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Tamiflu: Zweites Medikament verlängert Wirkung  
  Ein britischer Mediziner hat laut einer aktuellen Studie eine Methode entdeckt, die die Wirksamkeit des Vogelgrippe-Medikaments Tamiflu verdoppeln könnte. Dazu greift er auf einen altbekannten Trick zurück: Probenezid, ein einfaches Benzoesäure-Derivat, wird mit dem Medikament verabreicht.  
Diese Wirkung von Probenezid ist seit dem Zweiten Weltkrieg bekannt. Damals wurden die knappen Penizillin-Vorräte durch die zusätzliche Gabe von Probenezid "gestreckt".

Der Mechanismus: Probenezid bewirkt, dass die vorher verabreichte Arznei von den Nieren nur halb so schnell abgebaut wird, berichtet der Online-Dienst von "Nature".
Knappe Tamiflu-Vorräte
Sollte das Vogelgrippe-Virus tatsächlich in großem Umfang auf den Menschen übergreifen, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO die Einnahme von Tamiflu (Oseltamivir). Außerdem forderte die Organisation die Staaten auf, das Medikament in genügender Menge einzulagern, um einer möglichen Pandemie schnell und effektiv begegnen zu können.

Das ist leichter gesagt als getan: Denn obwohl der einzige Tamiflu-Produzent, der Pharmakonzern Roche, seine Produktionskapazitäten während der vergangenen zwei Jahre vervierfacht hat, könnten derzeit nur zwei Prozent der Weltbevölkerung mit dem Medikament versorgt werden.
Medizinische "Tricks" und Weitergabe patentierten Wissens
Forscher suchen deshalb sowohl nach Alternativen zu Tamiflu als auch nach "Tricks", mit denen die Effizienz des Medikaments gesteigert und damit der Mengenbedarf reduziert werden könnte. Außerdem erhöhen Regierungen den Druck auf Roche, sein patentiertes Wissen zur Herstellung von Generika zur Verfügung zu stellen.
Ausscheidung von Tamiflu wird verlangsamt
Joe Howton, medizinischer Direktor des Adventist Medical Center in Portland (US-Bundesstaat Oregon) glaubt nun, auf einen medizinische "Trick" gestoßen zu sein, der die Wirksamkeit der knappen Vorräte wenigstens verdoppeln könnte:

Bei der Durchsicht von Roche-Datenmaterial zu Tamiflu hat er laut "news@nature" entdeckt, dass das Vogelgrippe-Medikament ähnlich wie Antibiotika über die Nieren abgebaut und ausgeschieden wird. Und dass Probenezid wie bei Penizillin diesen Ausscheidungsvorgang verlangsamt.

Wird Tamiflu gemeinsam mit Probenezid verabreicht, bleibt ersteres doppelt so lange im Körper aktiv. Mit anderen Worten: Die halbe Menge Tamiflu würde genügen, um den gleichen Effekt zu erzielen.
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Roche-Studie
Howton ist in einer Roche-Publikation auf den Effekt gestoßen. Nachdem sie schon 2002 veröffentlicht wurde und Roche nie wieder davon sprach, hat der Online-Dienst von "Nature" nachgefragt, ob diese Möglichkeit zur Effizienzsteigerung nicht näher in Betracht gezogen wurde: "Offenbar nicht", sagte eine Roche-Sprecherin. Sie sprach von interessanten Daten, zu denen aber nichts Genaueres gesagt werden könne.
->   Zum Abstract der Roche-Studie
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Kombination scheint sicher zu sein
Von "Nature" befragte Fachkollegen von Howton zeigen sich sehr optimistisch hinsichtlich einer Kombination von Tamiflu und Probenezid.

Es gebe genügend Wissen über die Wirkung von Probenezid gemeinsam mit Antibiotika, sodass der Einsatz gemeinsam mit dem Vogelgrippe-Medikament ebenfalls sicher scheint, so ihr Tenor.
Patentbruch zur Versorgung der eigenen Bevölkerung
Gleichzeitig weisen sie aber auch darauf hin, dass auch ein breiter Einsatz von Probenezid nicht ausreichen würde, um im Fall einer Pandemie eine lückenlose Versorgung sicherzustellen.

Um die Versorgungsschwierigkeiten von Roche auszugleichen, haben Taiwan und Thailand laut Berichten der BBC bereits begonnen, das Roche-Patent zu brechen und in Eigenregie Kopien herzustellen.
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Roche-Patent
Roche besitzt mit dem Tamiflu-Patent ein bis 2016 durch internationale Patentübereinkommen garantiertes Monopol für die alleinige kommerzielle Herstellung sowie den Vertrieb der Vogelgrippe-Arznei. Als Zugeständnis an die im Fall einer Pandemie entstehende Versorgungslücke hat sich das Pharmaunternehmen kürzlich bereit erklärt, mit Regierungen oder Unternehmen über - kostenpflichtige - Herstellungslizenzen zu verhandeln.
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WTO sieht Vergabe von Zwangslizenzen vor
Als eine Variante ins Spiel gekommen ist in den letzten Wochen auch wieder eine Regelung des internationalen TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation WTO.

Dieses Dokument über "Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights" enthält einen Passus, nachdem in epidemiologischen Notlagen die Regierungen betroffener Länder Zwangslizenzen an Generikahersteller auch gegen den Willen des Patentinhabers vergeben können.
->   Mehr über das TRIPS-Abkommen
USA machen Druck auf Roche
Eigentlich war dieses Passus für Entwicklungsländer gedacht, nun verwenden ihn aber die USA, auf der Tamiflu-Warteliste von Roche hinter Ländern wie Rumänien oder Polen, um Druck auf das Schweizer Unternehmen auszuüben.

Dieses hat nun eine großzügigere Lizenzvergabe zugesagt - wie sich diese in der Praxis darstellen wird, bleibt aber abzuwarten.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 2.11.05
->   Roche Austria
->   news@nature
->   Mehr über die Vogelgrippe im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010