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Startschuss für Kernfusionsreaktor in Frankreich  
  Nach rund 40 Jahren Forschung ist im französischen Cadarache am Mittwoch der Startschuss für den Bau des weltweit ersten Kernfusions-Versuchsreaktors im großen Maßstab gefallen.  
Vertreter der Europäischen Union, der USA, Russlands, Chinas, Indiens, Japans und Südkoreas unterzeichneten in Brüssel ein Abkommen, das den Grundstein für den Bau des Versuchsreaktors legt.

Die Kosten für die Errichtung liegen bei rund zehn Mrd. Dollar (7,8 Mrd. Euro). Das Forschungsvorhaben stellt damit das größte Projekt wissenschaftlicher Zusammenarbeit weltweit dar.
Beginn: Wasserstoffbombe vor 60 Jahren
Der Traum von der Kernfusion als vergleichsweise saubere, sichere und nahezu unerschöpfliche Energiequelle ist viele Jahrzehnte alt und begann mit einem Albtraum - in Form der ersten Zündung einer Wasserstoffbombe am 1. März 1954 in der Nähe des Bikini-Atolls.

Dabei wurde das gleiche physikalische Prinzip angewendet, mit dem einmal so genannte Fusionsreaktoren Energie liefern sollen.

Nun soll im Cadarache (Frankreich) mit dem Versuchsreaktor Iter "das erste 1:1-Modell eines kommerziellen Fusionsreaktors" entstehen, wie Fusionsforscher Hannspeter Winter (Technische Universität - TU Wien) es gegenüber der APA ausdrückte.
Imitation der Sonne ...
Bei der Zündung der H-Bombe passierte für einen kurzen Augenblick das, was in der Sonne kontinuierlich abläuft und damit auch unseren Planeten mit Energie versorgt: Es verschmelzen zwei Wasserstoff-Atomkerne zu einem Heliumkern und dabei werden enorme Energien frei.

In der Sonne werden die zwischen den positiv geladenen Kernen wirkenden starken abstoßenden Kräfte durch die hohe Masse des Sterns im Inneren überwunden. Die Teilchen werden, vereinfacht gesagt, durch die Gravitation so stark zusammengequetscht, bis die anziehende Kernkraft die elektromagnetische Abstoßung überwindet.

In der H-Bombe wurde die nötige Start-Energie für die Fusion dagegen mit einer kleinen Atom-Bombe produziert. Dabei entstehen kurzfristig Temperaturen von bis zu 50 Millionen Grad.
... seit langem von Forschungsreaktoren versucht
Die Hauptvoraussetzung für eine friedliche Nutzung der Kernfusion zur Energieerzeugung ist ein kontrollierter Ablauf der Vorgänge. Seit Jahren erprobt man die Sache weltweit in verschiedenen Forschungsreaktoren.

Dabei wird Wasserstoff - genauer gesagt seine beiden Isotope Deuterium und Tritium - hoch erhitzt, bis sich Atomkerne und Elektronen trennen und ein so genanntes Plasma entsteht. Ist die Zündtemperatur erreicht und kommt die Fusion in Gange, muss keine Energie mehr zugeführt werden.

Im Gegenteil, es kommt wesentlich mehr Energie heraus als investiert wurde. Dies soll erstmals in größerem Maßstab bei Iter der Fall sein.
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Baubeginn 2008, Betrieb ab 2015
2008 soll mit dem Bau von Iter begonnen werden. Nachdem der Reaktor rund um 2015 seinen Betrieb aufgenommen hat, soll zwischen 2020 und 2025 die Entscheidung fallen, ob es sinnvoll ist, einen ersten Demonstrations-Kernfusionsreaktor zu bauen.
->   ITER
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Bisher wenig berauschende Erfolge
Am erfolgreichsten waren die Forscher bisher beim 1983 gestarteten europäischen Kernfusionsprojekt JET (Joint European Torus), wo 1997 erstmals eine - kurzzeitige - Rekordfusionsleistung von zwölf Megawatt erzeugt wurde. Damit wurden bereits 65 Prozent der hineingesteckten Energie zurückgewonnen, später wurden sogar 90 Prozent erreicht.

Die Fusion hat gegenüber der Kernspaltung - wie sie in herkömmlichen Atomkraftwerken abläuft - entscheidende Vorteile. Vor allem entstehen gleichsam als Asche keine radioaktiven Spaltprodukte, die dann endgelagert werden müssten. Auch kann ein Fusionsreaktor - so versichern die Wissenschaftler - nicht durchgehen.

Als Hauptprobleme auf dem Weg zur kommerziellen Nutzung der Kernfusion gelten die verwendeten Materialien. Im Reaktor entstehen nicht nur enorme Temperaturen, sondern auch eine hohe Neutronenstrahlung. Diese Strahlung kann etwa Stahl zerstören und auch radioaktiv machen, was wieder zu Entsorgungsproblemen führt.
Ein "Forschungsgerät"
Iter ist, wie Winter erklärt, nach wie vor ein "Forschungsgerät". Es soll bei einer Fusionsleistung von 500 Megawatt erstmals ein für längere Zeit brennendes und Energie lieferndes Plasma erzeugen und damit physikalisch und technisch beweisen, dass es möglich ist, durch Kernverschmelzung Energie zu gewinnen.

Außerdem sollen die wesentlichen technischen Funktionen eines Fusionskraftwerks entwickelt und getestet werden, etwa supraleitende Magnetspulen, das Abführen der erzeugten Wärme-Energie sowie die Entwicklung fernbedient auswechselbarer Komponenten.

[science.ORF.at/APA, 24.5.06]
->   Hannspeter Winter, TU Wien
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Fusionsreaktor ITER wird in Frankreich gebaut (28.6.05)
->   ITER: Der Traum von der unerschöpflichen Energiequelle (27.11.03)
 
 
 
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01.01.2010