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Das "Testament" des Paul Feyerabend  
  Der Slogan "Anything goes!" machte ihn berühmt. Der österreichische Philosoph Paul Feyerabend war zeitlebens einer der schärfsten Kritiker der traditionellen Wissenschaftstheorie: Doch Feyerabends Werk ist vielschichtiger, als es die populären Thesen seiner anarchistischen Erkenntnistheorie vermuten lassen. Das zeigt nicht zuletzt sein intellektuelles Testament, das zwölf Jahre nach seinem Tod in Buchform erschienen ist.  
Verhinderter Opernsänger
Eigentlich wollte er Physiker oder Opernsänger werden. Schlussendlich wurde Paul Feyerabend Wissenschaftsphilosoph - und die Berufswahl war wohl nicht die schlechteste. Denn Feyerabend entwickelte einen ganz eigenständigen, unkonventionellen Argumentationsstil, mit dem er ab den 1960er Jahren immer wieder für Unruhe im philosophischen Establishment sorgte.

Der österreichische Philosoph Kurt Rudolf Fischer, der mit Feyerabend an der University of California in Berkeley Freundschaft schloss, erinnert sich:

"Feyerabend war, das muss man zuerst einmal sagen, ein außergewöhnlicher Mensch. Er hatte Philosophie studiert, ohne philosophische Vorlesungen zu belegen. Er hat dann - damals war das möglich - eine philosophische Dissertation geschrieben. Er hat immer gesagt, dass er eigentlich ein Physiker sein wollte, aber dass er nicht gescheit genug war. Er hat die Physiker sehr bewundert."
"Pedanten und Nagetiere"
Als liebstes Angriffsziel diente Feyerabend vor allem Karl Popper und der von ihm begründete kritische Rationalismus. "Popper ist kein Philosoph, sondern ein Pedant" schrieb er einmal. Und Kollegen, die Wissenschaftstheorie allzu trocken und konventionell betrieben, waren für ihn ohnehin "Nagetiere".

Sein sachlicher Hauptvorwurf gegenüber dem kritische Rationalismus lautete, dass er die Forschung in eine Schablone methodischer Standards pressen wolle und daher Mehrdeutigkeiten auf dem Weg zu neuen Entdeckungen unter den Teppich kehre - Mehrdeutigkeiten, die nach Feyerabend zum Wesen der Wissenschaft gehören.

Auffällig an diesen Thesen war nicht nur ihr Inhalt, sondern auch die Art und Weise, wie sie vorgetragen wurden. Feyerabend gab sich nämlich gerne als enfant terrible der Philosophenzunft und garnierte seine Schriften bisweilen mit Witzen und bewusst gesetzten Widersprüchen.
Sitzungsclown
Einen ausgeprägten Hang zu Blödeleien hatte Feyerabend offenbar auch im Umgang mit seinen Institutskollegen, wie Kurt Rudolf Fischer gegenüber science.ORF.at berichtet:

"Er war eigentlich ein schrecklicher Kollege: Sie wissen ja vielleicht, dass in Amerika die Professoren regelmäßig zusammen gekommen sind und gewisse Institutsangelegenheiten besprochen haben. Da kam es einmal vor - und das, glaube ich, charakterisiert den Feyerabend sehr als Kollegen: Man musste einen Philosophen anstellen. Und Feyerabend hat diese Diskussion sehr gestört, indem er seine Blödeleien vorgetragen hat."

"Da hat ein Professor gesagt: 'Was du vorschlägst, wäre doch ganz einfach, die Tür aufzumachen, raus zu gehen und dem ersten, der vorbeigeht, eine Professur zu geben.' Und da hat Feyerabend gesagt: 'Ich bin sehr glücklich, dass du mich so gut verstanden hast.'"
Wider das Absolute
Gleichwohl hatten Feyerabends Überlegungen stets einen ernsten Hintergrund: In seinem Spätwerk "Erkenntnis für freie Menschen" kritisierte er etwa den Absolutheitsanspruch des wissenschaftlichen Weltbildes und plädierte dafür, auch andere Traditionen und Denkweisen zuzulassen.

Das hat zunächst gesellschaftliche Konsequenzen, wie Fischer betont: "Feyerabend war dafür, dass Menschen, die sich zusammenfinden, politische Entschlüsse fassen sollen, und war auch dafür, dass man die Wissenschaft, die sich ja dauernd ändert, mit großer Behutsamkeit zu Rate zieht - aber dass man sich nicht von ihr beherrschen lässt."
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Anything goes
Wer sich dem reichen, von der Geschichte gelieferten Material zuwendet und es nicht darauf abgesehen hat, es zu verdünnen, um seine niederen Instinkte zu befriedigen, nämlich die Sucht nach geistiger Sicherheit in Form von Klarheit, Präzision, "Objektivität", "Wahrheit", der wird einsehen, dass es nur einen Grundsatz gibt, der sich unter allen Umständen und in allen Stadien der menschlichen Entwicklung vertreten lässt. Es ist der Grundsatz: Anything goes. (Aus: Wider den Methodenzwang).
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Plädoyer für die Fülle
In den frühen 1990er Jahren begann Feyerabend auch die erkenntnistheoretischen Aspekte dieser Haltung zusammenzufassen. Dieses letzte Buchprojekt konnte er jedoch nicht mehr abschließen - Feyerabend starb im Februar 1994 an einem Gehirntumor.

Das Manuskript, ein aufschlussreiches Testament seines Denkens, wurde vor kurzem unter dem Titel "Die Vernichtung der Vielfalt" publiziert. Der Titel ist in diesem Fall auch Programm: Feyerabend zufolge gab es in der Geistesgeschichte immer wieder Übergänge, bei denen bunte, vielgestaltige Weltbilder durch Abstraktionen und Stereotypen ersetzt wurden, was letztlich zu einer Verarmung der Wahrnehmung führte.
Vermittlung einer Haltung
Er diskutiert diese These anhand von Beispielen aus Homers Ilias, der antiken Philosophie und der Kunstgeschichte. Wobei es vermutlich gar nicht so sehr auf die von ihm gewählten Beispiele ankommt. Das, was Feyerabend letztlich vermitteln will, ist eine Haltung, die den Wert der Vielfalt anerkennt und sich gegen jede Art geistiger Monotonie richtet.

Beispielsweise jene Monotonie, die, so Feyerabend, durch die Dominanz der neuzeitlichen Wissenschaft bewirkt wurde. Allerdings wäre es grundfalsch, seinen Standpunkt als wissenschaftsfeindlich oder irrational zu bezeichnen. Er ist vielmehr anti-wissenschaftlich im Sinne einer neuen Aufklärung.

Robert Czepel, science.ORF.at, 28.7.06
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Buchhinweis
Paul K. Feyerabend, "Die Vernichtung der Vielfalt. Ein Bericht"; Herausgegeben von Peter Engelmann, aus dem Englischen von Volker Böhnigk und Rainer Noske; Passagen-Verlag: 344 Seiten. ISBN 3-85165-633-4
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Hör-Tipp
Dem Thema widmet sich auch die Ö1-Sendung "Dimensionen - Magazin" am Freitag, 28.7.06, 19:05 Uhr.
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01.01.2010