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Dreiecksbeziehung in der Quantenwelt  
  Das so genannte Dreikörperproblem ist ein altehrwürdiges physikalisches Rätsel, das bereits die Kosmologen des 16. Jahrhunderts beschäftigte. Vor 35 Jahren sagte ein russischer Physiker voraus, dass es dazu ein Pendant in der Welt der Quanten geben müsse. Innsbrucker Forscher haben diesen geheimnisvollen Zustand nun erstmals experimentell nachgewiesen.  
Die Herstellung dieser so genannten Efimov-Zustände gelang einem Team um Rudolf Grimm und Hanns-Christoph Nägerl vom Institut für Experimentalphysik der Uni Innsbruck.
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Die Studie "Evidence for Efimov quantum states in an ultracold gas of caesium atoms" von T. Kraemer et al. erschien in "Nature" (Bd. 440, S. 315-18; doi: 10.1038/nature04626).
->   Abstract
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Schwieriges Dreikörperproblem
Bild: Uni Innsbruck
Vitali Efimov, 1977
Das Zusammenspiel von drei Objekten mathematisch zu beschreiben, gilt in der Physik als schwere Aufgabe. So erwies sich schon die Berechnung der Umlaufbahnen von drei sich gegenseitig anziehenden Himmelskörpern seit den Entdeckungen von Johannes Kepler und Nikolaus Kopernikus als eines der schwierigeren mathematischen Probleme. Die Physiker sprechen deshalb auch vom Dreikörperproblem.

Umso überraschender war es denn auch, als der Russe Vitali Efimov Anfang der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts Dreikörpersysteme in der Quantenwelt beschrieb, deren theoretische Lösung verblüffend einfach war.

Er prophezeite, dass sich drei Teilchen unter Ausnutzung der quantenmechanischen Eigenschaften zu einem Objekt vereinen können, obwohl sie paarweise zu keiner Verbindung imstande sind (Soviet Journal of Nuclear Physics, Bd. 12, S. 589 - 595).
->   Dreikörperproblem - Wikipedia
Mysteriöses Prinzip gilt universell
Noch erstaunlicher: Wenn man die Entfernung zwischen den Teilchen jeweils um einen gewissen Faktor vergrößert, ergeben sich unendlich viele solcher Efimov-Zustände. Seine scheinbar widersprüchlichen Vorhersagen wurden in den ersten Jahren von den Koryphäen der Physik zunächst stark angezweifelt.

In den folgenden Jahrzehnten versuchten sich weltweit zahllose Forschungsgruppen an dem Nachweis dieser mysteriösen Quantenzustände. Das Interesse der Wissenschaft an diesem physikalischen Phänomen ist deshalb so groß, weil es laut Efimov universellen Charakter hat.

So gilt das Gesetz in der Kernphysik, wo die so genannte starke Wechselwirkung für die Bindung der Teilchen in den Atomkernen verantwortlich ist, ebenso wie bei molekularen Verbindungen, die auf elektromagnetischen Kräften beruhen.
M.C. Escher lässt grüßen
 
Bilder: Uni Innsbruck

Ein anschauliches Bild der Efimov-Zustände geben die drei Ringe in obiger Darstellung (links): Nur zu dritt bilden die drei ein stabiles Gebilde, entfernt man einen, so fallen auch die anderen beiden auseinander. Eine ähnliche Figur findet sich auch in dem Wappen der Familie Borromeo aus Norditalien (rechts), weswegen die quantenphysikalischen Zustände mitunter Borromeo-Zustände genannt werden.
->   Borromean Rings Homepage - University of Liverpool
Ménage à trois nahe dem absoluten Nullpunkt
Ein Team um Rudolf Grimm und Hanns-Christoph Nägerl von der Universität Innsbruck hat diese Efimov-Zustände nun erstmals im Experiment nachgewiesen. Die Forscher beobachteten dazu ein ultrakaltes Gas aus freien Cäsiumatomen, das bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt ein Bose-Einstein-Kondensat (BEC) bildet.

Dieser neue Materiezustand hat quantenmechanische Eigenschaften wobei die Kräfte zwischen den einzelnen Teilchen sehr exakt kontrolliert werden können. Auf diese Weise haben die Forscher um Grimm etwa letztes Jahr erstmals Molekül-Cluster in den BEC-Zustand befördert.
->   Bose-Einstein-Kondensat mit Supermolekülen (5.4.05)
Indirekte Beobachtung durch Resonanzen
Mit Hilfe so genannter Feshbach-Resonanzen lassen sich die Abstände zwischen den Teilchen genau einstellen und so auch die Bedingungen für die Dreiteilchenbindung nach Efimov schaffen. Die entstehenden Efimov-Objekte werden dabei nicht direkt beobachtet, sondern indirekt durch einen starken Verlust von Teilchen nachgewiesen.

"Wir können diese drei schwach aneinander gebundenen Teilchen nicht einfangen", erläutert Rudolf Grimm. "Wir sehen sie aber indirekt als sehr drastischen Verlust von Teilchen in unserem ultrakalten Gas, wenn wir ganz bestimmte Magnetfelder anlegen. Ihr charakteristisches Verhalten zeigt sich dann in Efimov-Resonanzen. Eine solche Resonanz haben wir jetzt beobachtet."
->   Feshbach-Resonanz - Wikipedia
Die Suche geht weiter
"Der Efimov-Zustand ist ein schwer zu veranschaulichendes Phänomen, er gilt aber seit Jahrzehnten als eines der größten Geheimnisse der Quantenmechanik", erzählt Hanns-Christoph Nägerl.

"Das Interesse an unseren Daten ist deshalb in der wissenschaftlichen Gemeinschaft auch enorm groß. Nun liegt es an den Theoretikern, mit unseren neuen Daten das Verständnis des Dreikörperproblems zu vertiefen."

Die Innsbrucker Experimentalphysiker wollen unterdessen weiter mit ihren ultrakalten Cäsiumatomen experimentieren und noch andere Efimov-Resonanzen nachweisen. Sie werden dabei vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Europäischen Union unterstützt.

[science.ORF.at, 16.3.06]
->   Institut für Experimentalphysik - Uni Innsbruck
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01.01.2010