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Salzburger analysieren Texte von KZ-Überlebenden  
  Nur wenige Berichte über Konzentrationslager wurden breiter bekannt, die meisten Erzählungen verstaubten in Archiven. Salzburger Forscher analysieren nun die Sprache, mit der unbekannte Lagerinsassen ihre Erfahrung ausdrückten. Als Resultat soll ein Handbuch entstehen, das Überlebendenberichte aus ihrer Anonymität holt und der Fixierung auf einige wenige Texte der 'hohen' Literatur entgegenwirkt.  
Gedächtnis der Überlebenden
"In zehn Jahren, beim nächsten feierlichen Gedenken an die Aufdeckung und Befreiung der Nazi-Konzentrationslager, wird unser Gedächtnis der Überlebenden nicht mehr existieren, denn es wird keine Überlebenden mehr geben, die eine Weitervermittlung der eigenen Erfahrungen leisten können, die hinausginge über die notwendige, aber unzureichende Arbeit der Historiker und Soziologen. (¿)", meinte der 82jährige Jorge Semprun anlässlich der Gedenkfeier zur Befreiung des KZ Buchenwald vor 60 Jahren am 11. April 1945.
Zeugnisliteratur bisher nicht systematisch bearbeitet
Der bekannte spanische Schriftsteller war selbst Häftling dieses Konzentrationslagers. Er gehört zu einer Reihe von Überlebenden der KZ´s - von Primo Levi über Ruth Klüger bis zum Literaturnobelpreisträger Imre Kertész -, deren persönliche Schilderungen von Alltag, System und Gräuel der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager in den Kanon der Literatur aufgenommen wurden und weltweit Gehör finden.

Im Gegensatz dazu hat die Mehrzahl der Überlebenden kein breiteres Publikum erreicht. Die Holocaust-Forschung hat das immense Korpus der Zeugnisliteratur bislang kaum gesichtet, geschweige denn systematisch bearbeitet.
Forschungsprojekt: Texte werden ausgewertet
Diesem weißen Fleck in der Gedächtnisforschung widmet sich der Salzburger Romanist Peter Kuon mit seiner interdisziplinären Forschungsgruppe KZ-memoria scripta.

In dem vom FWF geförderten Projekt "Überlebendenberichte aus Mauthausen" wertet ein Team von Nachwuchswissenschaftlern systematisch ein in zweijähriger Vorrecherche erhobenes und archiviertes Korpus von rund 200 Berichten, Memoiren, Tagebüchern, Autobiographien und ähnlichen Texten italienischer, französischer und spanischer Überlebender des Konzentrationslagers Mauthausen aus.
Geschehenes entzieht sich der "Sagbarkeit"
Bild: KZ Mauthausen Memorial
Die Forscher stellen die Frage nach der "Sagbarkeit des Unsagbaren" in den Mittelpunkt ihres Interesses. "Die Autoren von 'Lagertexten' sehen sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, ihre schrecklichen Erlebnisse aus mehr oder weniger großer zeitlicher Distanz rekonstruieren zu müssen", führt Kuon aus.

"Bei der Niederschrift stellt sich aber unweigerlich das Problem der Sagbarkeit, denn das, was geschehen ist, scheint sich in seiner Ungeheuerlichkeit sowohl dem sprachlichen Ausdruck als auch dem nachvollziehenden Verstehen zu entziehen."

Hieraus ergibt sich der besondere Ansatz des Projekts: Die Untersuchung richtet ihr Augenmerk nicht so sehr auf das, "was" die Autoren sagen, als vielmehr auf das "wie", das heißt, mit welcher Sprache, welchen Bildern und Mustern sie ihre Lagererfahrung zum Ausdruck bringen.
Folgt den Spuren eines bestimmten Individuums
 
Bild: KZ Mauthausen Memorial

Die Herausarbeitung der sprachlichen Besonderheit eines jeden Zeugnisses eröffnet, so der Projektleiter, einen neuen Blick auf die Konzentrations- und Vernichtungslager:

"Gerade weil jede dieser Erzählungen nur für eine subjektive Wahrheit steht, erlaubt sie den nachgeborenen Zuhörern oder Lesern eine Annäherung an Lagererfahrung, die insofern spezifischer ist, als sie den Spuren eines bestimmten Individuums folgt."

Bild oben: Die Gedenkstätte Mauthausen
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Am 29. November 2005 wurde in der Gedenkstätte Gusen - einem Nebenlager des KZ Mauthausen - der zweite Teil der Ausstellung "Konzentrationslager Gusen 1939-1945. Spuren - Fragmente - Rekonstruktionen" eröffnet.
->   Informationen zur Ausstellung
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Überlebendenberichte aus Anonymität holen
Am Ende der Projektarbeit soll ein Handbuch stehen, das eine Vielzahl unbekannter Überlebendenberichte aus ihrer Anonymität holt und der Fixierung der Forschung und der Öffentlichkeit auf einige wenige in den Kanon der 'hohen' Literatur aufgenommene Texte entgegenwirkt.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin, 6.12.05
->   Forschungsgruppe "KZ - memoria scripta"
->   Mauthausen Memorial
->   Universum Magazin
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
 
 
 
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01.01.2010