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Wie das Gehirn zu seinen Vorlieben kommt  
  Über Geschmack lässt sich nicht streiten. So weit, so bekannt. Laut einer Studie von US-Neurologen lässt er sich im Gehirn aber genau lokalisieren. Persönlicher Geschmack und Vorlieben sind ihnen zufolge mit Erwartungshaltungen verknüpft, die nichts mit der wahren Qualität des gewünschten Objekts zu tun haben müssen. Sie können auch rein "zufällig" entstehen - etwa durch die Assoziationen, die ein bestimmter Markenname auslöst.  
Wie der neuronale Mechanismus aussieht, durch den Vorlieben entstehen, beschreiben John O'Doherty vom California Institute of Technology (Caltech) und sein Team in der aktuellen Ausgabe von "Neuron".
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Die Studie "Predictive Neural Coding of Reward Preference Involves Dissociable Responses in Human Ventral Midbrain and Ventral Striatum" ist in "Neuron" (Bd. 49, S. 157, 5. Jänner 06) erschienen.
->   Zur Studie
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Süß oder salzig - eine Frage der Erfahrung
Die Vorlieben etwa für verschiedene Geschmacksrichtungen von Nahrungsmitteln ergeben sich aus der Erfahrung. Wem Süßes schmeckt, schmeckt Süßes. Wer Salziges bevorzugt, bevorzugt eben Salziges. Daraus wird mit der Zeit ein persönliches Muster der Vorlieben und der Auswahl.

Damit dieses Muster entstehen kann, so der Ausgangspunkt der Neurologen, ist es notwendig, eine vorhersagende Repräsentation des subjektiven Werts dieses Geschmacks zu entwickeln. Wie das im Gehirn vor sich geht, haben sie sich nun angesehen.
Menschen wie die Pawlowschen Hunde
Als Grundannahme gilt: Menschen funktionieren nicht viel anders als die berühmten Pawlowschen Hunde. Dass Mensch und Tier in der Lage sind, prinzipiell sinnlose Reize mit positiven Erfahrungen oder Erwartungen zu verknüpfen, ist in der Tat lange bekannt.

Der russische Mediziner Ivan Petrowitsch Pawlow hat vor 100 Jahren festgestellt, dass Hunden das Wasser nicht erst beim Fressen oder beim Ansehen von Nahrung im Munde zusammen läuft, sondern auch wenn man klingelt - sofern der Glockenklang Aussicht auf Futter verspricht.

Was als klassische Konditionierung in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen ist, hat das Team um O'Doherty nun zur Erklärung der Entwicklung menschlicher Vorlieben herangezogen.
Fünf Säfte, fünf geometrische Figuren
In einem ersten Schritt stellten die Forscher die Präferenzen ihrer Studienteilnehmer von fünf Säften fest - Johannisbeer-, Melonen-, Grapefruit- und Karottensaft sowie ein geschmack- und geruchsloses Kontrollgetränk - und produzierten eine Rangliste.

Danach begann die Konditionierung: Die Probanden wurden vor einen Monitor gesetzt, auf dem nacheinander fünf verschiedene geometrische Figuren auftauchten. Einige Sekunden danach wurde ihnen automatisch jeweils einer der fünf Säfte in den Mund verabreicht.
Messung einer "unbewussten Konditionierung"
Ihre Aufmerksamkeit lenkten die Studienteilnehmer aber nicht auf diesen Zusammenhang, sondern auf die von den Forschern gestellte Aufgabe: mittels Tastendruck anzugeben, wo auf dem Bildschirm die geometrischen Figuren auftauchten.

Die Probanden wurden also abgelenkt und gleichsam "unbewusst konditioniert". Während dessen wurden mittels Magnetresonanztomographie die Aktivitäten jener Gehirnregionen untersucht, von denen bekannt ist, dass sie mit Belohnungen und Erwartung von Belohnungen zu tun haben.

Um das Ausmaß der erfolgten Konditionierung zu überprüfen, maßen die Forscher zudem die Erweiterung der Pupillen in der Erwartungsphase - also zwischen dem Erblicken des geometrischen Bildes und der Verabreichung des Saftes.
Zentren der Vorlieben: Mittelhirn und Striatum
Die Gehirnscans zeigten deutliche Aktivitätsveränderungen in zwei Gehirnregionen: dem ventralen Mittelhirn und dem ventralen Striatum.

Das ventrale Mittelhirn war umso aktiver, je beliebter das Getränk dem Probanden war, das ventrale Striatum wiederum zeigte eine zweiwertige Reaktion und war sowohl beim beliebtesten als auch beim unbeliebtesten Getränk am aktivsten.
Signale führen zu persönlichen Präferenzen
Auslöser für diese Reaktionen waren nicht die Säfte selbst, sondern die geometrischen Figuren. Laut O'Doherty bedeutet dies, "dass man durch ein Signal, das Belohnung verspricht, Zugang findet zu Information von subjektiven Vorlieben".

Eine Art Gehirnprogrammierung, die durchaus ihre evolutionäre Funktion gehabt haben könnte - indem sie dabei hilft, gute oder schlechte Erfahrungen vorherzusagen.
Gute Aussichten für die Verkaufspsychologen
In der heutigen Zeit erscheint diese Programmierungsmöglichkeit aber als etwas, das Marketingstrategen erfreuen könnte, und alle, die an den "bewussten Konsumenten" glauben, mit Sorge erfüllen.

Die Verknüpfung etwa von Markennamen mit Emotionen und anderen Qualitäten, die nichts mit dem eigentlichen Produkt zu tun haben - das Herstellen der Pawlowschen Glocke -, ist schon jetzt die Hauptarbeit von Werbeindustrie und Verkaufspsychologie.

Mit den neuronalen Grundlagen einer unbewussten Konditionierung könnte ihr Betätigungsfeld noch bunter werden.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 5.1.06
->   John O'Doherty, Caltech
->   Mehr über das Pawlow-Experiment
->   Iwan Petrowitsch Pawlow (Wikipedia)
 
 
 
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01.01.2010