News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Experten: Wie "Kultur-Partizipation" entsteht  
  Zurzeit treffen sich 400 Wissenschaftler, Politiker und Kunstschaffende in Wien, um über die Zukunft von Kulturpolitik zu diskutieren. U. a. besprochen wird die Frage, wie man mehr Menschen an kulturellen Veranstaltungen und Prozessen teilhaben lassen kann. Eine Möglichkeit dazu sind Gratis-Angebote für ärmere Personen - was etwa in Salzburg erst vor kurzem auf Schwierigkeiten gestoßen ist.  
Kulturpass für Ärmere
Wien hat ihn bereits seit einigen Jahren, Salzburg seit sechs Monaten: den "Kulturpass". Mit ihm erhalten einkommensschwache Personen freien Eintritt zu diversen kulturellen Angeboten der Stadt.

Die erste Bilanz in Salzburg fiel eher nüchtern aus: 600 Personen haben sich den Pass bisher ausstellen lassen, 733 Eintrittskarten damit eingelöst.

Gefördert werden könnten allerdings 30.000 bis 40.000 Menschen in Salzburg - ein nicht geringer Teil bei 70.000 Armutsgefährdeten und 30.000 Menschen, die offiziellen Angaben zufolge tatsächlich arm sind.
Viele Kulturveranstalter machen nicht mit
Ein möglicher Grund für den schlechten Start in Salzburg: Viele große, traditionelle Kultureinrichtungen der Stadt (Museen, Burgen, Schlösser) machen nicht mit.

Doch auch der Pass an sich könnte für die Betroffenen ein Hemmschuh sein, das Angebot anzunehmen: Der Kulturpass ist immerhin eine Art "Aushängeschild" für die eigene Einkommensschwäche.
->   Mehr dazu in oesterreich.ORF.at (12.7.06)
Verteilung so wichtig wie Kosten
Auf diesen Umstand weist Mark Schuster, Professor für Urbane Stadtpolitik am Massachusetts Institute of Technology, gegenüber science.ORF.at hin.

Der Ausbau des Angebots und Freikarten für Besucher führen ihm zufolge nicht unbedingt zu verändertem Konsumverhalten und einer größeren Partizipation in Kunst und Kultur.

Es komme auch sehr stark auf die Verteilungswege an: "Wie wird die Information darüber verteilt? Müssen die Karten selbst abgeholt werden oder werden sie zugeschickt?", gibt Schuster zu bedenken.
...
Konferenz in Wien
Schuster ist anlässlich der "Fourth International Conference on Cultural Policy Research - iccpr 2006" in Wien, bei der sich ca. 400 Wissenschaftler, Politiker und Kunstschaffende vom 12. bis 16. Juli 2006 treffen.
->   iccpr 2006
...
Vorzeigebeispiel aus den Niederlanden
Ein Vorzeigebeispiel kommt laut Schuster in dieser Hinsicht aus den Niederlanden: Dort könne man sich einen Museumspass kaufen, der ein Jahr gültig ist und den freien Eintritt in alle öffentlichen Museen erlaubt.

Ein Freund Schusters hat ihm berichtet, dass der Pass sein komplettes Konsumverhalten verändert habe. So könnte er sich nun auch "bloß zwei Bilder während des Mittagsessens" anschauen.

Schuster plädiert für ein System mit zwei Pässen: einen für Zahlende sowie einen freien, für Menschen, die ihn sich nicht leisten können - die sich optisch aber nicht unterscheiden. Das würde bei einigen das Verhalten ändern, vermutet Schuster.
...
Kulturpass
Der "Kulturpass" ist in Wien (2003), Graz (2006) und Salzburg (2006) eingeführt worden. Dabei gewähren teilnehmende Kulturinstitutionen freien Eintritt allen Menschen, die sich einen Besuch ansonsten nicht leisten könnten, u. a. Bezieher von Sozialhilfe oder Mindestpensionen, Arbeitslose oder Flüchtlinge. Die Gratis-Karten werden über Spendengelder finanziert. Der Kulturpass wurde vom Wiener Schauspielhaus und der Armutskonferenz 2003 initiiert.
->   Mehr dazu (Armutskonferenz)
...
Daten zur Kulturpolitik: Wenig stringente Erhebung
Ausgangsbasis jeder politischen Entscheidung zur Kulturpolitik sind nach Ansicht Schusters empirische Daten. Und weil sich die öffentlichen Gelder immer stärker reduzieren, werden diese Daten immer wichtiger.

Doch bisher sind viele Erhebungen über die Partizipation laut Schuster eher wenig stringent erhoben worden. Oftmals ginge es nur darum, Zahlen zu erheben - deskriptiv und oftmals losgelöst von konkreten politischen Fragen.
Am beliebtesten: Kino und Bücher
Daten für Österreich wurden beispielsweise im Rahmen einer EU-Studie 2001 erhoben. Den höchsten "Grad kultureller Partizipation" gab es bei Lesen und Kino: Knapp 62 Prozent gaben an, im Vorjahr mindestens einmal ein Buch gelesen zu haben, 49 Prozent haben sich wenigstens einmal einen Film angesehen.

Dahinter lagen die Besuche von Sportveranstaltungen (42 Prozent), historischer Monumente (39 Prozent), Theater (30 Prozent), Museen (29 Prozent), Konzerte (20 Prozent), Büchereien (17 Prozent), Tanz und Ballet (elf Prozent) sowie Oper (sieben Prozent).
Kaum internationale Unterschiede
Auch international zeigten sich die höchsten Partizipationsraten bei Lesen und Kino (in vielen Ländern um die 60 Prozent). Die Ursachen dafür sind laut Schuster ökonomische: Die Kosten für Kino, Lesen und den Besuch von Sportveranstaltungen sind am geringsten.

Tendenziell unterscheiden sich die Partizipationsraten im Ländervergleich nicht besonders.

Rankings würden jedenfalls keine Rückschlüsse auf den Grad der Kulturalität eines Landes zulassen, so Schuster.

[science.ORF.at, 14.7.06]
->   Mark Schuster
->   MIT Department of Urban Studies and Planning
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010