News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Irak & Co: Massive Probleme der arabischen Forschung  
  Die Wissenschaft im arabischen Raum ist mit Schwierigkeiten aller Arten konfrontiert: von der Unterfinanzierung der Forschungsprogramme bis zur körperlichen Bedrohung der Akademiker. Alleine in den Wirren des Irak-Krieges dürften nach Schätzungen bisher mehrere hundert getötet worden sein. Es gibt aber auch hoffnungsfrohe Nachrichten. Vor wenigen Tagen wurde das neue, panarabische Forschungsprogramm "Isdihar" etabliert - und das steht übersetzt für "Wohlstand".  
Ausgerufen wurde das Programm vom Arabischen Wissenschafts- und Technologiefonds (ASTF) mit Sitz in Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Die panarabische Institution funktioniert wie andere nationale Fördereinrichtungen, bietet Projektförderungen sowie Stipendien an und veranstaltet wissenschaftliche Leistungsschauen - wie das Scientific Research Outlook Symposium vor zwei Jahren in Riad/Saudi Arabien.
Kommerzialisierung für Wohlstand
Wie die Fachzeitschrift "Nature" in ihrer jüngsten Ausgabe berichtet, hat der ASTF im Juni sein bisher ambitioniertestes Programm gestartet: Isdihar soll sich mit Problemen der Landwirtschaft, der Gesundheit, von Energie und Umwelt beschäftigen und dabei den Wohlstand der arabischen Gesellschaft erhöhen.

Im Mittelpunkt soll nach seinen Proponenten dabei eine stärkere Kommerzialisierung des Wissens als bisher stehen.
Politische Uneinigkeit
Ob Izidhar seine Versprechen halten wird, scheint fraglich. Ähnliche Projekte in der Vergangenheit scheiterten an ihrer konkreten politischen Realisierung.

So wurde 2004 z.B. ein transnationaler Forschungsfonds vom pakistanischen Präsidenten Musharraf initiiert und von den Wissenschaftsministern aller 57 Mitgliedsstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz unterstützt.

Allein die Finanzierung ist bis heute nicht gesichert, weil die Regierungen finanzstarker Länder wie Kuwait oder Saudi-Arabien bisher wenig überzeugt scheinen.
Hunderte ermordete Forscher im Irak
Noch dramatischer ist die Situation im Irak: Akademiker und Wissenschaftler scheinen bei den fast täglichen Anschlägen zu den bevorzugten Opfergruppen zu gehören. Einer der ersten Ermordeten war Muhammead a-Rawi, der Präsident der Universität von Bagdad, der am 27. Juli 2003 einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war.

Auch wenn es im allgemeinen Durcheinander keine offiziellen Zahlen gibt, schätzen Beobachter die Zahl ermordeter Wissenschaftler und Akademiker auf mehrere hundert. Über 2.000 sollen bereits ins Ausland geflüchtet sein.
Rache und Sabotage
Gründe zu finden, warum ausgerechnet Forscher überproportional zu den Opfern zählen, ist schwierig. "Strafverfolgung" in unserem Sinne gibt es nicht. Viele Akademiker gehörten zweifellos zum alten Machtapparat unter Saddam Hussein, meint der Mikrobiologe Dlawer Ala'Aldeen von der Universität Nottingham in "Nature". Rache ist also vermutlich ein Motiv.

Ganz allgemein würden die Universitäten aber das gesamte Land widerspiegeln, mit seinen Zerrissenheiten zwischen säkularen, islamischen und anderen Teilen. Die Morde an Akademikern wären dann vor allem der Versuch von radikalen Kräften - nicht zuletzt von Anhängern der Ba'ath-Partei Saddam Husseins - den Wiederaufbau des Landes und "Normalität" zu sabotieren.
"Dezimierung der säkularen Mittelklasse"
Vermutungen, wonach mit den USA verbündete Todesschwadronen für die gezielte Ermordung von Wissenschaftlern verantwortlich sind, hält "Nature" für "Verschwörungstheorien".

Ganz im Gegensatz zum "BRussels Tribunal", einem nach dem Vorbild des "Russel Tribunals" (gegen den Vietnam-Krieg vom britischen Philosophen Bertrand Russel eingerichtet) gegründeten Netzwerkes. Darin befinden sich Menschenrechts-Kämpfer wie der Linguist Noam Chomsky, mehrere Literaturnobelpreisträger (wie Dario Fo) und viele andere Politik-Aktivisten.

Im April bezeichneten sie in einer Petition die Ermordung von Akademikern im Irak als "Dezimierung der säkularen Mittelklasse, die sich der Vereinnahmung durch die US-Besatzer entzogen hat".
Nur wenige Hoffnungsschimmer
Was auch immer genau hinter den gezielten Attentaten steht, niemand geht davon aus, dass sie sehr bald aufhören werden.

Wenig erfreulich gestaltet sich auch der internationale Austausch der irakischen Wissenschaftler. Wie der Mikrobiologe Ala'Aldeen von der Universität Nottingham berichtet, sei der Kontakt zu seinen irakischen Kollegen und Studenten - denen er in der Vergangenheit immer Aufenthaltsmöglichkeiten in England besorgte - zurzeit komplett abgerissen.

Einen Hoffnungsschimmer sieht er aber im kurdischen Norden des Iraks, in den sich viele Forscher geflüchtet haben. Dort haben universitäre Wiederaufbauprogramme bereits begonnen und auch sein nächstes wissenschaftliches Symposion möchte er dort im nächsten April abhalten.

[science.ORF.at, 30.6.06]
->   Arabischer Wissenschafts- und Technologiefonds (ASTF)
->   BRussels Tribunal
->   Nature
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Neues Buch: Thesen zum Rückstand des Orients (14.11.05)
->   Islam: "Renaissance des Wissens" braucht Freiheit (29.11.04)
->   Arabische Wissenschaftler kritisieren US-Intellektuelle (4.4.02)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010