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Homosexualität: "Brüder-Phänomen" ist biologischer Natur  
  Je mehr ältere Brüder ein Mann hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass er gleichgeschlechtliche Beziehungen im Liebesleben bevorzugt. Dieser bereits bekannte Zusammenhang greift allerdings nur, wenn die älteren Brüder von der gleichen Mutter abstammen, ergab nun eine kanadische Studie.  
Mit seiner Untersuchung will der Psychologe Anthony F. Bogaert von der Brock University in St. Catharines erkannt haben, dass Ursachen dafür in biologischen Faktoren - genauer gesagt während der Schwangerschaft - zu suchen sind; psychologische und soziale Faktoren sollen hingegen keine Rolle spielen.
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Der Artikel "Biological versus nonbiological older brothers and men's sexual orientation" ist in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences (26.-30. Juni 2006, DOI: 10.1073/pnas.0511152103).
->   Abstract (sobald online veröffentlicht)
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Zusammenhang vor zehn Jahren entdeckt
Theorien, was zur Homosexualität beim Menschen führt, gibt es viele - gespeist aus den Erkenntnissen der Biologie auf der einen und der Psychologie und Soziologie auf der anderen Seite. Mehr oder weniger einig ist sich die Fachwelt: Die eine Ursache gibt es nicht.

Das "Ältere-Brüder-Phänomen" bietet zumindest statistisch Klarheit: Dass die Anzahl älterer Brüder die sexuelle Neigung eines Mannes bestimmen kann, wurde bereits durch mehrere Studien in unterschiedlichen Ländern bestätigt.

Als die Entdecker des Phänomens werden Ray Blanchard und Bogaert, Autor der aktuellen Studie, genannt, die vor rund zehn Jahren auf den brüderlichen Link kamen (American Journal Psychiatry 1996, Bd. 153, S. 27).
Mit jedem weiteren Bruder eher wahrscheinlich
Seitdem gehen die Experten davon aus, dass mit jedem älteren Bruder die Wahrscheinlichkeit um 33 Prozent steigt, dass der Mann homosexuell orientiert ist bzw. einmal sein wird.

Allerdings sollen ältere Brüder nur bei jedem siebten homosexuellen Mann der Grund für seine Homosexualität sein - auf jeden Fall in Nordamerika, schreiben David A. Puts und Kollegen von der Michigan State University in einem Begleitartikel zur Studie.

Die Korrelation von älteren Geschwistern und Homosexualität konnte für die Frau und ihre Schwestern bisher noch nicht nachgewiesen werden.
Biologische oder psychosoziale Ursachen?
Bisher auch eher vage: Ob das Phänomen, im Englischen der Fraternal Birth Order (FBO) Effect, ursächlich an biologische oder psychosoziale Faktoren gebunden ist. So könne - neben pränatalen Faktoren - beispielsweise auch das lange Zusammenleben mit der großen Anzahl an Brüdern zur Homosexualität führen, wie Bogaert anführt.

Um diese Wissenslücke zu schließen analysierte Bogaert fast 1.000 Fälle von hetero- und homosexuellen Männern in Kanada. Diese hatten entweder Brüder, mit denen sie biologisch verwandt waren (gleiche Mutter) oder eben nicht (von den Eltern adoptierte Brüder oder Stiefbrüder, die von einer anderen Mutter abstammten).
"Hauptsache": Gleiche Mutter
Das Resultat: Ein Zusammenhang zwischen Anzahl der Brüder und Homosexualität konnte nur da nachgewiesen werden, wo eine mütterliche Verwandtschaft zwischen dem Mann und den Brüdern vorlag.

Dabei spielte der Umstand, ob die Brüder zusammen oder getrennt aufgewachsen waren, keine Rolle. Bogaert will damit pränatale Ursachen für den Zusammenhang bestätigt haben.
Genauere biologische Mechanismen ungeklärt
Welche biologischen Mechanismen dafür in Frage kommen, hat Bogaert im Rahmen der aktuellen Studie nicht weiter erhoben. Allerdings gibt es dazu bereits eine Reihe von Hypothesen: So wird das Alter der Mutter als mögliche Ursache betrachtet - oder der Stress, den eine Mutter während der Schwangerschaft erlebt, sowie eine Immunreaktion während der Schwangerschaft.
Immunreaktion während Schwangerschaft
Bogaert wie auch Puts et al. führen als wahrscheinliche Ursache eine Immunreaktion der Mutter näher aus.

Bei der Immunreaktion entwickelt die Mutter nach dem ersten Sohn Antikörper als Reaktion auf spezielle männliche Proteine, die u.a. auch auf dem Y-Chromosom sitzen. Diese Antikörper werden bei folgenden Schwangerschaften über die Plazenta an den Nachwuchs weitergeben. Damit könne die Entwicklung von späteren Söhnen, aber nicht die der Töchter, beeinflusst werden, schreiben die Forscher.

Die Immunreaktion konnte im direkten Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung des Nachwuchses aber noch nicht bewiesen werden.

[science.ORF.at, 27.6.06]
->   Anthony F. Bogaert
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01.01.2010