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Nahrungsergänzungsmittel reguliert Angst und Stress  
  Dass genetisch bedingte Krankheiten wie Chorea Huntington eines Tages mit Pillen geheilt werden können, ist aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich. Von einem Schritt in die Richtung berichten nun US-Biologen: Sie haben Angst und Stress von Ratten durch ein handelsübliches Nahrungsergänzungsmittel nach Belieben verändert.  
Zu diesem Ergebnis kam ein Team um Moshe Szyf von der McGill University in Montreal. Der Forscher stellte seine Studienergebnisse vor wenigen Wochen bei einer Konferenz zu Epigenetik in Durham vor, berichtet der "New Scientist" in seiner aktuellen Ausgabe.
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Der Artikel "How the food you eat could change your genes for life" ist im "New Scientist" (Bd. 187, S. 12, Ausgabe vom 19.11.05) erschienen.
->   New Scientist
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Vernachlässigung führt zu mehr Angst und Stress
Schon im Vorjahr berichtete das Team um Szyf von Studien an Ratten, in deren Mittelpunkt die Gen-Expression neugeborener Nager stand: Durch unterschiedliche Verhaltensweisen konnte die Mutter einen deutlichen Einfluss darauf üben. Wenn die Jungen nicht richtig ernährt und gepflegt wurden, lagerten sich Methylverbindungen an bestimmte Gene an.

Diese Gene kodieren für den Glucokortikoid-Rezeptor im Gehirn. Glucokortikoide sind Hormone, die eine entscheidende Rolle für die Stressbereitschaft und für den Schlaf-Wach-Rhythmus spielen.

Durch die Methylierung wurde die Genaktivität reduziert, die Mäusejungen produzierten mehr Stresshormone und zeigten bei der Erkundung ihrer Umgebung weniger Neugier als ihre gut versorgten Altersgenossen. Wie die Forscher in "Nature Neuroscience" berichteten, währten die Auswirkungen dieser mütterlichen Vernachlässigung ein Leben lang.
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Die Studie "Epigenetic programming by maternal behavior" ist in "Nature Neuroscience" (Bd. 7, S. 847, August 2004) erschienen.
->   Abstract in "Nature Neuroscience"
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L-Methionin stresst ebenso
Wie die Forschergruppe um Szyf nun im "New Scientist" erklärt, kann der gleiche Effekt auch durch ein gängiges Nahrungsergänzungsmittel erreicht werden. Die Biologen injizierten 90 Tage alten, bis dahin gut gefütterten und umsorgten Ratten "L-Methionin" ins Gehirn.

Die schwefelhältige Aminosäure methylierte draufhin das Glucokortikoid-Gen. Und auch die Reaktionen waren gleich wie bei der Verhaltensstudie aus dem letzten Jahr: Die mit L-Methionin Ratten zeigten das gleiche gestresste und ängstliche Verhalten wie die sozial vernachlässigten.

Szyf und Kollegen haben auch bereits den umgekehrten Fall im Labor herstellen können: Ängstliche und nervöse Ratten, denen in gleicher Weise Toluensulfonsäure zugeführt worden war, wurden wieder ganz normal und ihr Stressniveau reduzierte sich deutlich.
Nicht auf Menschen übertragbar
Nun versichert der "New Scientist" seinen Lesern, dass vorerst nicht daran gedacht ist, auch Menschen per Gehirn-Injektion zu ähnlichen Änderungen ihres Gemütslebens zu verhelfen.

Die verwendeten Stoffe seien in Nahrungsergänzungsmitteln aber längst im Einsatz - "L-Methionin" etwa könne man bequem via Internet kaufen, die Moleküle seien klein genug, dass sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden und im Gehirn ihre Wirkung entfalten können. Zu einer spezielle Warnung will sich Szyf aber nicht hinreißen lassen.
Methode noch sehr ungenau
Rob Waterland vom College of Medicine in Houston rät bei der Beurteilung der neuen Studienergebnisse zu Vorsicht. Die von Szyf durchgeführten Experimente hätten die Feinheit eines Vorschlaghammers: Sowohl L-Methionin als auch Toluensulfonsäure würden eine Reihe von Genen mit Methylgruppen verbinden bzw. lösen, noch sei nicht bekannt, welche davon überhaupt betroffen sein können.

Punktgenauere Methoden, die v.a. auf RNA gerichtet sind, würden eines Tages vielleicht aber tatsächlich den Traum von der DNA-Regulation via Nahrungsaufnahme ermöglichen - bisher wurden sie nur bei Pflanzen ausprobiert.

[science.ORF.at, 17.11.05]
->   Moshe Szyf Research Laboratory, McGill University
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Ernährung der Mütter wichtig für Lebenserwartung (28.1.04)
->   Epigenetik: Erbkrankheiten "ohne" Gene? (18.2.03)
 
 
 
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01.01.2010