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Künstliche Befruchtung: Forscher warnt vor Langzeitfolgen  
  Um die Erfolgsraten der künstlichen Befruchtung zu erhöhen, kann man Eizellen mit Zellplasma von jungen Spenderinnen behandeln. Das führt allerdings zu dem bizarren Fall, dass Kinder dann Gene von drei Personen in ihrem Körper tragen. Dessen ungeachtet wurden rund 30 Kinder mit dieser Methode zur Welt gebracht. Ein US-amerikanischer Forscher weist nun darauf hin, dass dieses Vorgehen zu gesundheitlichen Schäden führen könnte.  
Das berichtet Douglas Wallace von der University of California, der nun den so genannten Eizellplasma-Transfer an Mäusen untersucht hat. Die betreffenden Mäuse wiesen offenbar eine verminderte Fruchtbarkeit auf.
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Douglas Wallace stellte seine Studienergebnisse am 26. Oktober 2005 beim Treffen der American Society of Human Genetics (ASHG) in Salt Lake City, Utah, vor. Titel des Vortrags: "High Abundance mtDNA Recombinants in Heteroplasmatic Mice: Implications for Assisted Reproduction and Therapeutic Cloning".
->   ASHG Meeting
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Düstere Vision
Dass dereinst Menschen mit genetisch modifiziertem Erbgut geboren werden könnten, gilt vielen als Schreckensvision der Biomedizin. In eingeschränktem Sinn gibt es solche Menschen aber bereits: Im März 2001 berichtete eine Forschergruppe um Jacques Cohen vom Institute for Reproductive Medicine and Science von 30 Geburten, die durch künstliche Befruchtung zustande gekommen waren.

Das Besondere daran: Die Eizellen der späteren Mütter wiesen offenbar eine verminderte Fruchtbarkeit auf, die man mit einer neuartigen Technik behandelte, dem so genannten Ooplasma-Transfer (Human Reproduction 16, 513).
->   In-vitro-Fertilisation - Wikipedia
Kinder mit drei Eltern
Dabei werden Teile des Zellplasmas aus der Eizelle einer meist jüngeren Frau entnommen und in jene der Frau übergeführt, die eine künstliche Befruchtung vornehmen will. Das bedeutet, dass die Empfängerzelle diverse Moleküle (z.B. Proteine und RNAs) der Spenderin enthält und darüber hinaus auch Zellorganellen, wie etwa Mitochondrien.

Genau das führt jedoch zu einer völlig neuen und ethisch umstrittenen Situation: Da Mitochondrien ihr eigenes Erbgut aufweisen, das von der Mutter vererbt wird, haben via Ooplasma-Transfer geborenen Kinder offenbar drei Eltern: Mutter und Vater für die Gene im Zellkern - sowie Mutter und Plasma-Spenderin in Bezug auf die mitochondrialen Gene.
->   Mitochondrium - Wikipedia
Heftige Kritik
Die Reaktionen fielen dementsprechend heftig aus. Peter Liese, Vorsitzender der Bio-Ethik-Arbeitsgruppe des Europäischen Parlaments, bezeichnete die Eingriffe als "Spiel mit dem Feuer" und "Beginn der Menschenzüchtung".

Und Ruth Deech, Vorsitzende der britischen Human Fertilisation and Embryology Authority, konstatierte: "Wir sollten nicht zulassen, dass der Kinderwunsch - koste es, was es wolle - höher zu gewichten ist als die Sicherheit, Würde und Verantwortung".

Kritiken wie diese führten dazu, dass man den Ooplasma-Transfer heute nicht mehr einsetzt. Allerdings verwenden britische Forscher eine ähnliche Technik zur Herstellung von Embryonen, die für die Grundlagenforschung gebraucht werden (Nature 437, 305).
Langfristige Effekte unbekannt
Aus medizinischer Sicht ist das Kapitel jedoch noch nicht geschlossen. Denn der künstlich hergestellte Mitochondrien-Mix ist erblich und betrifft daher auch spätere Generationen.

Über etwaige Langzeitwirkungen der Methode sei noch nichts bekannt, betont etwa Markus Hengstschläger von der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am AKH Wien im Gespräch mit science.ORF.at.

Ihn wundere vielmehr, dass sie beim Menschen zum Einsatz kam, ohne dass langfristige Effekte am Tiermodell abgeklärt wurden: "Letztlich gelten bei dieser Methode die selben Bedenken, die man gegenüber der Keimbahntherapie geäußert hat. Denn auch hier greift man ja gewissermaßen in die Evolution ein - wovon nicht nur einzelne Menschen, sondern auch die Nachkommen betroffen sind."
Versuche an Mäusen
Genau dieser Problemstellung hat sich nun Douglas Wallace von der University of California, Irvine, angenommen. Er führte Ooplasma-Transfers an genetisch modifizierten Mäusen durch und beobachtete die Wirkung über Generationen hinweg.

Die Ergebnisse sind nicht ermutigend: Wallace fand heraus, dass die dergestalt behandelten Tiere deutlich weniger Nachkommen produzierten, was auf Störungen der Gesundheit oder Fruchtbarkeit hinweisen könnte:

"Unsere Ergebnisse legen nahe, dass man mitochondriale DNA verschiedener Frauen keineswegs bedenkenlos vermischen sollte", betonte Wallace kürzlich beim Treffen der American Society of Human Genetics in Salt Lake City.
Gefährlicher als angenommen?
Konkret spielt Wallace auf die Tatsache an, dass gerade die genetischen "Programme" der Mitochondrien lebenswichtige Funktionen - etwa für die Zellatmung - ausüben.

Was bedeutet, dass sie hochgradig angepasst sind und auf Veränderungen sensibel reagieren könnten: "Ich halte es für eine schlechte Idee, verschiedene Programme in ein und die selbe Zelle zu packen", so Wallace gegenüber dem News-Dienst von "Nature".

James Grifo, der in den späten 1990er Jahren Kinder mittels Plasma-Transfer auf die Welt gebracht hat, hält die Warnungen für überzogen: "Ich glaube nicht, dass man so weit reichende Folgerungen über mögliche Gefahren treffen kann", so der Reproduktionsmediziner. Bleibt im Interesse der Kinder zu hoffen, dass er Recht behält.

Robert Czepel, science.ORF.at, 4.11.05
->   news@nature
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01.01.2010