Umgehungsstrategien in der Praxis) erörtert.
Auf der Suche nach konkreten Strategien
Ziel der Konferenz ist es, den öffentlichen und wissenschaftlichen Open-Access-Diskurs mit konkreten Vorschlägen und Strategien zur Realisierung des freien Zugangs zu digitalem Wissen zu bereichern und damit eine Verbreiterung der internationalen Debatte und Schärfung des öffentlichen Bewusstseins in der Frage des freien Zugangs zu digitalem Wissen zu erreichen.

Dies soll dazu beitragen, die wachsenden Zugangsbeschränkungen und die digitale Spaltung zu überwinden, die heute bereits zwischen Nord und Süd besteht und auch zwischen den USA und Europa zu entstehen droht, wenn nicht rechtzeitig auf die aktuelle Entwicklung reagiert wird.
Europäische Digitalisierungsoffensive
Am 29. September 2005 hat Viviane Reding, EU Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien, auf einer Konferenz der Europäischen Nationalbibliotheken in Luxemburg eine neue Digitalisierungsoffensive angekündet.

Die mehr als 2,5 Milliarden Bücher und Zeitschriften in den Bibliotheken des EU-Raums und Millionen Stunden Video- und Filmaufnahmen sollen stärker als bisher in einer gemeinsamen europäischen und netzwerkartigen Kraftanstrengung ohne jede Beschränkung öffentlich im Internet zugänglich zu machen.
->   Presseaussendung von Viviane Reding
Gegenprojekt zur Google Library Project
Damit wurde bewusst das bereits vor dem Sommer angekündigte Gegenprojekt der EU zu der Google-Initiative politisch konkreter vorgestellt.

Zwischen Oktober und Dezember 2004 hatten Google Print, Google Scholar und zuletzt mit einem Großprogramm das Google Library Project angekündigt, 15 Millionen Bücher zu digitalisieren - gleich ob noch ein Copyright der AutorInnen besteht oder nicht - und eine Kurzfassung online zu publizieren.
->   Google Library Project
Strittige Copyrightfragen
Unklar ist, welche Bücher ausgesucht werden sollen und wie mit den Copyrightansprüchen umgegangen wird. Inzwischen sind bereits eine Reihe von Klagen anhängig, da es für viele lebende AutorInnen nicht akzeptabel ist, dass ihre Werke im Internet (zumindest im Kurzauszug) frei zugänglich sind, während ihnen im Gegenzug dazu - falls ihre Bücher überhaupt noch lieferbar sind - lediglich angeboten wird, diese via Amazon online zu verkaufen.

Wohl haben die AutorInnen die Möglichkeit, den online gebrachten "Apetizer" ihres Werkes aus dem Netz nehmen zu lassen, sie werden aber nicht vorher um ihre Zustimmung gefragt.

Inzwischen hat auch der Konkurrent Yahoo mit einer "Open Content Alliance" nachgezogen - deutlich kleiner dimensioniert und rechtlich vorsichtig positioniert während Google im August 2005 einen vorläufigen Digitalisierungsstop eingelegt hat.
->   Open Content Alliance
USA verlängerten Fristen - zur Freude von Mickey Mouse
Die EU hingegen wird die Copyrightfrage ganz bewusst in das Zentrum ihrer Digitalisierungsstrategie stellen, d.h. dass mit Werken begonnen wird, die vor mehr als 70 Jahren seit dem Tod der AutorInnen veröffentlicht wurden.

Die Interessen von AutorInnen und deren Erben werden aber letztlich von Firmeninteressen noch überlagert. Dies zeigt sich sehr deutlich an der Legislative in den USA, wo 1998 der US-Kongress die Copyrightfristen für künstlerische Werke verlängert hat und dies 2003 auch vom Supreme Court bestätigt wurde: Bei Einzelpersonen von 50 auf 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers/der Urheberin und auf 95 Jahre für Unternehmen.

2003 wäre sonst beispielsweise der Copyrightschutz für die Ikone der US-Unterhaltungsindustrie, Mickey Mouse, abgelaufen - mit Finanzeinbussen für den Disney-Konzern.
Eine Frage der politischen Deutungsmacht
Neben den massiven ökonomischen Interessen geht es aber letztlich um die Frage der kulturellen und politischen Deutungsmacht - letztlich wird in der digitalen Wissensgesellschaft nur das auch digital zugängliche kulturelle Erbe mittel- und langfristig überhaupt wahrgenommen werden.

Jean-Noel Jeanneney, Leiter der französischen Nationalbibliothek, befürchtete in "Le Monde", dass allein die USA darüber entscheiden werden, "welches Bild zukünftige Generationen von der Welt haben werden".

Letztlich ist diese Auseinandersetzung über den digitalen Zugang zu Wissen auch eine Werteauseinandersetzung. Eine gesellschaftspolitische Diskussion darüber ist notwendig - auch in Österreich.

[14.10.05]
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Über den Autor
Oliver Rathkolb ist Zeithistoriker und Leiter des Ludwig Boltzmannn Instituts für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit. Kultur-, Demokratie- und Meidenstudien.
->   Oliver Rathkolb (Uni Wien)
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Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   FWF: Freier Zugang zu Forschungsergebnissen (17.6.05)
->   Open Access - Wissenschaft zur freien Entnahme (16.6.05)
->   Michael Nentwich: Plädoyer für "Open Access" in der Wissenschaft (15.6.05)
 
 
 
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01.01.2010