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Brief-Statistik: Einstein und Darwin im Vergleich  
  Albert Einstein und Charles Darwin waren fleißige Briefschreiber: Einstein hat in seinem Leben rund 14.500 Briefe verfasst, bei Darwin waren es immerhin halb so viele. Zwei Forscher sind nun tief in den Papierberg der beiden Korrespondenzen eingedrungen und haben dort nach verborgenen Mustern geschürft. Das Ergebnis: Das zeitliche Schreibverhalten von Einstein und Darwin lässt sich durch ein und das selbe Potenzgesetz beschreiben.  
Das heißt, dass es sehr viele Briefe gibt, die umgehend beantwortet wurden und ganz wenige, bei denen es äußerst lange dauerte, berichten Albert Laslo Barabasi von der Harvard University und Joao Gama Oiliveira von der Universität Aveiro, Portugal.
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Die Studie "Human dynamics: Darwin and Einstein correspondence patterns" von J. G. Oliveira und A.-L. Barabasi erschien im Fachjournal "Nature" (Band 437, S.1251; doi: 10.1038/4371251a).
->   Abstract der Studie
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Quanten-Schweinereien
"Die Quanten sind doch eine hoffnungslose Schweinerei." Der deutsche Physiker Max Born hatte offensichtlich seine liebe Not mit der gerade entstehenden Quantentheorie, als er 1921 diese Briefzeile schrieb.

Dem Adressaten, Albert Einstein, erging es nicht besser - eher im Gegenteil: Während sich nämlich Born später zu der Ansicht durchrang, dass man es in der Welt der Atome mit Wahrscheinlichkeiten statt mit deterministischen Gesetzen zu tun hat, sperrte sich Einstein zeitlebens gegen eine totale Abkehr von der klassischen Physik.

Besonders mit dem (absoluten) Zufall, der durch die neue Theorie quasi durch die Hintertür in die Naturwissenschaften gekommen war, sollte er immer auf Kriegsfuß bleiben. Was er gegenüber Born auch recht deutlich ausdrückte:

"Der Gedanke, dass ein einem freien Strahl ausgesetztes Elektron aus freiem Entschluss den Augenblick und die Richtung wählt, in der es fortspringen will, ist mir unerträglich. Wenn schon, dann möchte ich lieber Schuster oder gar Angestellter einer Spielbank sein als Physiker."
"Wenn ich Diktator wäre ..."
Bild: dpa
In späteren Jahren plagte Einstein nicht nur die hoffnungslos unanschauliche Quantentheorie, sondern auch sein Status als Wissenschafts-Popstar. Als solcher bekam er viele Briefe von Leuten, die glaubten, sie hätten eine Entdeckung von großer wissenschaftlicher Bedeutung gemacht.

So etwa am 7. Juli 1952, als ihm ein New Yorker Künstler seine neueste Theorie erörterte. Sehr überzeugend dürfte sie allerdings nicht gewesen sein, denn Einstein, ansonsten äußerst zuvorkommend, antwortete:

"Besten Dank für ihren Brief vom 7. Juli. Sie scheinen ein lebender Behälter aller leeren Ausdrücke zu sein, die unter den Intellektuellen in diesem Land in Mode sind. Wenn ich Diktator wäre, würde ich die Verwendung all dieser unseligen Geistlosigkeiten verbieten."
Korrespondenz-Statistik
Dieses Schriftstück wird wohl auch durch die Hände von Albert Laslo Barabasi und Joao Gama Oiliveira gegangen sein, denn sie haben in den letzten Monaten die gesamte Korrespondenz von Einstein und Charles Darwin durchforstet. Allerdings nicht dem Inhalt nach, sondern statistisch.

Die beiden sind nämlich als Netzwerktheoretiker weniger daran interessiert, was in Briefwechseln geschrieben wird, sondern vielmehr am Wann und demWie oft.
Mehr als 14.000 Briefe
 
Bild: EPA

Bei Ausnahmeerscheinungen wie Einstein und Darwin ist selbst das durchaus erwähnenswert: Der Begründer der Selektionstheorie schrieb im Lauf seines Lebens 7.591 Briefe und erhielt derer 6.530. Beim Vater der Relativitätstheorie waren es sogar noch mehr, nämlich 14.500 bzw. 16.200.

Als Durchschnittswerte ergeben sich für die letzten 30 Lebensjahre 0,59 (Darwin) und 1,02 (Einstein) verfasste Briefe pro Tag, wobei es selbstverständlich zu größeren Schwankungen kam.

Darwin beispielsweise schrieb am Neujahrstag 1874 ein ganzes Dutzend Briefe und Einstein erreichten am 14. März 1949 sogar 120 Glückwünsche zu seinem 70. Geburtstag.

Bild oben: Ein Brief Darwins an seinen Verleger John Murray III. aus dem Jahr 1869.
Späte Antworten
Soweit die statistischen Eckdaten. Barabasi und Oiliveira wollten nun herausfinden, wie lange sich die Korrespondenzpartner der beiden gedulden mussten, bis sie eine Antwort bekamen.

Wie zu erwarten, wurden mehr als die Hälfte der Briefe innerhalb der ersten zehn Tage beantwortet, bei den restlichen konnte es hingegen etwas länger dauern.

Etwa am 14. Oktober 1921, als Albert Einstein auf ein Schreiben des niederländischen Physikers Ralph de Laer Kronig antwortete: "Nachdem ich mich durch einen Berg von Korrespondenz gearbeitet habe, finde ich nun ihren interessanten Brief vom September letzten Jahres ..."
Kühe und Elementarteilchen
Historischen Feinspitzen ist der Name Ralph de Laer Kronig freilich ein Begriff: Er publizierte 1927 in der Zeitschrift "Nature" mit Pascual Jordan - einem der Architekten der Quantentheorie - eine äußerst aufschlussreiche Arbeit über die Kaubewegungen von dänischen Kühen.

Darin stellten die beiden Forscher fest, dass etwa die Hälfte der Tiere beim Wiederkäuen ihr Unterkiefer links herum drehe, während der Rest die Gegenrichtung bevorzuge. Die beiden Fraktionen seien also etwa gleich groß, womit die Symmetrie zwischen Links- und Rechtskäuern gewahrt bleibe, so ihre Conclusio.

So etwas fällt wohl nur theoretischen Physiker auf, vermutlich deshalb, weil ja auch in der Welt der Elementarteilchen mächtige Symmetrieprinzipien wirken. Zu weit wollten sich die beiden mit ihrer Hypothese denn doch nicht aus dem Fenster lehnen.

In ihrer Studie geben sie jedenfalls zu bedenken: "Natürlich erlauben diese Feststellungen keine Verallgemeinerung auf Kühe anderer Nationalitäten."
Das Gesetz der Wartezeit
Zurück zur Korrespondenz-Studie von Barabasi und Oiliveira: Sie fanden heraus, dass sich die Wartezeit auf Antworten bei Darwin und Einstein durch ein und das selbe Potenzgesetz beschreiben lässt.

Das heißt, dass es sehr viele Briefe gibt, die umgehend beantwortet wurden und ganz wenige, bei denen es äußerst lange dauerte. Was - mit geringfügigen Unterschieden - auch für den Email-Verkehr zutrifft (Nature 435, 207).
"Power laws" als roter Faden
Das klingt zunächst nicht viel aufregender als Kaubewegungsstatistiken, für Netzwerkforscher ist das allerdings etwas Besonderes: Denn Potenzgesetze ("power laws") sind so etwas wie der rote Faden, der sich durch diese Disziplin zieht.

Beispielsweise wird die Verteilung von Links im World Wide Web durch ein Potenzgesetz beschrieben, ähnliches gilt für soziale Netzwerke, Wechselwirkungen von Proteinen und vieles mehr.
->   Power law - Wikipedia
Der Erfinder der fünften Dimension
Abseits statistischer Feinheiten erwähnen Barabasi und Oiliveira in ihrer Studie auch ein verspätetes Schreiben, das vermutlich den Lauf der Geschichte beeinflusste. Im Oktober 1921 nahm Einstein nach zweijähriger Pause die Korrespondenz mit dem deutschen Mathematiker Theodor Kaluza wieder auf. Und zwar, weil er sein ursprünglich ablehnendes Urteil gegenüber einer Theorie Kaluzas revidieren wollte.

Dieser hatte 1919 die Vorstellung entwickelt, dass die Raumzeit mehr als vier (nämlich fünf) Dimensionen aufweisen könnte, was wiederum neue Wege zu einer einheitlichen Feldtheorie eröffnete.

Ermuntert durch Einsteins positives Urteil veröffentlichte Kaluzar sein Manuskript in den Sitzungsberichten der Preussischen Akademie der Wissenschaften - woraufhin es zu einem echten Klassiker avancierte.

Theoretiker sehen darin heute eine Urform der String-Theorie, der man die größten Chancen einräumt, die lange angestrebte Vereinigung aller vier Naturkräfte zu bewältigen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 28.10.05
->   Darwin Correspondence Project
->   Einstein Archives Online
 
 
 
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01.01.2010