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Eine Pille zur Pubertätskontrolle?  
  Bei Kindern setzt die Pubertät immer früher ein: Das macht nicht nur ihren Eltern Sorgen, sondern ist auch gesundheitlich problematisch. Mediziner denken nun darüber nach, eine Pille zu entwickeln, mit der sich die Pubertät kontrollieren lässt. Ein Gedanke, der auch viele kritische Stimmen laut werden lässt.  
Wie der "New Scientist" in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, hat sich in den vergangenen 250 Jahren die Geschlechtsreife weit nach vorne verschoben.

Während in Europa Mitte des 18. Jahrhunderts die erste Menstruation bei Mädchen etwa im Alter von 17 Jahren einsetzte, geschah das hundert Jahre später bereits mit 14 Jahren.

Gegenwärtig liegt das Alter bei durchschnittlich 13 Jahren, Tendenz weiterhin fallend.
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Der Artikel "The teen gene" von Alison Motluk ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "New Scientist" (22. Juli 2006, S. 34-38) erschienen.
->   New Scientist
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Ein Protein als Auslöser
Molekularbiologisch betrachtet schien das "Rätsel Pubertät" mit der Entdeckung des Proteins KiSS-1 und des Gens GPR54, das einen Nervenzellrezeptor produziert, gelöst zu sein.

Am Beginn einer komplexen Signalkette lösen sie die "Kettenreaktion der Pubertät" aus: Das freigesetzte Hormon Gonadoliberin (kurz GnRH von "gonadotropin releasing hormone") veranlasst die Hirnanhangdrüse zur Ausschüttung ihrer Signalstoffe.

Diese wiederum stimulieren die Hoden und Eierstöcke, Sexualhormone zu produzieren - jene Signalstoffe, die als hauptverantwortlich für die körperliche und psychische Veränderung während der Pubertät gelten.
->   Mehr dazu: Forscher entdecken "Pubertäts-Moleküle" (1.2.05)
Genetische und soziale Faktoren
Doch völlig geklärt ist das Einsetzen der Pubertät damit noch nicht: Der Auslöser für die Abgabe des Kisspeptins ist nach wie vor unbekannt, und die Antwort scheint kompliziert. Genetische und soziale Faktoren entscheiden, wann die Pubertät einsetzt.

So konnte auf der einen Seite etwa festgestellt werden, dass Mädchen meist im selben Alter in die Geschlechtsreife kommen wie zuvor ihre Mütter. Was eindeutig darauf schließen lässt, dass Gene von Bedeutung sind.

Andererseits wurde u. a. beobachtet, dass die Pubertät bei Mädchen, die eine sehr schlechte Beziehung zu ihrem Vater hatten oder gänzlich ohne ihn aufwuchsen, deutlich früher einsetzt.

Auch die Umgebung scheint eine nicht unwichtige Rolle zu spielen: Das Leben in großen Höhen verzögert die Geschlechtsreife.
Faktor Ernährung: Fettleibigkeit führt zu früher Pubertät
Ein weiterer Faktor ist die Ernährung: Auch sie kann die frühe Pubertät begünstigen. Es gibt Hinweise darauf, dass eine Verbindung zwischen dem Kisspeptin und Energiereserven besteht.

So verzögert sich etwa bei schlecht ernährten Kindern die Pubertät deutlich, ebenso bei jenen, die sich extrem sportlich betätigen.

Aber auch endokrine Schadstoffe, die unter anderem in diversen Kunststoffen enthalten sind, könnten schuld an einem unnatürlich frühen Einsetzen der Pubertät sein.
Frühreif: Pubertät im Volksschulalter
Wie der "New Scientist" berichtet, nehmen mittlerweile bereits Fälle zu, in denen Mädchen im Alter von sechs Jahren ihre erste Periode haben und Buben mit acht bereits Schamhaare wachsen.

Diese Frühreife wird sowohl von den betroffenen Kindern als auch von deren Eltern als Belastung empfunden. Nicht zuletzt, da sie auch Gesundheitsrisiken birgt: Frühreife Jugendliche erkranken später häufiger an Brust- oder Prostatakrebs.

Der Entwicklungsprozess kann bereits heute medikamentös gestoppt werden. Derzeit wird dazu das Hormon GnRH injiziert. Die Nachteile: Das Präparat ist sehr teuer. Und die langfristigen Nebenwirkungen der Behandlung sind noch lange nicht absehbar.
Soll man eingreifen?
Viele Forscher halten das Protein KiSS für das perfekte Mittel, um dem "Problem Pubertät" zukünftig Herr zu werden: Das Protein wirkt in der Signalkette eine Stufe oberhalb des GnRH.

Das macht das Kisspeptin für die Entwicklung neuer Medikamente besonders attraktiv: Es könnte die Möglichkeit eröffnen, den Prozess der Geschlechtsreife auf "natürlichere Weise" zu kontrollieren und die Gefahr falscher Dosierung wie bei der gegenwärtigen Hormontherapie zu verringern.
Geschlechtsreife auf Knopfdruck
Die Entwicklung des Proteins zu einer Pille, mit der man die Pubertät "auf Knopfdruck" steuern kann, ist derzeit aber noch Zukunftsmusik.

Trotz möglicher Vorteile hegen auch hier einige Wissenschaftler Bedenken. Der Grund: Man weiß zu wenig über die Auswirkungen, die ein Eingreifen in hormonelle Zyklen langfristig haben könnte.

Die größte Sorge gilt dabei, wie schon bei der heute angewendeten Hormontherapie, potenziellen Folgen für das Gehirn. Denn die Pubertät ist eine Phase, in der sich der gesamte Körper - also auch das Gehirn - sehr stark entwickelt.
Lernen, mit biologischer Reife umzugehen
Dass das frühzeitige Einsetzen der Pubertät ein Problem darstelle, meint auch Peter Glucksman von der Uni Auckland. Dennoch würde er einer medizinischen Lösung nur widerwillig zustimmen.

"Ich würde das Problem eher vom sozialen Standpunkt angehen. Vielleicht wäre es besser, den jungen Leuten dabei zu helfen, mit ihrer biologischen Reife umgehen zu lernen", erklärt er gegenüber dem "New Scientist".

[science.ORF.at, 24.7.06]
->   Pubertät - Wikipedia
->   Mehr zum Stichwort Pubertät in science.ORF.at:
 
 
 
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01.01.2010