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Fledermäuse belauschen Artgenossen  
  Dass Tiere von Artgenossen lernen, kannte man bislang von Primaten, Walen und Vögeln. US-Biologen haben nun gezeigt, dass es soziales Lernen auch bei Fledermäusen gibt: Vertreter der Art Trachops cirrhosus belauschen einander offenbar bei der Suche nach schmackhaften Beutetieren.  
Das sei der erste Nachweis von sozialem Lernen durch akustische Signale, schreiben Rachel Page und Michael Ryan von der University of Texas in einer Studie.
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Die Studie "Social Transmission of Novel Foraging Behavior in Bats: Frog Calls and Their Referents" von Rachel A. Page und Michael J. Ryan erschien in "Current Biology" (Bd. 16, S. 1201-1205, doi: 10.1016/j.cub.2006.04.038).
->   Abstract (sobald online)
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Kopieren und Verbessern
Die japanische Autoindustrie verdankt, so sagt man, ihren Erfolg in den 70er und 80er Jahren dem so genannten Knock-down-System, das durch die Schlagworte "Zerlegen - Kopieren - Verbessern" bekannt wurde. Dahinter steht folgende Idee: Wozu soll man die Welt neu erfinden, wenn andere bereits gute Vorarbeit geleistet haben? Da ist es meist ökonomischer, gute Konzepte zu kopieren, die Schwächen der Konkurrenz zu analysieren und etwaige Verbesserungen anzubringen.
Heureka mit Süßkartoffeln
Ähnliche Strategien gibt es auch im Tierreich. Ethologen erzählen in diesem Zusammenhang gerne die Geschichte des Makakenweibchens Imo, das im Jahr 1953 eine folgenreiche Entdeckung machte.

Damals verteilten Forscher auf der japanischen Insel Koshima Süßkartoffeln, um die dort ansässige Makakenpopulation mit Nahrung zu versorgen. Imo erkannte durch Zufall, dass man den auf Süßkartoffeln haftenden Sand entfernen kann, wenn man sie vor dem Verzehr in Wasser taucht.

Es dauerte nur wenige Generationen, bis ihre Artgenossen das neuartige Verhalten kopierten, in ihr eigenes Repertoire aufnahmen und Imos Entdeckung zum geistigen Allgemeingut der Gruppe wurde.

Später wurde sogar eine Verbesserung angebracht: Während Imo die Süßkartoffeln ursprünglich nur zur Reinigung in Wasser tauchte, lernten die Tiere später, dass man Meerwasser zum Salzen der Nahrung verwenden kann. Seitdem dürfen sich die Affen auf Koshima mit Recht als die Feinschmecker der Spezies Macaca fuscata bezeichnen - Imo sei Dank.
Soziales Lernen weit verbreitet
Heute weiß man, dass die Geschichte von der sandigen Süßkartoffel keinen Einzelfall darstellt. "Soziales Lernen" - die Vorstufe der Traditionsbildung - kommt auch bei vielen anderen Primatenarten, Delfinen, Walen und einigen Vögeln vor. Sowie bei Fledermäusen, wie nun Rachel Page und Michael Ryan von der University of Texas herausgefunden haben.

Bereits im letzten Jahr berichteten die beiden US-Biologen, dass die in Mittel- und Südamerika beheimatete Fransenlippenfledermaus (Trachops cirrhosus) die Paarungsrufe von Fröschen und Kröten belauscht und daraufhin entscheidet, ob der Rufer als Beutetier in Frage kommt (Proceedings of the Royal Society B, Bd. 272, S. 841).
Ungenießbare Beute am Ruf erkennen

Trachops cirrhosus verspeist einen Tungara-Frosch
Das ist deswegen bedeutsam, weil nicht wenige Amphibien giftig sind und deswegen besser vom Speiseplan gestrichen werden sollten. Ein Beispiel dafür ist etwa die Aga-Kröte, deren Haut mit einem milchig-weißen Sekret überzogen ist, das die Schleimhäute reizt und im schlimmsten Fall sogar tödlich wirkt.

Und selbst wenn die Aga-Kröte nicht über derart wirksame chemische Waffen verfügte, wäre sie für die Fransenlippenfledermaus tabu. Denn die Kröte agiert mit einer Körpermasse von ein bis zwei Kilogramm (!) im Superschwergewicht der Froschlurche, während Trachops cirrhosus mit 30 Gramm wohl eher zu den Leichtgewichten zu zählen ist.

Kein Wunder also, dass Fransenlippenfledermäuse zunächst kein Interesse für Paarungsrufe der Aga-Kröte zeigten, die ihnen im Experiment vorgespielt wurden. Dennoch gelang es Page und Ryan, einigen Tieren die Aversion abzugewöhnen und gleichsam in ihr Gegenteil umzukehren: Die Fledermäuse lernten, die Rufe als Signal für ein schmackhaftes Mahl wahrzunehmen, das ihnen gleichzeitig mit den Hochzeitsgesängen der Aga-Kröte angeboten wurde.
Lauschangriff auf Artgenossen
Wirklich interessant wurden die Versuche, als Page und Ryan die die dergestalt gedrillten Fledermäuse ("Tutoren" genannt) mit Artgenossen zusammenbrachten, die noch keinerlei Lerntraining absolviert hatten. In dieser Situation brauchte es im Schnitt 5,3 Versuche, um den Neuankömmlingen die Verbindung "Krötenruf = Mahlzeit" beizubringen. Waren hingegen keine Tutoren vorhanden, scheiterten die meisten Tiere an der gestellten Aufgabe. Und falls nicht, benötigten sie dazu mehr als 80 Versuche.

Schluss der Forscher: Bei der Suche nach neuen Nahrungsquellen belauschen die Fransenlippenfledermäuse offenbar auch den einen oder anderen Artgenossen. Welche Geräusche die Tiere im konkreten Fall auf die richtige Spur gebracht haben, ist allerdings noch offen. Denkbar wären etwa Ultraschallsignale bei der Echoortung der Beute oder - profaner - Schmatzgeräusche beim Verzehr derselben.

Robert Czepel, science.ORF.at, 20.6.06
->   Fransenlippenfledermaus - Wikipedia
->   Aga-Kröte - Wikipedia
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01.01.2010