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"Frauen und Wissenschaft": Eine Transgender-Kritik  
  Im Winter 2005 hat Lawrence Summers, damals Präsident der US-Elite-Universität Harvard, für Aufregung gesorgt: Er führte die mangelnde Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen von Naturwissenschaft und Technik auf Unterschiede der "inneren Fähigkeiten" der Geschlechter zurück.  
Der Neurobiologe Ben Barres kritisiert nun diese Annahme. Der Forscher weiß, wovon er spricht: 41 Jahre lang lebte er als Frau, ehe er 1997 zum Mann wurde.

Barres' Erfahrung als Frau-Mann-Transgender hat ihn zu einer völlig anderen Schlussfolgerung kommen lassen: Der Mangel an Frauen in Spitzenpositionen sei eher auf Vorurteile zurückzuführen als auf fehlende Eignung.
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Der Kommentar "Does gender matter?" von Ben Barres erschien in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature" (13. Juli 2006, Band 442, S. 133 - 136).
->   Zum Artikel
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Frauen: Geschaffen für andere zu sorgen?
Der Standpunkt von Summers erhielt unter Wissenschaftlern weit reichende Zustimmung: So schrieb etwa sein Harvardkollege Harvey Mansfield in seinem Buch "Manliness", Frauen würden sich nicht dem Wettbewerb stellen, würden Risiken ablehnen und wären zu emotional.

Der Mikrobiologe Peter Lawrence von der Cambridge University untermauerte in seinem im Jänner erschienenen Essay "Men, Women and Ghosts in Science" diese Meinung.

Während Summers von einer "unterschiedlichen Begabung im Hochleistungsbereich" sprach, will Lawrence bereits einen Unterschied in der durchschnittlichen Begabung erkennen: Männer seien biologisch prädisponiert zu systematisieren und analysieren. Frauen hingegen seien dafür geschaffen, mitzufühlen, zu kommunizieren und für andere zu sorgen.
->   Essay von Peter Lawrence (PLoS Biology)
->   Kritik an Harvard-Präsident Summers (22.2.02)
Diskriminiert als Frau, gelobt als Mann
Ben Barres, Neurobiologe an der Universität Stanford, hat diese Form der Diskriminierungen am eigenen Leib erfahren. In seinem Kommentar im britischen Magazin "Nature" beschreibt er die Herabsetzungen, mit denen er als Frau zu kämpfen hatte: Während seiner Studienzeit als junge Frau - damals hieß er Barbara, gelang es ihm als einzigem in einer fast nur von Männern besuchten Vorlesung, eine schwierige mathematische Aufgabe zu lösen. Der Lektor unterstellte ihr daraufhin, die Aufgabe sei von ihrem Freund gelöst worden.

Als Barres 1997 nach einer Testosteronbehandlung sein Leben als Mann begann, hörte er einen Wissenschaftler sagen: "Ben Barres hat heute einen hervorragenden Vortrag gehalten. Seine Arbeit ist wesentlich besser als die seiner Schwester". Gemeint war Barbara Barres - also er selbst, als er noch eine Frau war.
Soziale Faktoren halten Frauen ab
Was die meisten Frauen vom technischen oder naturwissenschaftlichen Studium abhält, seien vor allem soziale Faktoren, ist Barres überzeugt.

Es gäbe kaum Beweise dafür, dass geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich mathematischer Fähigkeiten angeboren, beziehungsweise ausschlaggebend für den mangelnden Aufstieg von Frauen in der Wissenschaft sind.

Eine Studie belegt Barres Auffassung: 20.000 mathematische Testergebnisse von Kindern im Alter von vier bis 18 Jahren wurden verglichen und konnten kaum Aufschluss über geschlechtsspezifische Unterschiede liefern.
Benachteiligung wird verleugnet
Weiters sagt der Neurobiologe, seien nur sehr wenige Männer und Frauen bereit zuzugeben, dass Diskriminierung im wissenschaftlichen Bereich ein Problem darstellt. Bemerkenswert sei auch, dass besonders Frauen, die selbst erfolgreich die Karriereleiter erklommen haben, es anderen Frauen schwer machen.

Auch würde eine Verleugnung der eigenen Benachteiligung stattfinden, schreibt Barres. Frauen würden demnach ihr eigenes Vorwärtskommen eher mit dem anderer Frauen vergleichen, als mit dem Aufstieg von männlichen Kollegen. "Ich glaube nicht, dass sich Menschen verändern können, ehe sie das Problem nicht erkannt haben", meint der Professor von der Uni Stanford.

Er selbst habe die Situation bis vor einem Jahr verleugnet, schreibt Barres, bis ihm einige Vorfälle die Augen für die Problematik geöffnet hätten. Erst da habe er erkannt, mit welchen Barrieren Frauen und Minderheiten im akademischen Bereich zu kämpfen hätten.
Vorschlag: Qualität statt Quantität bewerten
In seinem Kommentar führt der Neurobiologe einige Vorschläge an, um die Situation zu verbessern: Wissenschaftlerinnen sollten nach der Qualität ihrer Arbeit beurteilt werden, anstatt nach deren Quantität. Das würde eine Vereinbarkeit von Kinderwunsch und Karriere ermöglichen.

Auch ein ausgeglicheneres Auswahlverfahren hinsichtlich Forschungsbehilfen und Jobvergabe sei notwendig.

Frauen, die sich offen über Diskriminierung beklagen, würde häufig Irrationalität und Gefühlsbetontheit vorgeworfen, doch gerade das Gegenteil sei der Fall, schreibt Barres: Es sind hauptsächlich Männer, die aus Wut und Zorn Gewaltverbrechen begehen. "Sollte jemand eine Frau mit besonders aggressiver Fahrweise sehen, der sollte es melden und an ein Medizinjournal weiterleiten", meint er.
Blieb ganz der/die Alte
Das persönliche Fazit von Barres: Das einzige, was sich an ihm geändert hat, seitdem er ein Mann ist, sei seine Fähigkeit zu weinen.

Abgesehen vom Fehlen seiner Tränen, sei er derselbe Mensch geblieben: Seine Wissenschaft sei die selbe, seine Interessen und die Qualität seiner Arbeit habe sich nicht geändert.

Birgit Wittstock science.ORF.at, 17.7.06
->   Ben Barres - Stanford University
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01.01.2010