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Spieltheorie: "Steinzeitliche Zustände" im Internet  
  Bei Internet-Auktionen wird Betrug häufig erfolgreich verhindert, ohne dass eine "Online-Polizei" anwesend wäre. Ähnliche Zustände gab es auch in menschlichen Urgesellschaften, meinen Spieltheoretiker.  
Zumindest könne eine gewisse Analogie zwischen gewissen Verhaltensmustern hergestellt werden, die letztlich zum Wohl der Allgemeinheit führen.

Dies berichten die beiden österreichischen Mathematiker Karl Sigmund (Universität Wien) und der an der Harvard University in Cambridge (US-Bundesstaat Massachusetts) lehrende Martin A. Nowak in einem Überblicksartikel.
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Der Artikel "Evolution of indirect reciprocity" Martin A. Nowak and Karl Sigmund erschien im Fachjournal "Nature" (Band 437, S.1291-8; doi: 10.1038/nature04131).
->   Abstract der Studie
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Wie entsteht selbstloses Verhalten?
Die Spieltheoretiker arbeiten bei ihren Forschungen mit mathematischen Modellen, mit denen sie unter anderem die Evolution von Verhaltensweisen studieren.

Lange Zeit war es ein Rätsel, wie sich Selbstlosigkeit (Altruismus) im Laufe der Entwicklung durchsetzen konnte, auch wenn der Einzelne keinen direkten Nutzen davon hat. Im Computer können binnen Kurzem Jahrhunderte und Jahrtausende nachgestellt werden.
Hilfsbereitschaft dient dem Image - und allen anderen
"So zeigt sich immer wieder, dass selbstloses Verhalten unter bestimmten Umständen für die ganze Gesellschaft von Vorteil ist", erklärte Sigmund gegenüber der APA.

Solch selbstloses Verhalten wäre beispielsweise, wenn Person A Person B hilft - Essen gibt, den Rücken entlaust, etc. -, ohne dass B seinem Gönner hilfreich ist. Sinnvoll ist es etwa dann, wenn B gegenüber Dritten auch selbstlos ist und A das weiß. Anders ausgedrückt, A hilft B, weil B ein guter Kerl ist. Von solcher Selbstlosigkeit hat nachweislich die ganze Gesellschaft etwas.
Das Trittbrettfahrer-Problem
Langfristig nicht stabil ist dagegen selbstloses Verhalten, wenn es unreflektiert passiert. Wenn Menschen anderen gleichsam nach dem Gießkannenprinzip helfen, so fördert dies rein egoisitische Nutznießer, was wiederum langfristig der Gemeinschaft schadet.

Mittlerweile haben Ökonomen die Erkenntnisse der Spielforscher entdeckt und bauen sie in ihre eigenen Modelle ein. Der Wirtschafts-Nobelpreis ging heuer bereits das zweite Mal an zwei Spieltheoretiker.
->   Ökonomie-Nobelpreis für zwei Spieltheoretiker
Ehrlichkeit zahlt sich - langfristig - aus
Besonders interessant sind für Sigmund diverse Auktionsplattformen im Internet. Hier haben sich in den vergangenen Jahren Strukturen entwickelt, welche die Theorien der Spielforscher weitgehend bestätigen. So können User - Käufer wie Verkäufer - von den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft beurteilt werden.

Ist einer davon ein notorischer Betrüger, der etwa falsche Angaben über seine Produkte macht, so spricht sich das schnell herum, er wird nichts mehr verkaufen. Ist man dagegen ehrlich, indem man beispielsweise den Defekt eines Gerätes vor dem Verkauf angibt, kann man kurzfristig zwar einen Nachteil haben, langfristig bleibt man aber im Geschäft.
Ordnung ohne offizielle Ordnungshüter
Der Vergleich ist eigentlich nahe liegend, da es im Internet in gewisser Hinsicht ähnlich zugeht, wie in steinzeitlichen oder noch älteren Kulturen. So gibt es keine zentralen Regierungen, kaum Gesetze und auch keine Polizei, die Menschen bzw. User müssen selbst schauen, wie sie miteinander auskommen.

"Es funktioniert über weiter Strecken offenbar ganz gut", ist Sigmund überzeugt. Umgekehrt zeigt die Entwicklung, dass der User am Computer von seinen Genen her eigentlich noch ein Steinzeitmensch ist.

[science.ORF.at/APA, 28.10.05]
->   Martin Nowak (Harvard University)
->   Karl Sigmund (Uni Wien)
->   Spieltheorie - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010