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Jugendliche Raucher bekommen dickere Söhne  
  Männer, die vor der Pubertät zu rauchen beginnen, bekommen offenbar dickere Söhne. Das hat eine britisch-schwedische Studie ergeben. Verantwortlich für diesen Effekt dürften chemische Modifikationen an der DNA sein, vermuten die Autoren.  
Marcus Pembrey vom University College in London geht davon aus, dass der Mensch ein epigenetisches Reaktionssystem besitzt, das sich an den jeweiligen Lebensstil anpasst und erblich ist. Demnach könnte etwa unsere Ernährung die Gesundheit von Folgegenerationen beeinflussen.
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Die Studie "Sex-specific, male-line transgenerational responses in humans" von Marcus E. Pembrey et al. erschien im "European Journal of Human Genetics"( doi: 10.1038/sj.ejhg.5201538).
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Bibelfester Genetiker
Wenn der britische Genetiker Marcus Pembrey seine neuesten Forschungsergebnisse kommentieren soll, dann tut er das gerne mit einem Bibelzitat: "Wenn ich mich recht erinnere, dann sagt die Bibel, dass die Sünden der Väter an den Kindern heimgesucht werden, und zwar bis zur dritten oder vierten Generation."

Pembrey hat Recht. Die Bibelstelle findet sich im zweiten Buch Mose (20, 5) und lautet in der Lutherübersetzung: "Denn ich bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern." Nur: Was hat das mit Genetik zu tun?
Kann die Umwelt das Erbgut formen?
Pembrey forscht in einem jungen Forschungsgebiet, das sich gewissermaßen in der Grauzone zwischen den alten Fronten von nature and nurture ansiedelt: die Epigenetik. Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob Umwelteffekte das Erbgut prägen und selbst spätere Generationen beeinflussen können.

Auf den ersten Blick scheint diese Möglichkeit dem bewährten darwinistischen Dogma zu widersprechen, demzufolge das Genom nur von ungerichteten Mutationen (und Selektion) modelliert wird.

Anders ausgedrückt: Wenn etwa jemand täglich drei Bouteillen Wein und 40 Zigaretten konsumiert, wird sich das vermutlich in dessen Krankengeschichte niederschlagen. Aber auf das Erkrankungsrisiko von Kindern und Enkelkindern sollte das keinen Einfluss haben. Würde man zumindest intuitiv erwarten.
Rauchen ist ungesund - auch für die Söhne
Diese Intuition ist offenbar falsch, wie Pembreys letzte Studie nahe legt. Er untersuchte gemeinsam mit schwedischen Kollegen eine medizinische Datensammlung namens ALSPAC, die zu Beginn der 90er Jahre von rund 14.000 britischen Kindern und deren Eltern angelegt worden war.

Darin fanden sich 166 Väter, die zum damaligen Zeitpunkt Raucher waren und damit bereits mit elf Jahren oder früher begonnen hatten. Diese Gruppe verglich das Team mit Vätern, die ihre Raucherkarriere später begonnen hatten, und fanden bemerkenswerte Unterschiede. Die Söhne der frühen Raucher wiesen einen erhöhten Body-Mass-Index auf.

Dieser Unterschied blieb auch erhalten, wenn sozio-ökonomische und andere verzerrende Faktoren herausgerechnet wurden. Bei Töchtern machte sich hingegen kein Einfluss bemerkbar.
Geschlechtsspezifische Vererbung
Ähnliche Ergebnisse förderte eine Analyse von Aufzeichnungen der nordschwedischen Överkalix-Gemeinde zutage, in der unter anderem die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln seit Beginn des 20. Jahrhunderts erfasst wurde.

Wie Pembrey und Kollegen herausfanden, wiesen Männer eine höhere Lebenserwartung auf, wenn ihre Großväter vor der Pubertät relativ wenig zu essen hatten. Und wieder war dieser Zusammenhang offenbar geschlechtsspezifisch. Bei Großmüttern respektive Enkelinnen war er nicht nachweisbar.
Unbekanntes Reaktionssystem
"Wir glauben, dass es ein körpereigenes Reaktionssystem gibt, das über die Generationen hinweg vererbt wird", kommentiert Pembrey die Studie: "Ein Beispiel dafür ist die gegenwärtig zunehmende Rate von Fettleibigkeit. Vielleicht sollten wir nicht nur den Lebensstil der gegenwärtigen Generation dafür verantwortlich machen. Es könnte auch sein, dass das einfach eine Reaktion auf den Lebensstil unserer Vorfahren ist."

Für diese These spricht, dass bereits im Jahr 2002 solche "transgenerationalen" Effekte auch bei Frauen entdeckt wurden (European Journal of Human Genetics 10, 682).
Epigenetische Muster über Generationen erblich
Allerdings ist nicht klar, auf welche Weise so eine "Vererbung erworbener Eigenschaften" vor sich gehen sollte. Pembrey und Kollegen spekulieren in ihrer Arbeit, dass das Ganze mit epigenetischen Mustern zu tun haben könnte.

Dabei handelt es sich um chemische Modifikationen an der DNA, die darüber entscheiden, ob gewisse Gene in einer Zelle aktiviert werden - oder eben nicht. Mutation passieren bei diesem Vorgang allerdings keine. Das, was hier verändert wird, ist gewissermaßen eine Genetik zweiter Ordnung, die sich nicht auf der Ebene des genetischen Rohmaterials abspielt, sondern auf jener der Gen-Regulation.

Ob es sich dabei um Anpassungen oder nur zufällige Veränderungen handelt, ist indes noch völlig offen, wie etwa Anton Wutz vom Wiener Institut für Molekulare Pathologie im Gespräch mit science.ORF.at betont.

Aus Studien an Fruchtfliegen weiß man jedenfalls, dass epigenetische Änderungen am Erbgut bis zu 40 Generationen erblich bleiben, bevor sie wieder ihren ursprünglichen Zustand annehmen. So gesehen liegt Pembrey mit seiner alttestamentarischen Schätzung von vier Generationen in einem realistischen Bereich.

Robert Czepel, science.ORF.at, 5.1.06
->   Epigenetik - Wikipedia
->   Marcus Pembrey (ALSPAC)
->   Epigenetik im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010