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Auch Mäuse haben Mitgefühl - ein bisschen  
  Empathie oder Einfühlungsvermögen gilt als typisch menschliches Verhalten. Allenfalls Menschenaffen gesteht man es noch zu. US-Psychologen berichten nun, dass auch Mäuse zur Empathie fähig sind - zumindest in rudimentärer Form.  
Ein Team um Jeffery S. Mogil von der McGill University in Montreal fand heraus, dass das Schmerzempfinden von Mäusen durch die Anwesenheit von Artgenossen verändert werden kann: Wurden zwei Käfiggenossen gleichzeitig einer schmerzhaften Behandlung unterzogen, reagierten sie deutlich sensibler, als wenn einander fremde Mäusen behandelt wurden.
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Die Studie "Social Modulation of Pain as Evidence for Empathy in Mice" von Dale J. Langford et al. erschien in "Science" (Bd. 302, S. 1967-70; doi: 10.1126/science.1128322).
->   Abstract
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Typisch menschlich?
Als der deutsche Psychologe Theodor Lipps gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Begriff der "Empathie" einführte, meinte er damit das Vermögen, sich in andere Personen, d.h.: Menschen einfühlen zu können. Von Tieren war damals nicht die Rede. Und das blieb auch lange so. Empathie wurde demgemäß als typisch menschliche Eigenschaft angesehen, die gewissermaßen als Adelsprädikat nur Homo sapiens zukommt. Später zeigten jedoch Ethologen, dass offenbar auch Menschenaffen zu mitfühlendem Verhalten imstande sind.

Der Primatenforscher Frans de Waal bemerkte einmal spitz, dass viele Forscher offenbar große Angst davor hätten, nicht menschlichen Lebewesen Empathie zuzugestehen, weil dieses Wort zu wenig exakt und wissenschaftlich klinge. Stattdessen ersetze man es gerne durch den Begriff "Sympathie" oder noch neutralere Vokabel.

De Waals Nachsatz: So gesehen sei es durchaus in Ordnung, dass es mittlerweile eine Neuinterpretation eines Stones-Klassikers gibt, die da lautet: "Empathy for the devil".
->   Empathie - Wikipedia
Schmerz ist sozial modulierbar
Weniger ängstlich bei der Zuschreibung von Empathie dürften kanadische Psychologen um Jeffery S. Mogil sein, die soeben eine Studie über das Verhalten von Mäusen publiziert haben. Die Forscher verabreichten den Versuchstieren eine Spritze in der Bauchgegend, woraufhin diese eine stereotype Schmerzreaktion zeigten. In einem zweiten Versuch wiederholten die kanadischen Psychologen das Procedere, nur diesmal mit zwei Käfiggenossen, die einander beobachten konnten.

Das Ergebnis: Die Schmerzreaktion dauerte deutlich länger an. Unverändert blieb die Reaktion hingegen, wenn die Forscher Paare von einander fremden Tieren behandelten. In einem dritten Versuch wiesen Mogil und Mitarbeiter nach, dass die Tiere offenbar nicht das Verhalten ihres Gegenüber imitieren, sondern durch die Anwesenheit von Käfiggenossen tatsächlich sensibler wurden.
Aufeinander eingestellt
Bei der Interpretation der Versuche kommt es freilich darauf an, was genau man unter dem Begriff "Empathie" versteht: Das Experiment qualifiziere vermutlich nicht Mäusen Empathie in der Art und Weise zuzuschreiben, wie der Begriff in der Alltagssprache verwendet wird, betont etwa Frans de Waal.

Dennoch dürften Mäuse das Erleben ihrer Artgenossen in irgendeiner Form wahrnehmen: "They're in tune with each other", so der Primatenforscher gegenüber "Science".
Begriffliche Abschwächung: "Gefühlsansteckung"
Ähnlich sieht das Tania Singer, die an der Universität Zürich über Schmerz und Empathie bei Menschen forscht: "Philosophen würden vermutlich argumentieren, dass Empathie an das Vorhandensein von Bewusstsein gebunden ist", sagt die Kognitionswissenschaftlerin:

"Und Psychologen würden wiederum Beweise für altruistisches Verhalten fordern". Mäuse entsprächen diesen Kriterien vermutlich nicht, so Singer. Sie schlägt daher vor, das mitfühlende Verhalten der Nager eher als "emotional contagion" - d.h. "Gefühlsansteckung" zu bezeichnen.
->   Emotional contagion - Wikipedia
"Keine Nachahmung - eher wie Gähnen"
Das kannten freilich schon die Pioniere der Ethologie, nur nannten sie es "Stimmungsübertragung". Konrad Lorenz etwa schrieb in seinem 1935 erschienen Artikel "Der Kumpan in der Umwelt des Vogels" über die Stimmungsübertragung bei Vögeln:

"Es wird hier bezeichnenderweise eine Triebhandlung des einen Tieres durch die gleiche Triebhandlung des Kumpans ausgelöst. Bei Beobachtung dieses Verhaltens müssen wir eingedenk bleiben, dass dies keine Nachahmung ist. Zur Nachahmung einer zweckmäßigen Verhaltensweise ist kein Vogel befähigt..."

Und fuhr fort: "Diese Art von scheinbarer Nachahmung beruht auf der bei Vögeln sehr weit verbreiteten Erscheinung, dass der Anblick des Artgenossen in bestimmten Stimmungen, die sich durch Ausdrucksbewegungen äußern, im Vogel selbst eine ähnliche Stimmung hervorruft. Dazu sind die Ausdrucksbewegungen ja eben da. Wenn man schon durchaus eine Analogie mit menschlichem Verhalten heranziehen will, so kann man sagen, die betreffende Reaktion 'wirke ansteckend' wie bei uns das Gähnen."

Robert Czepel, science.ORF.at, 30.6.06
->   Website von Jeffery S. Mogil
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01.01.2010