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Zweifelhafte Auszeichnung: Das Goldene Vlies  
  Forschung, die aus öffentlichen Mitteln gefördert wird, muss sich auch kritisieren lassen: Das war das Motto des amerikanischen Politikers und Senators William Proxmire. 1975 verlieh er erstmals das "Goldenen Vlies" für verschwendete Steuermittel. Nach seinem Tod vor einem halben Jahr erinnert sich nun eine Branche an ihn, die besonders oft zur Zielscheibe seines Spotts wurde: die Psychologie und Verhaltensforschung.  
In der aktuellen Ausgabe des Journals "Observer", herausgegeben von der Association for Psychological Science, setzen sich prominente "Opfer" Proxmires noch einmal zur Wehr und formulieren Gegenstrategien für die Zukunft.
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Der "Observer" (Bd. 19, Juni 2006) widmet sich dem Thema unter dem viel sagenden Titel "All that's gold does not glitter".
->   Observer
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Ein Exzentriker mit Werten
Bei der Wahl seiner politischen Positionen verhielt sich der Demokrat William Proxmire durchaus eklektisch. Er war gegen das Recht auf Abtreibung, aber auch ein vehementer Kritiker des Vietnamkriegs - und setzte sich jahrzehntelang für die Ratifizierung eines Gesetzes zur Bestrafung von Völkermord ein.

Seine Persönlichkeit wurde von vielen als exzentrisch empfunden - vielleicht lag es an seiner Einheiratung in den Rockefeller-Clan, die ihn Verschwendungen aller Art verachten ließ.

Am Ende seiner politischen Laufbahn meinte er: "Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, die Mitglieder des Kongresses davon zu überzeugen, die Steuergelder so auszugeben, wie wenn es ihre eigenen wären. Aber das ist mir nicht gelungen."
->   William Proxmire (eng. Wikipedia)
"Ehrung" seit 1975
Höhepunkt seines Kreuzzuges gegen Steuerverschwendung war das "Goldene Vlies" ("Golden Fleece") - eine eigene, höchst zweifelhafte Auszeichnung, die er 1975 kreiert hat.

Der Preis spielte nicht nur auf das Fell des goldenen Widders aus der griechischen Mythologie an, sondern auch auf die Geldverschwendung - "fleece" bedeutet im Englischen auch "jemanden zu schröpfen".
Fliegensex und andere Körperstudien
"Geehrt" wurden damit unterschiedliche Institutionen, sehr häufig aber Wissenschaftler und ihre Forschungsvorhaben: von der "Sexualität der Schraubenwurmfliege" über die "Körpermaße amerikanischer Stewardessen" bis zu "Sozialbeziehungen in peruanischen Bordellen" gab Proxmire Forschung aus seiner Sicht der Lächerlichkeit preis.

Die Gastgeber diverser amerikanischer Talkshows bedienten sich nur zu gerne seiner Recherchen. Vor allem die Sozial- und Verhaltenswissenschaften standen oft im Mittelpunkt von Kritik und Spott.
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Top Ten: Alkoholiker-Fische und Basketballtherapie
In der "Rangliste der größten Verschwendungen an Steuergeldern" enthalten sind auch wissenschaftliche Projekte: eine Studie zur "Auswirkung von Alkohol auf das Aggressionsverhalten von Fischen", eine Arbeit zu den "Gründen, warum Menschen auf dem Tennisplatz lügen" und ein Projekt von Psychiatern, die ihre Patienten Basketballspielen "zufällig" trafen, um sich dort in entspannter Atmosphäre zu unterhalten.
->   Top Ten
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Forschung zu Liebe unerwünscht
Die ersten, die mit dem Preis ausgezeichnet wurden, waren im März 1975 die Psychologinnen Ellen Berscheid und Elaine Hatfield. Ihre Forschungen zu "romantischer Liebe" entzündeten nach Erhalt des "Goldenen Vlies" hitzige Debatten.

Vor allem konservative Kreise schossen sich auf die beiden Frauen mit dem Argument ein, dass man "von Gott bestimmte Kräfte wie die Liebe" nicht hinterfragen oder entschlüsseln solle.

Die Folgen der Aufregung: Die beiden Forscherinnen erhielten zahlreiche Drohbriefe, ihre Arbeiten wurden nie wieder von der öffentlichen Hand unterstützt, Berscheid berichtet von persönlichen Konsequenzen wie der Scheidung von ihrem Mann.
Warum Fußgänger lächeln - unwichtig?
Im März 1980 bekam der Verhaltensforscher Robert Kraut von der Carnegie Mellon University das "Goldene Vlies" für seine Forschungen, "warum Bowler, Hockey-Fans und Fußgänger lächeln", verliehen.

Wie Kraus im "Observer" selbst ausführt, handelte es sich um eine später vielfach zitierte, grundlegende Arbeit. Sie zeigte, dass Menschen - genau wie andere Primaten - in Gemeinschaft viel öfter lächeln, als wenn sie alleine sind, selbst wenn sie die gleiche angenehme Situation erleben.

Kraut selbst nahm den medialen Wirbel danach mit Humor und fügte das "Goldene Vlies" sogar in seinen akademischen Lebenslauf ein.
Camouflieren oder vermitteln
Aus der Sicht von Robert Kraut gibt es zwei Möglichkeiten für Wissenschaftler, um sich vor derartigen Vorwürfen der Geldverschwendung zu schützen. Die erste heißt "Camouflage" - und bedeutet sich hinter einem Wissenschaftsjargon zu verstecken, "der die Menschen täuscht".

Über einen Kollegen schreibt Kraut: "Man würde hinter seinen Studientiteln niemals vermuten, dass er kleinen Pelztieren dabei zusieht, wie sie gegenseitig ihre Genitalien beschnuppern."

Weniger selbstironisch ist Variante zwei: "Die Forschungsarbeit so einzurahmen, dass sie die Öffentlichkeit wichtig nimmt."
Drei Ratschläge zum Verhalten
Die Verhaltensforscherin Anne Petersen gibt in einem "Observer"-Kommentar weitere "Verhaltenstipps" für ihre Zunft. Jeder Angriff auf die eigene Forschung sollte ihrer Ansicht nach beantwortet werden - zumeist herrsche bei den Angreifern blankes Unverständnis vor, auf das "pädagogisch" eingegangen werden müsse.

Wichtig sei es dabei, die Initiative zu ergreifen, und sowohl dem Rest der Wissenschaftsgemeinde als auch der Öffentlichkeit zu erklären, warum die eigene Forschung sinnvoll ist.

Schließlich sei auch interdisziplinäre Arbeit von entscheidender Bedeutung: nicht nur weil sie produktiver ist, sondern weil dadurch auch andere Fächer mit dem Wert psychologischer Wissenschaften bekannt gemacht werden.
Auswirkungen auf die Zunft
Nach 13 Jahren ging auch William Proxmire "die Luft aus". 1988 verlieh er zum letzten Mal seinen berühmt-berüchtigten Preis, der im Jahr 2000 von einer Gruppe, die sich "Taxpayers for Common Sense" nennt, wieder belebt wurde.

Auswirkungen habe der Preis auf die Verhaltensforschung in jedem Fall gehabt, meint der Wissenschaftjournalist Daniel S. Greenberg im "Observer".

Zumindest was die Titel der Studien betrifft: Arbeiten wie "Über das Paarungsverhalten der Pfirsichbohrer" müssten heutzutage "Entomologische Techniken zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktivität" heißen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 11.7.06
->   The Golden Fleece Award
->   Ellen Berscheid
->   Elaine Hatfield
->   Robert Kraut
->   Anne Petersen
 
 
 
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01.01.2010