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Exzellente Netzwerke: Europas Weg zu Innovation?  
  Bestehendes Wissen muss vernetzt werden, um Neues hervorzubringen, EU-Forschungsprogramme setzen deshalb vermehrt auf die Etablierung exzellenter Netzwerke. Aber wie kann diese Exzellenz gemessen werden? Dieser Frage geht der Netzwerkforscher Harald Katzmair in einem Gastbeitrag nach.  
Woran erkennt man ein "exzellentes" Netzwerk?
Von Harald Katzmair

Das bisherige Scheitern der europäischen Forschungs- und Innovationspolitik hinsichtlich der Erreichung der Lissabonziele (Europa soll bis zum Jahr 2010 der wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt werden) setzt die nationalen wie europäischen Akteure gehörig unter Druck.

Der Abstand zur USA wird nicht geringer, sondern größer. Der Exodus von Europa in die USA geht weiter. Von den zurzeit etwa 760.000 GastforscherInnen in den USA stammen rund 400.000 aus Europa.
60 Prozent lösen One-Way-Ticket in USA
Die Europäsche Kommission schätzt, dass in den technologisch relevanten Zukunftsfeldern fast 60 Prozent (!) aller NachwuchsforscherInnen ein One-way-ticket in die USA lösen, Tendenz steigend.

Länder wie China, Taiwan, Südkorea und Singapur holen gehörig auf und werden, falls nicht gegengesteuert wird, in den nächsten zehn Jahren hinsichtlich der Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung mit Europa gleichziehen bzw. Europa überholen. Schon heute bildet China mehr WissenschaftlerInnen aus als Europa und die USA zusammen.
Exzellenz als Eckpunkt der europäischen Strategie
Was tun? Neben einem massiv verstärkten finanziellen Engagement und einer Verbesserung der europäischen Bildungssysteme (Stichwort: Ergebnisse der "Pisa-Studie") werden immer wieder erstens die bessere Vernetzungen von Akteuren und zweitens die Fokussierung auf exzellente Forschung als wesentliche Eckpfeiler einer neuen europäischen Forschungs- und Innovationsstrategie genannt.
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Verlinktes Wissen ist Grundlage für Innovation
Entdeckungen und radikale Innovationen entstehen in den seltensten Fällen im Gehirn einsamer Genies. An diesen Mythos der Forschung glaubt niemand der verantwortlichen Technologie- und ForschungspolitikerInnen mehr.

Es ist der Technologiepolitik spätestens seit den 1980er Jahren (damals noch unter dem Titel der "Nationalen Innovationssysteme") bewusst, dass Innovationen in Netzwerken entstehen, dass es die Verbindungen zwischen Akteuren und ihren Erfahrungen und Ideen sind, die Neues produzieren.
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Vorhandenes Wissen zu Neuem verknüpfen
Vorhandenes Wissen generiert neues Wissen. Damit neues Wissen entsteht, muss vorhandenes Wissen mit anderem vorhandenen Wissen "verlinkt" werden.

Es sind die neuen Kombinationen von bislang unverbundenen Bereichen, die Innovationen entstehen lassen.
Infrastrukturpolitik soll Netzwerke forcieren
Eine bessere Vernetzung erhöht demnach die Chancen für Innovationen. Der Aufbau von Netzwerken ist Teil einer neuen Infrastrukturpolitik des 21. Jahrhunderts.

Noch wesentlicher als Strassen und Eisenbahnwege zählen soziale Netzwerke zur Infrastruktur einer Wissensgesellschaft, deren Rohstoff Wissen und deren Wettbewerbsvorteil Innovationen sind.

Doch was heißt eigentlich "bessere Vernetzung"? Was unterscheidet eine bessere von einer weniger guten Vernetzung? Wenn exzellente Forschung auch einer exzellenten Vernetzung bedarf, was sind "exzellente" Netzwerke? Woran erkennt man sie, wie können diese gemessen, evaluiert und bewertet werden?
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Projekt: "Exzellente Netzwerke"
Im Rahmen eines seitens des Rats für Forschung und Technologieentwicklung (RFTE) und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) beauftragten Projekts erforschte FAS.research, nach welchen wissenschaftlichen Kriterien die Exzellenz eines Netzwerks im Forschungs- und Innovationskontext beurteilt werden kann.

Dabei kamen Methoden aus der Sozialen Netzwerkanalyse sowie der Komplexitätsforschung zum Einsatz.
->   Rat für Forschung und Technologieentwicklung
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Bisherige Ansätze reichten nicht aus
Die bisherigen Methoden, die Qualität von Forschungskooperationen etwa an der bloßen Anzahl von Projekten (z.B. zwischen Universitäten und Wirtschaft) oder am Engagement von Akteuren in Projekten der Europäischen Union abzulesen, reichen nicht aus, um die Dimensionen von exzellenten Netzwerken zu erfassen.
Exzellenz messbar, wenn Ziel eines Netzwerks bekannt
Das Ergebnis: Die Exzellenz eines Netzwerks lässt sich dank neuester Erkenntnisse aus dem Bereich der Sozialen Netzwerkanalyse und Komplexitätsforschung dann nachweisen, wenn Ziel und Aufgabe eines Netzwerks vorab geklärt werden.

Das heißt, wenn man weiß, ob es die Aufgabe eines Netzwerkes ist, radikale Innovationen (Breakthroughs) oder inkrementale Innovationen hervorzubringen oder bestehende Innovationen zu produzieren, um sie dann breit in Märkten und unter AnwenderInnen zu verbreiten.
Exzellente Netzwerke: effizient, stabil, divers
Kennt man die Aufgabe(n), können dann sehr präzise jene Netzwerkstrukturen beschrieben werden, die zur Erfüllung der Aufgabe am besten geeignet sind.

Am besten geeignet bedeutet: Das jeweilige Netzwerk ist effizient, stabil und divers genug, um die Anforderungen nachhaltig zu erfüllen, also auch dann, wenn es mit unvorhergesehenen Entwicklungen (neue Technologien, Marktveränderungen, globale Störungen und Katastrophen) konfrontiert ist.
Gutes Netzwerk: Verbindung über wenige "Handshakes"
 
Bild: FAS.research

Dieses Netzwerk ist ideal für Forschungsprozesse geeignet. Alle Akteure sind gut miteinander vernetzt und erreichen einander über wenige 'Handshakes'. Das Netzwerk ist äußerst stabil und sehr gut für Entwicklung und Austausch neuer Ideen geeignet. Dies ist etwa in der Grundlagenforschung essentiell.
Trotz Wandel robust und entwicklungsfähig
Ein Netzwerk ist also genau dann exzellent, wenn es auch unter den Bedingungen des permanenten Wandels robust und entwicklungsfähig bleibt, wenn es seine Integrität nicht verliert.
Schlechtes Netzwerk: Lineare Verbindungen
 
Bild: FAS.research

Dieses Netzwerk zeigt eine hierarchische Struktur: Die meisten Akteure sind linear miteinander verbunden, der allgemeine Vernetzungsgrad ist niedrig. Dieses Netzwerk ist ideal für die Abwicklung von standardisierten Routineabläufen.
Von der Forschung zur Wirtschaft
Das spannende daran: Was für die Forschung gilt, lässt sich generell auch auf andere wirtschaftliche Akteure übertragen. Es genügt eben nicht, sich bloß "irgendwie" zu vernetzen. Mit vielen Akteuren verbunden zu sein, ist allein noch kein Zeugnis für ein exzellentes Netzwerk.

Ähnlich wie bei der Zusammenstellung eines guten Teams in der Wirtschaft sind für radikale Innovationen hochgradig diverse, aber sehr eng und dicht miteinander vernetzte Strukturen ideal.
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Marketing: Stabile Dreiecksbeziehungen gefragt
Für inkrementale Innovationen (Entwicklung, Prototyping) hingegen ist es wichtig, dass das Netzwerk nicht zu divers wird und sich modularisierte Teilcluster bilden, innerhalb derer kritische Massen von Kompetenzen aufgebaut werden können.

Für Diffusionsprozesse (z.B. für die Verbreitung von Innovationen, für Marketing und Sales) hingegen ist es wichtig, dass AnwenderInnen in so genannte "Triangles" eingebettet werden, d. h. Erfahrungen in stabilen Dreiecksbeziehungen ausgetauscht werden können, damit Unsicherheiten bei der Einführung von Innovationen bewältigt werden können.
->   Mehr über Netzwerkanalyse bei FAS.research
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Wie exzellent sind europäische Netzwerke?
Um die Stärke der neuen Instrumente zur Beschreibung von Exzellenz zu demonstrieren, wurden im Rahmen des Projekts die Konsortialnetzwerke des 6. Rahmenprogramms der Europäischen Union unter die Lupe genommen.
Netzwerke unterschiedlich gut
Das Ergebnis: Es gibt Bereiche, wie etwa die Programme der Luft- und Raumfahrt (AERO/SPACE-IP = Instrument "Integrated Projects" im Programm "Aeronautics and Space"), die fast perfekt den idealen Netzwerkstrukturen eines Innovationsnetzwerks entsprechen.

Andere Bereiche hingegen weisen große strukturelle Defizite auf, wie etwa das ERANET-CA (Instrument "Coordination Actions" im Programm "Coordination of Research Activities"), das auf die Koordination und Unterstützung der Zusammenarbeit von Forschungstätigkeiten fokussiert ist.
Problem: Aufgaben der Netzwerke oft nicht klar
Generell wurden alle Bereiche des 6. Rahmenprogramms auf ihre Netzwerkstrukturen hin abgeklopft. Das Problem bei der Evaluierung der Netzwerke: Oft ist nicht klar, was die tatsächliche Aufgabe eines Programms und seiner daraus resultierenden Netzwerke ist, also etwa Forschung oder Entwicklung.

Kennt man die Ziele nicht, kann auch nicht gesagt werden, ob ein Netzwerk gut, oder weniger gut ist.
Bessere Netzwerke dank geeigneter Tools
Wie auch immer, die Tools und Instrumente, um in Zukunft die strukturelle Performance von Netzwerken zu evaluieren, sind vorhanden.

Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis sie auch tatsächlich allgemein eingesetzt werden, weil die Netzwerkperformance eine zunehmende Schlüsselrolle im Wettbewerb um die globale Innovationsführerschaft spielen wird.

Wer die besseren Netzwerke hat, wird hier die Nase vorne haben. Vielleicht eine Chance Europas, sich gegenüber der USA und Asien "exzellent" zu positionieren?

[8.11.05]
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Über den Autor
Harald Katzmair ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter von FAS.research, einer auf Netzwerkanalyse spezialisierten Forschungsgesellschaft, Soziologe, Philosoph und Ornithologe sowie als Lehrbeauftragter an diversen Universitäten tätig.
->   FAS.research
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01.01.2010