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Erfolgreiche Zuwanderung: Integration statt Assimilation  
  Dass sich Immigranten der Kultur ihrer neuen Heimat anpassen sollen, ist nicht nur in Österreich eine weit verbreitete Auffassung. In der bisher umfangreichsten Studie weltweit stellt sich das nun als schlechte Strategie heraus. Am erfolgreichsten gelingt jenen jugendlichen Immigranten die Integration, die offen für die neue Kultur sind, die Traditionen ihres Geburtslandes aber nicht vergessen.  
"Überraschend ist, dass die Immigranten-Jugend weder psychologisch noch sozial profitiert, wenn sie sich assimiliert", meint John Berry, Psychologe an der kanadischen Queens University und federführender Autor der Studie.

Sie soll unter dem Titel "Immigrant Youth In Cultural Transition: Acculturation, Identity and Adaptation Across National Contexts" Anfang 2006 beim Verlag Lawrence Erlbaum Associates veröffentlicht werden.
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Weltweit 200 Millionen Zu- oder Einwanderer
Als Zuwanderer oder Migranten werden Menschen bezeichnet, die entweder mit anderer Nationalität in fremden Ländern geboren werden oder in anderen als ihren Heimatländern leben. Weltweit leben rund 200 Millionen Menschen als Zu- oder Einwanderer. Das entspricht drei Prozent der Weltbevölkerung oder der Einwohnerzahl Brasiliens.

Der Anteil der Zuwanderer in den Industriestaaten reicht von etwa einem Prozent in Irland und Japan bis zu 23 Prozent in Australien und über 30 Prozent in Singapur. In den Ölstaaten des Nahen Ostens sind sogar 70 Prozent der Arbeitskräfte zugewandert.
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5.000 Interviews in 13 Ländern
Für die Studie wurden in einem Zeitraum von zehn Jahren mehr als 5.000 Interviews mit Kindern der ersten Immigranten-Generation geführt.

Sie fanden in 13 verschiedenen Ländern statt, die in drei Gruppen eingeteilt wurden: klassische Einwandererländer wie die USA, Kanada und Australien, ehemalige Kolonialnationen wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland sowie Länder mit einer jüngeren Immigrationstradition wie Norwegen, Schweden und Portugal.
Starke Identität der Ethnie schützt
Befragt wurden die Jugendlichen nach ihrem subjektiven Wohlgefühl, nach sozialer Situation und schulischen Erfolgen, berücksichtigt wurden eine Reihe von Variabeln - von erlittener Diskriminierung, der Dauer des Aufenthalts, über Sprachkenntnisse, Geschlecht und Alter bis zur Ausländer- und Diversitätspolitik der jeweiligen Länder.

Eine starke ethnische Identität führt in der neuen Umgebung zu einer Art "Puffereffekt" gegenüber Diskriminierung, schreiben die Forscher. Assimilation bringe hingegen in mehrfacher Weise Probleme mit sich.
Integration am besten ...
Laut den Forschern gelingt der größten Gruppe der Immigrantenkinder - 36 Prozent - die Anpassung an die neue Umgebung durch die Doppelstrategie "nationale und ethnische Kultur".

Ihnen geht es subjektiv-psychologisch am besten, und sie sind - in Schule und später im Beruf - am erfolgreichsten. Nach hiesigen Maßstäben könnte man sie die Gruppe der "Integration" nennen.
... Assimilation am schlechtesten
23 Prozent der befragten Jugendlichen orientieren sich primär an ihrer ethnischen Herkunft: Was bei älteren Immigranten noch halbwegs funktioniert, führt bei Kindern zu einer Abspaltung vom Rest der (Mehrheits-)Gesellschaft - d. h. sie fühlen sich zwar subjektiv wohl, haben aber weniger schulischen und sozialen Erfolg.

Am schlechtesten ergeht es Jugendlichen, die sich assimilieren. Sie haben ein geringeres Selbstwertgefühl, sind schlechter in der Schule und anti-sozialer in ihrem Verhalten. Mit 19 Prozent stellen sie nur die kleinste Gruppe der Immigranten-Kinder dar - ein Hinweis darauf, dass die Strategie der Totalassimilation von ihren Eltern abgelehnt wird.
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UN: Zuwanderer wichtig für Weltwirtschaft
Zuwanderer überall auf der Welt leisten einen hohen Beitrag zur Weltwirtschaft. So überweisen sie 125 Milliarden Euro im Jahr in ihre Herkunftsländer, wie aus einem im Oktober 2005 veröffentlichten Bericht der Vereinten Nationen hervorgeht. Dieser Betrag entspreche dem Dreifachen der weltweiten staatlichen Entwicklungshilfe, schrieb die Weltkommission zu Fragen internationaler Migration (GCIM).

Schon heute seien die meisten Zuwanderer von niedrigen in höhere Lohngruppen aufgestiegen, heißt es in dem Bericht "Die Migration in einer vernetzten Welt". Reiche Länder, in denen nur 16 Prozent der arbeitsfähigen Weltbevölkerung leben, stützen sich auf über 60 Prozent der Zuwanderer in der Welt.
->   GCIM
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Diversitätspolitik entscheidend
Auch die Politik spielt eine entscheidende Rolle: Jugendliche Immigranten sind in jenen Ländern durchschnittlich am erfolgreichsten, die eine aktive Diversitätspolitik betreiben.

Die Autoren der Studie rufen deshalb auch dazu auf, diese in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen zu stellen. "Länder können ihren Immigranten helfen, indem sie Diversität in vielen Bereichen des Lebens unterstützen - vom Gesundheitssystem über TV-Programme bis zur Erziehung."
Beispiel Frankreich - misslungene Integration
In einem Interview mit einer kanadischen Presseagentur brachte John Berry ein sehr aktuelles Beispiel für die Relevanz seiner Thesen. Frankreich, so Berry, sei ein Land, das sehr stark auf Homogenität setze - "mit einem Volk, einer Sprache und einer Kultur".

Diversität sei dort weniger willkommen als in vielen anderen Gesellschaften, meint der Psychologe. Assimilation gehe vor Integration.

Auch wenn die Unruhen der letzten Wochen nicht auf eine einzige Ursache reduziert werden können, glaubt er doch, dass eine verfehlte Integrationspolitik zu den Ereignissen beigetragen hat.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 18.11.05
->   John Berry, Queens University
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Mobbing: Migrantenkinder weniger betroffen (22.11.04)
->   Studie: Österreich nutzt Potenzial der Migranten nicht (24.9.04)
 
 
 
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01.01.2010