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Wie Füchse zu Haustieren werden  
  Werden Wildtiere über Generationen hinweg gezähmt, dann verändert das nicht nur ihr Verhalten, sondern auch ihre Hirnstruktur. Das haben nun schwedische Forscher durch Versuche an Silberfüchsen herausgefunden.  
Wie ein Team um Elena Jazin von der Universität Uppsala berichtet, spiegelt sich die Domestizierung offenbar in jenen Hirnbereichen wider, die Emotionen und Sozialverhalten steuern.
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Die Studie "Selection for tameness has changed brain gene expression in silver foxes" von Julia Lindberg et al. erschien im Fachjournal "Current Biology" (Band 15, R915; doi: 10.1016/j.cub.2005.11.009).
->   Zur Studie
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Haustiere sehen anders aus
Man muss nicht Zoologe sein, um ein Haustier von seiner wilden Stammform unterscheiden zu können: Ein Golden Retriver beispielsweise hat im Vergleich zum Wolf ein auffälliges Haarkleid und einen anders geformten Schädel. Das Unterkiefer ist relativ gesehen verkürzt, der Gesichtsschädel aufgebogen, der Blick irgendwie gutmütiger.

Die Unterschiede zwischen Haus- und Wildtier beschränken sich freilich nicht nur auf das Äußerliche. Haustiere hören, riechen und sehen in der Regel schlechter als ihre wilden Verwandten, dafür ist bei ihnen der Sexualtrieb meist etwas stärker ausgeprägt. Darüber hinaus reagieren sie auf geschlossene Räume nicht mit Stress- oder Fluchtreaktionen.

Gefangene Füchse etwa, so wird erzählt, gebärden sich bei erfolglosen Fluchtversuchen so wild, dass sie sich dabei regelmäßig Zähne ausbrechen. Und es kann sogar noch schlimmer kommen: Ein Fall ist in der Literatur belegt, bei dem ein Fuchs wie im Wahnsinn an der Käfigtür rüttelte, bis er vor Erschöpfung tot zusammenbrach.
Fell spiegelt Temperament wider
Interessant ist, dass das Fell häufig Aufschluss über das Temperament von Tieren gibt: Der US-Biologe Clyde E. Keeler entdeckte in den 60er Jahren bei Versuchen in einem großen Gehege, dass Füchse je nach ihrer Fellfarbe unterschiedliche Distanzen zum Menschen wählten.

Am scheuesten waren die roten Füchse, die fast außer Sichtweite blieben; die zweitgrößte Entfernung hielten mit rund 70 Metern die silberfarbenen Füchse, perlgraue Tiere blieben etwa 50 Meter auf Distanz, während sich bersteinfarbene Füchse auf fünf Meter, manchmal sogar bis auf 30 Zentimeter heranwagten.
Biochemische Zusammenhänge
Ähnliche Zusammenhänge wurden auch bei Katzen, Hunden, Ratten und Hirschen beschrieben. Der Grund dafür liegt an der engen biochemischen Verbindung von Botenstoffen im Gehirn und Pigmenten im Fell. So werden etwa das Hormon Adrenalin, der Neurotransmitter Dopamin und das Pigment Melanin aus der gleichen Vorläufersubstanz gebildet.

Darüber hinaus weiß man, dass Dopamin selbst Pigment-produzierende Zellen in ihrem Verhalten beeinflusst. Die Beschaffenheit des Fells sagt also auch etwas über den Hormonstatus (und damit das Verhalten) aus.
Belayevs 40-jähriges Züchtungsexperiment

Besonders deutlich zeigte sich diese Verbindung bei einem einzigartigen Zuchtexperiment, das der russische Biologe Dimitri Belayev in den späten 50er Jahren mit Silberfüchsen (Vulpes vulpes) begann.

Dabei brachte er wilde Tier in Gefangenschaft und ließ nur die Zahmsten jeder Gruppe zur Fortpflanzung zu. Das wiederholte er mit mehr als 40.000 Tieren 35 Generationen lang - und vollzog auf diese Weise ein echtes Stück Domestikationsgeschichte:

Die dergestalt gezüchteten Tiere gingen auf Menschen zu, leckten deren Hände, Gesicht und wedelten - wie Hunde - mit dem Schwanz. Sie hatten auch ihr Aussehen verändert: Runde Köpfe, Schlappohren und weiße Flecken im ansonsten schwarzgrauen Fell (Bild rechts).

Damit war klar: Als der Mensch in der Steinzeit begann, Tiere aus ihren natürlichen Populationen herauszulösen und sie zu domestizieren, wurde offenbar primär nach Zahmheit selektiert. Das veränderte Aussehen stellte sich dann gewissermaßen als Nebenprodukt ein.
Soziale Intelligenz als Nebenprodukt
Ähnliches gilt offenbar auch für die manche kognitive Fähigkeiten. Brian Hare von der Harvard University machte vor kurzem Verhaltenstests mit Nachkommen der Belayev-Füchse und entdeckte, dass sie imstande sind, sich in den Menschen quasi einzufühlen, unscheinbare Gesten zu entdecken und auf sie zu reagieren.

Und sie machen das so gut wie Haushunde, obwohl sie nachweislich nicht danach selektiert wurden. Was darauf hinweist, dass es auch bei den Vorfahren des Hundes so gewesen sein könnte: die soziale Intelligenz der Hunde dürfte eine zufälliger Nebeneffekt der Domestizierung sein (Current Biology 15, 226).
Hunde haben andere Hirne als Wölfe
Wenn die Domestizierung Verhalten und soziale Intelligenz ändert, dann müsste sich das auch im Gehirn widerspiegeln. Genau das haben Forscher um Elena Jazin von der Universität Uppsala auch an Hunden nachgewiesen. Sie verglichen die Genaktivierung in deren Gehirnen mit jener von Wölfen und fanden klare Unterschiede (Brain Research, 126
198).

Allerdings ist damit noch nicht gesagt, ob der Unterschied nur durch die vorangegangene Züchtung zustande kommt. Denn schließlich leben Wildtiere in einer völlig anderen Umwelt als Haushunde, was sich ebenfalls in den Gehirnstrukturen niederschlagen sollte.
Versuch unter gleichen Umweltbedingungen
Um das zu beantworten, untersuchten Jazin und ihre Mitarbeiter nun Nachkommen der Belayev-Füchse, die 1996 nach Norwegen gebracht worden waren. Diese wurden unter den selben Verhältnissen gehalten wie eine zweite, wilde Gruppe von Silberfüchsen; infolgedessen waren nun Experimente ohne den Einfluss variierender Umweltbedingungen möglich.

Das Ergebnis: Die Genaktivität der wilden und zahmen Füchse unterscheidet sich gerade in jenen Hirnbereichen, die für Emotionen und Sozialverhalten verantwortlich sind, etwa die Hypophyse und der Mandelkern.

Allerdings fällt auf, wie Jazin und Mitarbeiter schreiben, dass das nur für eine sehr kleine Fraktion der untersuchten Gene zutrifft, nämlich nur für 40 von rund 30.000. Die Lehre daraus: Kleine Unterschiede der Genaktivierung zeigen offenbar große Wirkung auf der Ebene des Verhaltens.

Robert Czepel, science.ORF.at, 23.11.05
->   Elena Jazin, Uppsala University
->   Brian Hare, MPI für Evolutionäre Anthropologie
->   Domestizierung - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010