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Stammzelltherapien: Private Institute als Anbieter  
  Auch wenn sich der US-Präsident George W. Bush gegen eine staatliche Förderung der embryonalen Stammzellenforschung querlegt: International hat sich längst ein Grauer Markt für teils obskure "Stammzelltherapien" gebildet.  
"Manche der Unternehmen nutzen verzweifelte Patienten aus. Es handelt sich um einen furchtbaren Missbrauch", warnte der US-Spezialist Irving Weissmann von der Stanford University.

Ähnlicher Meinung ist auch der Wiener Genetiker Markus Hengstschläger von der Universitäts-Frauenklinik am AKH: "Wir sind gerade erst dabei, dieses Forschungsfeld aufzubauen. Für Therapien am Menschen ist es noch viel zu früh."
Kommerz - auf Basis von mangelhaftem Wissen
Der noch sehr theoretische Wunschtraum in Sachen Stammzellen: Ersatz von Zellen, die im Gehirn den Botenstoff Dopamin produzieren, mögliche Therapien gegen Multiple Sklerose, Morbus Alzheimer oder andere Erkrankungen, bei denen Organe oder Gewebe zu Grunde gehen.

Kommerziellen Proponenten angeblicher Stammzelltherapien sind jedenfalls schnell bei der Sache, obwohl das exakte Wissen dazu noch fehlt. Das Preventive Medicine Center in Rotterdam gibt an, mehr als 50 Erkrankungen - von neurologischen Leiden, Krankheiten des Verdauungstraktes bis hin zum Altern - mit Stammzellen zu behandeln. Das kostet rund 18.000 Euro. Mehr als 200 Patienten will man laut der US-Fachzeitschrift "Science" bereits therapiert haben.
Angeblich bis zu mehrere Tausend bereits behandelt
Advanced Cell Therapeutics (Zürich) verheißt ähnliche Therapien (bisher 600 Patienten). Das Beijing Xishan Institute for Neurogeneration and Functional Recovery in der chinesischen Hauptstadt will gar schon mehr als 1.000 Patienten behandelt haben.

In Kiew (Ukraine) wollen Mediziner von EmCell Impotenz, Diabetes, Krebs, Aids, Altersbeschwerden und Ähnliches bei mehr als 2.000 Kranken zu je 12.000 Euro beeinflusst haben.
Teilweise "Kopfwehaktivitäten" ...
Doch die Kritik ist heftig. "Unbestritten sind die Knochenmark- bzw. Stammzelltransplantationen bei Leukämien. Die werden ja seit mehr als 20 Jahren sehr erfolgreich durchgeführt. Im Grunde könnte man auch das Züchten von Hautteilen für die Versorgung von Verbrennungen als Zelltherapie bezeichnen.

Dann hat es Therapieversuche bei Herzinfarktpatienten gegeben. Da hat sich gezeigt, dass die Durchblutung gesteigert werden konnte, aber zu einer echten Gewebsregeneration kam es nicht. Die Versuche mit fetalem Gewebe bei Morbus Parkinson-Patienten waren eher 'Kopfwehaktivitäten'", sagte Hengstschläger.
... mit "Nebenwirkungen"
Bruce Dobkin, Spezialist für Rückenmarkverletzungen, überredete den chinesischen "Stammzelltherapeuten" Huang Hongyun, dass er und ein Schweizer sieben Patienten vor und nach der Injektion von Stammzellen ins Rückenmark untersucht: Fünf der Kranken kamen mit Nebenwirkungen nach Hause, drei davon hatten eine Gehirnhautentzündung, bei niemandem waren die Lähmungserscheinungen verschwunden.

Die US-Arzneimittelbehörde FDA stellte laut "Science" fest, dass das US-Unternehmen Biomark International Patienten für eine angebliche Stammzelltherapie mit falschen Versprechungen angelockt hätte.
Mehr (Langzeit-) Studien notwendig
Hengstschläger: "Jede Zelle ist wie ein Medikament und muss genau so getestet werden wie ein neues Arzneimittel. Das ist aber bisher noch nicht geschehen." Man würde einfach von ersten Experimenten alle entscheidenden Phasen der Entwicklung neuer Therapien überspringen, wenn man so etwas wie Stammzelltherapie jetzt am Menschen anwende.

Der Experte: "Nimmt man embryonale Stammzellen, hat man womöglich ein Tumorrisiko." Um das auszuschalten, müssten Langzeituntersuchungen durchführen.
Beim Menschen: "Noch nicht so weit"
Derzeit jedenfalls - so Hengstschläger - wisse man über Stammzellen und ihre möglichen Anwendungen noch viel zu wenig, um diese sicher und Erfolg versprechend anwenden zu können.

Der Genetiker: "Im Tiermodell haben solche Versuche, zum Beispiel zur Behandlung von Diabetes, schon funktioniert. Doch beim Menschen sind wir eben noch nicht so weit."

Er, Hengstschläger, sei überhaupt dafür, sich eher den schon teilweise ausdifferenzierten adulten Stammzellen bei den Forschungen zu widmen: "Je näher man dem gewünschten Endprodukt ist, desto weniger kann passieren. Vielleicht kommen wir in fünf Jahren zu den ersten derartigen Anwendungen."

[science.ORF.at/APA, 21.7.06]
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01.01.2010