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Tabakindustrie vertuschte Zigaretten-Schädlichkeit  
  Leichte Zigaretten bedeuten für Raucher laut einer kanadischen Studie nicht unbedingt, dass sie auch weniger Schadstoffe aufnehmen. Tabakfirmen haben ihr zufolge jahrelang Glimmstängel extra so hergestellt, dass sie bei Standardtests mit Raucher-Maschinen niedrige Teer- und Nikotinwerte zeigten - die Raucher aber viel größere Mengen inhalierten.  
Das liegt daran, dass die Raucher die ehemals als "light" titulierten Zigaretten viel intensiver nutzen, schreiben David Hammond von der University of Waterloo in Ontario und Kollegen in der Medizinzeitschrift "The Lancet".

Ein Umstand, der von der Tabakindustrie bewusst ausgenutzt und gefördert wurde.
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Die Studie "Secret science: tobacco industry research on smoking behaviour and cigarette toxicity" ist online in "The Lancet" (DOI:10.1016/S0140-6736(06)68077-X; 8.2.06) erschienen.
->   The Lancet
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50 Jahre Kampf gegen das Rauchen
Es ist rund 50 Jahre her, seit erstmals eine direkte Verbindung zwischen Rauchen und der Entwicklung von Krebs hergestellt worden ist.

Seither hat es von Seiten der öffentlichen Gesundheit eine Reihe von Initiativen gegeben, um den Konsum der Glimmstängel zu reduzieren.

Dazu gehören hohe Tabaksteuern, Warnhinweise auf den Packungen, Werbeeinschränkungen und Rauchverbote an öffentlichen Orten. Ebenfalls dazu zählen gesetzliche Vorschriften über die maximalen Mengen an Giftstoffen wie Teer, Nikotin und Kohlenmonoxid.
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Schadstoff-Höchstgrenzen pro Zigarette
In der EU gelten seit dem 1. Jänner 2004 folgende Höchstgrenzen pro Zigarette: Teergehalt zehn Milligramm, Nikotingehalt ein Milligramm, Kohlenmonoxidgehalt zehn Milligramm. Produktbezeichnungen wie "light" oder "mild", die den Eindruck erwecken, dass Tabakwaren weniger schädlich als andere seien, dürfen ebenfalls nicht mehr verwendet werden.
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"Light"-Produkte werden intensiver geraucht
Genau diese Obergrenzen wurden von den Tabakunternehmen aber jahrelang mit einer Reihe von Tricks unterwandert. Wie Hammond und seine Kollegen schreiben, hat British-American Tobacco (BAT) bereits Ende der 1960er Jahre Studien in Auftrag gegeben, die das Verhalten von Rauchern untersuchten.

Als entscheidende Bezugsgröße stellte sich dabei immer die Aufnahme von Nikotin heraus: Zigaretten mit geringeren Nikotinmengen werden vom durchschnittlichen Konsumenten intensiver geraucht als andere - etwa durch mehr oder größere Lungenzüge - und somit nicht weniger Schadstoffe aufgenommen.
Menschen rauchen anders als Maschinen
Die gesetzlichen Höchstgrenzen von Teer, Nikotin und Kohlenmonoxid hantieren mit Standards der ISO - der International Standard Organization. Die Definition eines durchschnittlichen Maschinen-Lungenzugs laut ISO: 35 Milliliter Volumen bei einem Zug pro Minute für die Dauer von zwei Sekunden - bis zu einer bestimmten Zigarettenlänge.

Die BAT-Forscher fanden aber schon sehr früh heraus, dass Menschen rund doppelt so große Lungenzüge machen als die Maschinen der ISO.

Ihre Strategie war es, diesen Unterschied mit Hilfe einer Reihe von Maßnahmen weiter zu vergrößern - denn je mehr Nikotin der Körper aufnimmt, desto größer ist die Abhängigkeit und somit der Konsum.
"Elastische" Zigaretten übertölpeln Standard-Tests
U.a. entwickelte BAT laut den Forschern "elastische" Zigaretten, die bei nur wenig größeren Lungenzügen eine ungleich höhere Menge an Nikotin und Teer aufnehmen ließ. Da sie bei den Maschinentests aber niedrige Werte aufwiesen, wurden sie als "light" etikettiert.

Diese Strategie der vermeintlichen "Niedrig-Teer-Alternativen" für den "gesundheitsbewussten" Raucher wurde intern von BAT-Forscher kritisiert, ihre Produktion aber dennoch fortgeführt.

Erreicht wurde die Elastizität durch eine Vielzahl von Eigenschaften der Zigarette: die Durchlässigkeit des Papiers, die Be- und Entlüftung um die Fingerspitze, die Ausgestaltung des Filters, aber auch die Tabakmischung, wie Hammond und sein Team berichten.
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Geheime Tabakstudien veröffentlicht
Möglich gemacht wurde die Studie von Hammond et al. und viele andere zuvor durch einen Gerichtsstreit, den die US-Tabakindustrie verloren hat. Darin wurde sie aufgefordert, geheime Studien aus den vergangenen Zeiten zu veröffentlichen. 1998 erstmals publiziert umfasst es mittlerweile Unterlagen von acht großen Tabakfirmen, darunter British-American Tobacco und Philip Morris.
->   Tobacco Control Archives
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"Farce der ISO-Standards" beenden
In einem Begleitkommentar meint der Krebsspezialist Simon Chapman von der University of Sydney in "The Lancet", dass die Tabakindustrie jahrzehntelang einen "Sport betrieben hat, die ISO-Standards auszubeuten".

Während sie die Abhängigkeit ihrer Konsumenten als ihr Grundbedürfnis genährt hätte, habe die Tabakindustrie sie zugleich in Sachen Gesundheit getäuscht.

Die "Farce der ISO-Teststandards" müsse beendet werden und die Gesundheitsbehörden passende Antworten finden.

[science.ORF.at, 8.2.06]
->   International Standard Organization
->   WHO über Tabak und Rauchen
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Studie: Tabakindustrie beeinflusste viele Forscher (6.12.05)
->   Ein Viertel der älteren Österreicher ist lungenkrank (10.10.05)
->   Bösewichte im US-Kino: Hinterhältig und Raucher (9.8.05)
->   Wirken Warnhinweise auf Zigarettenpackungen? (27.5.05)
 
 
 
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01.01.2010