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Vom Tier zum Mensch: Gen-Aktivität als Schlüssel  
  Was macht - aus genetischer Sicht - den Menschen zum Menschen? US-Forscher kommen zu dem Schluss, dass die Unterschiede zum Affen weniger aus der Zahl der abweichenden Gene, vielmehr aus der Art ihrer Verwendung resultieren.  
Auslösender Faktor könnten unterschiedliche Lebensbedingungen - etwa die Beherrschung des Feuers - gewesen sein, spekuliert Yoav Gilad von der University of Chicago.
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Die Studie "Expression profiling in primates reveals a rapid evolution of human transcription factors" von Yoav Gilad et al. erschien in "Nature" (Bd. 440, S.242-245; doi:10.1038/nature04559).
->   Zur Studie
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Erbgut: Bis zu 99 Prozent Übereinstimmung
In Genen schlummern die Informationen, wie Proteine als Bausteine für Zellen hergestellt werden, und wie diese letztlich arbeiten. Dabei ist das molekulare Zusammenspiel außerordentlich komplex; selbst kleine Veränderungen können enorme Auswirkungen auf die Anatomie und das Verhalten eines Wesens haben.

Menschen und Affen sind dabei genetisch gesehen sehr enge Verwandte. Bei Schimpansen weisen - je nach verwendeter Untersuchungsmethode - ein bis fünf Prozent des Erbguts Unterschiede zum Menschen auf.
Bausteine oder deren Anordnung?
Hier stellt sich die Frage: Was bewirkt den Unterschied zwischen Mensch und Affe? Sind es Veränderungen an den Proteinen (bzw. den ihnen zugrunde liegenden Genen) oder entsteht evolutionärer Wandel durch eine veränderte Herstellung und Anordnung mehr oder weniger gleicher Proteine?

Die Antwort lautet natürlich "sowohl als auch", dennoch konzentrierten sich groß angelegte Vergleichsstudien bis dato auf die erste Möglichkeit.
Vier Primatenarten verglichen
Ein Forscherteam unter Führung von Yoav Gilad von der Universität Chicago verfolgte nun Möglichkeit Nummer zwei. Sie untersuchten 1.056 Gene in Leberproben von vier Primaten (Mensch, Orang-Utan, Schimpansen, Rhesusaffen).

Dabei nahmen sie die so genannte Gen-Expression unter die Lupe - also die Art und Weise, wie die in der DNA gespeicherte "nackte" Information in ihre biologisch aktive Form übergeführt wird.
->   Gen-Expression - Wikipedia
Rund zehn Prozent der Gene unterschiedlich aktiv
Die Tests ergaben, dass 110 der untersuchten Gene bei Mensch und Schimpanse unterschiedlich exprimiert werden, der Unterschied zu Orang-Utan und Rhesusaffe war erwartungsgemäß größer, nämlich 128 bzw. 176.

Um etwas über die spezifischen Bedingungen der menschlichen Naturgeschichte zu erfahren, identifizierten Gilad und Mitarbeiter darunter jene Gene, deren Expression erst innerhalb der letzten fünf Millionen Jahre verändert worden war - also nach der Trennung der Menschenartigen von den Vorläufern der Schimpansen.
Transkriptionsfaktoren spielen Schlüsselrolle
Bei 14 davon hatte die Verwendung, also Expression offenbar zugenommen, bei fünf nahm sie hingegen ab. Interessantes Detail dieser Analyse: In der Gruppe der stärker verwendeten Gene fanden sich überproportional viele, die so genannte Transkriptionsfaktoren herstellen. Das sind Proteine, die wiederum die Aktivität anderer Gene beeinflussen.

Anders ausgedrückt: Bei den 14 Genen handelt es sich gewissermaßen um Regler, die bestimmen, wann, wo und wie viel Proteine hergestellt werden, ähnlich wie etwa ein DJ keine Musik produziert, sondern bereits existierende Lieder auswählt.

Wie Rasmus Nielsen von der Universität Kopenhagen in einem begleitenden Kommentar (Nature 440, S.161) ausführt, stütze dieses Ergebnis die Ansicht, dass der Übergang vom Tier zum Menschen vor allem auf der Ebene der Gen-Expression erreicht wurde.
->   Transkriptionsfaktor - Wikipedia
Am Anfang war das Feuer
An diesem Punkt kann man freilich weiter fragen: Was könnte die Veränderung der Expressionsmuster ausgelöst haben? Dieses Thema behandelt Yoav Gilad in seiner Studie zwar nicht, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP wagt er indes eine Spekulation: Die Antwort dürfte, so Gilad, in der Interaktion mit der Umwelt zu suchen sein. So stelle etwa die Beherrschung von Feuer einen grundlegenden Unterschied in den Lebensbedingungen zwischen Mensch und Affen dar.

Denn: "Kein anderes Tier kocht sein Essen", erläutert Gilad. "Vielleicht hat etwas im Kochprozess die biochemischen Voraussetzungen für einen maximalen Zugang zu Nährstoffen verändert und das Bedürfnis, natürliche Gifte in Pflanzen- und Tiernahrung zu verdauen." Beweise für diese These gebe es bisher allerdings nicht.

[science.ORF.at/APA/AFP, 9.3.06]
->   Website von Yoav Gilad
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01.01.2010