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Impulsive Aggression und ihr Gen  
  Aggression kann mit einem bestimmten Gen in Verbindung gebracht werden: Seine "aggressive" Version kann zu veränderten Gehirnstrukturen führen, wodurch betroffene Personen Gefühle und Impulse weniger gut kontrollieren können - und zwar auch ohne den "äußeren" Einfluss der persönlichen Gewalterfahrung, sagen US-Forscher.  
Das haben Gehirn-Scans gezeigt, die Andreas Meyer-Lindenberg von dem National Institute of Mental Health und seine Kollegen bei rund 150 Testpersonen durchführten.
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Der Artikel "Neural mechanisms of genetic risk for impulsivity and violence in humans" ist in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (20. März 2006, DOI: 10.1073/pnas.0511311103) erschienen.
->   Artikel (sobald online veröffentlicht)
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Einflüsse von Genetik und Umwelt
Was führt zur Aggressivität: Einflüsse der Umwelt, die Genetik oder beides? Ein lange andauernder Disput, der sich auch um die Existenz eines "Gewalt-Gens" dreht. Die neurobiologischen Faktoren, die zu Gewalt beitragen, sind noch eher wenig verstanden. Bekannt ist zumindest seit einigen Jahren, dass das so genannte MAO-A-Gen mit impulsiver Gewalt etwas zu tun hat.

Ein Team um Avshalom Caspi vom King's College in London konnte im Jahr 2002 nachweisen, dass eine bestimmte Variante von MAO-A beeinflusst, wie sich eine schlechte Behandlung von Kindern in späteren Jahren des Heranwachsens auswirkt. (Science, Bd. 297, S. 851).
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MAO-A und seine zwei Varianten
Monoaminooxidasen (MAO) sind u.a. am Abbau der Neurotransmitter (Nervenbotenstoffe) beteiligt. Das Gen MAO-A kodiert für das Enzym Monoaminooxidase A und regelt insbesondere die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin.

Vom MAO-A-Gen gibt es zwei Varianten: eine aktivere und eine weniger aktive. Die Mutation zu der weniger aktiven Gen-Version sorgt für eine geringere Konzentration des Enzyms Monoaminoxidase A, es wird daher auch weniger Serotonin abgebaut. Wie einige bisherige Studien gezeigt haben, können Personen auf eine höhere Serotonin-Konzentration gewalttätig reagieren.
->   Monoaminooxidase bei Wikipedia
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Zwei Varianten des Gens
Caspi und sein Team entdeckten unterschiedliche Reaktion der Testpersonen auf die zwei Varianten des MAO-A-Gens: Die Personen, die die hoch aktive Variante des Gens trugen, zeigten - trotz der schlechten Behandlung in der Kindheit - später kein ausgeprägtes anti-soziales Verhalten. Bei der weniger aktiven Variante war das Gegenteil der Fall.

Die Ergebnisse aus dem Jahr 2002 lieferten eine relativ eindeutige Beziehung zwischen Genetik und Umwelt im Zusammenhang mit aggressiven Verhaltensmustern. Gleichzeitig konnte laut den Forschern - wenigstens teilweise - geklärt werden, warum nicht alle schlecht behandelten Kinder zu Gewalttätern werden.
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Serotonin: Große Verwirrung?
Neben den Studien, die eine höhere Serotonin-Konzentration mit aggressivem Verhalten in Verbindung bringen, gibt es aber auch zahlreiche Studien, die Gegenteiliges behaupten - nämlich dass ein Serotonin-Mangel im Gehirn zu übertriebenem aggressivem Verhalten führen kann. Die Rolle des Serotonins scheint damit nicht vollständig geklärt, wie die Universität Köln auf ihrer Website bilanziert.
->   Aggression und Serotonin (Universität Köln)
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Die Kontroll-Funktionen des Gehirns
Der US-Forscher Meyer-Lindenberg und seine Kollegen haben sich in ihrer aktuellen Studie den Einflüssen gewidmet, die die "aggressive" MAO-A-Version auf die Gehirnstrukturen und Kontrollsysteme hat.

Sie testeten 142 Probanden, die weder an psychischen noch nervlichen Krankheiten leideten oder in psychiatrischer Behandlung standen.
Gehirn-Aktivität aufgezeichnet
Bild: A. Meyer-Lindenberg NIMH/PNAS
Die Gehirn-Aktivierung ausgelöst durch Bilder wütender oder ängstlicher Gesichter wird bei Personen mit der weniger aktiven Gen-Version mit Aggression assoziiert.
Die Wissenschaftler zeichneten die Gehirnaktivität mittels Magnetresonanztomografie auf, während die Testpersonen Gefühls- und Verhaltensaufgaben durchführten - so etwa im Rahmen von Gesichtererkennung und beim Ansehen von emotionalen Szenen.

Ihre Ergebnisse: Bei der weniger aktiven Gen-Version hatten die Testpersonen ein kleineres Gehirnvolumen in der Amygdala - einem Bereich, der mit der Angst in Zusammenhang gebracht wird. Auch der Teil des Kortex, der das Verhalten bei emotionalen Prozessen bestimmt, war weniger gut entwickelt.

Als sich die Personen mit der weniger aktiven Variante beängstigende Bilder ansahen oder sich an negative Gefühle erinnerten, zeigte die Amygdala zudem relativ größere Aktivität. Gleichzeitig konnten die Forscher eine Beeinträchtigung des Kortex-Bereichs beobachten, der eine physische Antwort reguliert.
Insbesondere Männer gefährdet
Frühere Studien zeigten bereits, dass vor allem Männer die genetische Disposition aufweisen, die Produktion des Enzyms MAO-A zu drosseln.

Ein Grund: Das Gen MAO-A liegt auf dem X-Chromosom und damit bei Männern nur einfach vor. Frauen besitzen es auf beiden X-Chromosomen und der Effekt eines weniger aktiven MAO-A-Gens kann über das zweite ausgeglichen werden.
MAO-A: Eines von vielen "Aggressions-Genen"
Das MAO-A-Gen ist laut den US-Forschern eines von vielen Genen, die die impulsive Aggression beeinflussen. Und: "Das Gen alleine macht Menschen nicht gewalttätig", erklärt Meyer-Lindenberg: "Doch indem wir seine Effekte bei einer großen Anzahl von normalen Personen studiert haben, haben wir gesehen, wie die Gen-Variante das Gehirn bezüglich impulsivem und aggressivem Verhalten beeinträchtigt."

[science.ORF.at, 22.3.06]
->   National Institute of Mental Health, National Institutes of Health
->   Alle Beiträge zum Stichwort Aggression im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010