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Hirnforscher: Auch Rabenmütter werden geliebt  
  Auch Rabenmüttern ist die Liebe ihrer Kinder sicher. Sie bleibt im Endeffekt unerschütterlich, weil sie auf ganz speziellen Lernprozessen in den ersten Lebenstagen beruht, die später abgeschaltet werden.  
Hirnforscher sind jetzt den biologischen Grundlagen für das Entstehen der besonders engen emotionalen Verbindung zwischen Nachkommenschaft und den Eltern als erste Bezugspersonen auf der Spur.

"Es ist ja erstaunlich, dass bei einer ganzen Reihe von Arten die Nachkommenschaft auch erhebliche Misshandlungen durch die Betreuer toleriert", erklärte Regina Sullivan von der University of Oklahoma (USA) am Dienstag beim Europäischen Hirnforscherkongress in Wien (bis 12. Juli).
"Imprinting" anders erlernt
Dass in den ersten Lebensstunden bis -tagen zwischen dem Neugeborenen und der frühesten Bezugsperson eine besonders enge Verbindung entsteht, ist seit Jahrzehnten wissenschaftlich belegt.

Konrad Lorenz und seine Graugänse waren dafür das wohl ausdrucksstärkste Beispiel. Dieses "Imprinting" oder "Bonding" dürfte laut den neuesten Ergebnissen auf ganz spezifischen - und anders als später erfolgenden - Lernprozessen beim Neugeborenen ablaufen.
Andere Gehirnregionen sind einbezogen
Die US-Expertin, die Versuche mit Rattenbabys und ihren Muttertieren machte, bei denen die Verbindung zwischen diesen entweder unbehelligt oder sogar durch Schmerzimpulse gestört wurde: "Die Lernprozesse im Gehirn in der ersten Lebenswoche der neugeborenen Tiere geschehen in anderen Gehirnregionen als später - schon in der zweiten und dritten Lebenswoche."
Geruch als "Kontaktmittel"
Am Beginn ihres Lebens stellen Neugeborene ihren Kontakt zum Muttertier über das Geruchsorgan und die dazu gehörige Gehirnregion her. Regina Sullivan: "Das ist wichtig, um an die Zitzen heran zu kommen."

Der Überlebenstrieb mit der Notwendigkeit an Nahrung heranzukommen steht hier im Vordergrund.

Das ist so wichtig, dass das Neugeborene auch durch Schmerzsignale nicht in seiner emotionalen Bindung an das Bezugstier gehindert werden kann. Verantwortlich dafür ist die Gehirnregion Locus Coeruleus.

Zusätzlich greift laut der Wissenschaftlerin auch eine zweite Gehirnregion ein: Das Belohnungszentrum "Amygdala". Es unterdrückt negative Sinneswahrnehmungen, die mit dem Kontakt zum Objekt des bereits erfolgten "Imprinting" verbunden sind. So bleiben auch Rabenmütter geliebt.
Wechsel zwischen den Lernprozessen
Interessant ist der Wechsel zwischen verschiedenen Lernprozessen im Gehirn je nach Alter des Neugeborenen und der Situation.

Im Nest, auf das die neugeborenen Ratten in der ersten Lebenswoche in ihrem Lebensraum beschränkt sind, lernen sie primär über den Bonding-Mechanismus. Verlassen sie danach das Nest, kommt es zu Lernprozessen wie bei erwachsenen Tieren.

Die US-Expertin: "Doch wenn sie wieder ins Nest zum Muttertier zurückkommen, schalten sie wieder auf das erste System um." Ob das der Schlüssel zu der Binsenweisheit ist, dass Kinder ihren Eltern gegenüber das ganze Leben lang eben Kinder bleiben?

[science.ORF.at/APA, 11.7.06]
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Radio-Hinweis: Das Gehirn hat keine Gefühle
Embodyment, Society of Brains - Schlagworte aus der neueren Hirnforschung. Es geht nicht mehr nur darum, welche Hirnregionen wann aktiv sind. Was unser Gehirn leistet, hat viel mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben.

Michael Kerbler hat den Neurophysiologen Wolf Singer, er ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt, eingeladen, mit ihm diese brisanten Fragen zu diskutieren.
Radio Österreich 1, 13. Juli, 21:01 Uhr
->   Mehr dazu in oe1.ORF.at
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->   Fifth Forum of European Neuroscience
->   Regina Sullivan, University of Oklahoma
 
 
 
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01.01.2010