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New Orleans: Kultur und Identität nach dem Hurrikan  
  Ende August verwüstete der Hurrikan Katrina New Orleans. Zwei Monate später berichtet Günter Bischof, seit Jahren Geschichtsprofessor an der University of New Orleans, in einem Gastbeitrag vom Überleben von Kultur und Identität in der Mississippi-Metropole. Die Situation ist jener nicht unähnlich, die es in Österreich vor 50 Jahren gab.  
Zwei Monate danach
Von Günter Bischof

Am 26. Oktober 1955, vor bald 50 Jahren, wurde das Neutralitätsgesetz verabschiedet, das Österreichs wieder gewonnene Freiheit besiegelte. Dieser Staatsakt war umrahmt von der Wiedereröffnung der wichtigsten Hochkultureinrichtungen des Landes.

Am 15. Oktober spielte das neu eröffnete Burgtheater Grillparzers "König Ottokar", am 5. November wurde die Staatoper feierlich mit Beethovens "Fidelio" wiedereröffnet. Dies waren zentrale Ereignisse, die den Abschluss des zehnjährigen kulturellen Wiederaufbaus Österreichs aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges signalisierten.

Die Wiederaufnahme des Salzburger Festspielbetriebs und der Wiederaufbau dieser Wiener Ringstraße-Prachtbauten dienten auch der Festigung der österreichischen Identität.
Gesamtzustand der Kultursymbole ...
Hurricane "Katrina" hinterließ jüngst die amerikanische Kultur- und Jazzmetropole New Orleans auch in Trümmern wie nach einem Krieg. Das Gesamtbild der einzigartigen New Orleanser Kultursymbole wird jeden Tag klarer.

Im "New Orleans Museum of Art" im City Park harrten Beamte durch den Sturm aus und schützten so die Schätze des Museums, während der Herr Direktor in Maine auf Urlaub war. Lediglich einige im Keller des Museums gelagerte japanische Drucke wurden beschädigt.
... wird jeden Tag klarer
Die Skulpturen von Henry Moore und vielen anderen weltbekannten Künstlern im wunderschönen "Skulpturgarten" wurden abgebaut und im Haus gelagert. Nur eine Statue wurde zerstört.

Das Dach des Jazzmuseums im Gebäude des U.S. Mint wurde weggeblasen, jedoch wenige Ausstellungsstücke beschädigt. Eine Originaltrompete vom berühmtesten Sohn der Stadt Louis Armstrong konnte auch in Sicherheit gebracht werden.
Tagung zum Zweiten Weltkrieg verschoben
Auch das inzwischen weltbekannten "D-Day Museum", das nationale amerikanische Museum zum 2. Weltkrieg, ist betroffen. Dort sind Plünderer eingedrungen und haben im Erdgeschoss gewütet. Die Ausstellungen und Sammlungen in den oberen Stockwerken wurden nicht getroffen. Auch hier kamen die Militärs zwei Tage zu spät.

Die große Tagung zum Zweiten Weltkrieg, die im Oktober im inzwischen verwüsteten Kongresszentrum hätte stattfinden sollen, ist aufs Frühjahr verschoben worden. Das neue "Ogden Museum of Southern Art" neben dem D-Day Museum trug keine Schäden davon; im "Contemporary Arts Center" wurden Fenster eingedrückt.
Alte Operntradition
New Orleans hat die älteste Operntradition in den USA. Dort werden seit 1796 ununterbrochen Opern aufgeführt. Das "Mahalia Jackson Theater for the Performing Arts" im Armstrong Park, wo die Opernvorstellungen stattfinden, wurde ebenfalls nicht so arg in Mitleidenschaft gezogen; lediglich in den Orchestergraben drang Wasser ein und beschädigte wahrscheinlich auch hydraulische Anlagen.

Verdis "Othello", eine Oper die ironischerweise mit einem Hurricane beginnt, hätte im Oktober die Saison eröffnen sollen. Die Herbstsaison mit "Othello" und Mozart "Hochzeit des Figaro", dessen leichte Komödie den New Orleanser gut getan hätte, sind sprichwörtlich ins Wasser gefallen.

Die Oper soll im Februar mit einer Gala wiedereröffnet werden. Einigen der kleineren Theaterbühnen ging es nicht so gut.
Zootiere gestorben, Filmindustrie evakuiert
Im Aquarium sind 700 Tiere wegen Sauerstoffmangel gestorben, weil den Generatoren der Brennstoff ausging. Einige zähe Penguine konnten gerettet werden. Den Tieren im New Orleanser Audubon Zoo, einem der besten Zoos der USA, soll es besser gegangen sein.

Die Filmindustrie, die wegen staatlicher Steuereinsparungen New Orleans in den letzten Jahren zu einem Mekka amerikanischer Filmproduktion hat werden lassen, ist im Moment nach Shreveport in Nordlouisiana exiliert worden.
Exodus der Musiker
Die einzigartige Gemeinde von New Orleans Musikern ist über das gesamte Land verstreut, die "Neville Brothers" sind bereits in der Musikmetropole Nashville tätig. Fats Domino musste aus seinem überschwemmten Haus im 9. Bezirk gerettet werden und ein Heim voller Jazz Memorabilia zurücklassen.

Clarence "Gatemouth" Brown, ebenfalls eine New Orleans Musiklegende, ist in seine Geburtsstadt Orange in Texas geflüchtet. Er ist dort vor einem Monat an Lungenkrebs gestorben. Da war wohl auch der Trennungsschmerz von seinem geliebten New Orleans mit dabei - sein Haus in Slidell wurde von Katrina zerstört.
Über den ganzen Süden verstreut
In New Orleans gibt es seit 1805 regelmäßig Aufführungen klassischer Musik. Die Musiker des "Louisiana Philharmonic Orchestra" (LPO), das einzige Orchester, das im Besitz der Künstler ist und dessen künstlerischer Direktor bis vor kurzem der Deutsche Klaus Seibel war, sind über den ganzen Süden verstreut.

Man hofft aber das Orchester über Baton Rouge wiederaufzubauen. Der Mexikaner Carlos Miguel Prieto, der neue künstlerische Leiter soll 2006 mit seiner Arbeit beginnen.
Benefizkonzert - auch mit den Wienern?
Am 4. Oktober hat das LPO zusammen mit der Nashville Symphony ein Benefizkonzert in Nashville gegeben, das national über Radio ausgestrahlt wurde. Man hofft, im März mit einem Galakonzert zusammen mit dem bekannten Jazzer Branford Marsalis den Spielplan wieder aufzunehmen.

Das LPO wird auch für die Opernsaison in New Orleans gebraucht. Vielleicht sollte man in der Zukunft auch die Wiener Philharmoniker mal zu einem Benefizkonzert ins wunderschöne alten "Orpheum" einladen.
Von Paul Simon ...
Seit "Katrina" wird ein Benefizveranstaltung nach dem anderen für die Opfer von "Katrina" abgehalten. Bei einem großen "Fundraiser" im Fernsehen bettelten viele Stars fürs Rote Kreuz um Spenden.

Paul Simon trieb einem die Tränen in die Augen mit seiner Version von "Come on take me to the Mardi Gras", - "wo die Stadt voller Musik ist".
... bis Arlo Guthrie
Aus Chicago kommt die Nachricht, dass der bekannte Folksinger Arlo Guthrie, dessen legendäre Version von "The City of New Orleans" zeitlos geworden ist, die gesamte Armtrak-Garnitur des regelmäßig verkehrenden Zuges "City of New Orleans" angemietet hat.

Er will den Zug mit Musikinstrumenten, Verstärkern und anderen elektronischen Geräten voll stopfen und diese nach New Orleans bringen. Die Reise an die Mündung des Mississippi soll zwölf Tage dauern, da er auf dem Weg Benefizkonzerte für seine Musikerhilfe abhalten will.

Das ist sein Beitrag zum Aufbau der Musikindustrie von New Orleans, "Amerikas erstrangiger Musikstadt", wie er sagt.
Situation wie in Wien vor 50 Jahren
Man kann also nicht sagen, dass das Kulturerbe von New Orleans so systematisch zerstört wurde wie das von Baghdad im März 2003; physische Zerstörung und die übers ganze Land zerstreute Künstlergemeinde wird das kulturelle Wiederaufleben der Stadt schwierig machen und dürfte wohl Jahre dauern.

Die fürs Frühjahr 2006 geplanten Galaveranstaltungen werden für das Comeback der Musikmetropole und der Identität der Stadt so wichtig sein, wie die Wiedereröffnung von Burg und Oper für die Wiener vor 50 Jahren.

In allen diesen Fällen stand und steht beiden Fällen auch ein bedeutendes Stück Weltkulturerbe auf dem Spiel.

[25.10.05]
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Über den Autor
Günter Bischof, ein gebürtiger Vorarlberger, ist Geschichtsprofessor an der University of New Orleans und unterrichtet während des Herbstsemesters New Orleanser "Flüchtlings"-Studenten an der Louisiana State University in Baton Rouge.
->   Center Austria, Universität New Orleans
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Mehr von Günter Bischof in science.ORF.at:
->   "Kurzvertrag": Episode der Staatvertragsverhandlungen (9.5.05)
 
 
 
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01.01.2010