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Stammzellenforschung: Reaktionen auf EU-Einigung  
  20 Länder stimmten zu, fünf dagegen, darunter auch Österreich: Der EU-Ministerrat hat sich am Montag nur mit "qualifizierter Mehrheit" auf einen Kompromiss zur Forschung mit Stammzellen menschlicher Embryonen geeinigt. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Der Bioethiker Ulrich Körtner spricht von einer "Niederlage der österreichischen Politik", der Genetiker Markus Hengstschläger äußert hingegen Verständnis.  
Die zuständigen EU-Minister hatten sich am Montag in Brüssel darauf verständigt, dass im 7. Forschungsrahmenprogramm zwar die Förderung von menschlichem Klonen, die Veränderung von menschlichem Erbgut sowie von Forschungsaktivitäten zur Herstellung menschlicher Embryonen ausgeschlossen wird.

Aber: Die Finanzierung von Projekten mit adulten oder embryonalen Stammzellen wird explizit - unter strengen Auflagen - erlaubt.
Fortsetzung der bisherigen EU-Praxis
Die EU-Kommission gab zusätzlich eine Erklärung ab, in der die Finanzierung von Projekten der "verbrauchenden Embryonenforschung", wie etwa zur Herstellung von Stammzellen, ausgeschlossen wird.

Diese Erklärung bewegte vor allem Deutschland und Italien dazu, von ihrer strikten Forderung, ein solches Förderverbot in den Text des 7. Forschungsrahmenprogramms aufzunehmen, abzugehen.

Damit wurde ein Mehrheitsbeschluss für den finnischen Kompromissvorschlag, der mehr oder weniger eine Fortsetzung der bisherigen EU-Praxis festschreibt, möglich. Das EU-Parlament muss dem Kompromiss in zweiter Lesung noch zustimmen.
Österreich dagegen
Die zuständige Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) unterstrich, dass die zusätzliche Erklärung für Österreich nicht ausreichend gewesen sei. "Wir halten das für ethisch bedenklich", sagte sie.

Österreich hat ebenso wie Polen, Litauen, Malta und die Slowakei als eines von fünf Ländern gegen den Kompromiss gestimmt.
Bioethiker Körtner: "Unkonstruktive Maximalposition"
Der Bioethik-Experte und evangelische Theologe Ulrich Körtner hält dies für "eine Niederlage der österreichischen Position".

"Das ist das Resultat einer völlig verfehlten Politik, die vor allem auf das katholische Wählerpotenzial schielt. Sie erweckt den Anschein besonderer Prinzipientreue, ist in der Sache aber nicht konstruktiv", meinte Körtner gegenüber science.ORF.at. Statt publikumswirksame Maximalstandpunkte zu vertreten, sollten besser konkrete politische Schritte gesetzt werden.

Konstruktiv wäre es in Österreich z. B., darüber nachzudenken, wo die sinnvollen Grenzen der Forschung liegen. So sei in Österreich zwar nach wie vor die Herstellung von Stammzelllinien verboten, nicht aber der Import. Österreichische Forscher könnten sich so auf europäischer Ebene für Förderungen bewerben, aber es gebe keine gesetzliche Regelung in Österreich, so Körtner.
Forderung nach Embryonenschutzgesetz
Körtner sieht prinzipiell zwei Möglichkeiten für die österreichische Maximalposition: "Entweder man verbietet jede Forschung mit embryonalen Stammzellen - dazu konnte man sich aber bisher nicht aufraffen.

Oder man muss neue gesetzliche Regelungen treffen, welche die eigenen ethischen Standards widerspiegeln. Ein entsprechendes Embryonenschutzgesetz, das den Rahmen der Forschung absteckt, gibt es trotz jahrelanger Forderungen aber nach wie vor nicht."
->   Körtner: Embryonale Stammzellen - in Österreich tabu? (2.5.02)
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Ähnliche Haltung der Bioethik-Kommission
Im Jahr 2002 hat sich die von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) eingesetzte Bioethik-Kommission nach mühevollen internen Diskussionen auf einen Kompromiss geeinigt: Die Förderung der Erforschung von Stammzellen sollte nicht generell verboten, sondern unter Einhaltung sehr strikter Bedingungen möglich sein, so die Empfehlung des rund 20-köpfigen Expertengremiums.

Diese Empfehlung entsprach in etwa dem jüngsten Kompromiss des EU-Ministerrats: Mit der Ablehnung des EU-Ministerratsbeschlusses stehe Gehrer auch im Widerspruch der von ihrem Bundeskanzler eingesetzten Bioethik-Kommission, wie Ulrich Körtner betont.
->   Stammzellforschung: Ja der Bioethik-Kommission (8.5.02)
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Genetiker Hengstschläger zeigt Verständnis
Für den Genetiker Markus Hengstschläger von der Medizin-Universität Wien ist Gehrers Haltung hingegen nachvollziehbar.

Hengstschläger auf Radio Österreich 1: "Aktuell haben wir keine Therapien, die sich aus embryonaler Stammzellenforschung ergeben, und die Risiken dieser eventuellen Therapien sind sehr hoch. Auch ethisch gibt es unzählige Bedenken dagegen."

Seiner Ansicht nach gebe es bereits "perfekte Alternativen", nämlich adulte Stammzellen, gewonnen z. B. aus Nabelschnur, Haut, Knochenmark - oder Fruchtwasser, wie sie Markus Hengstschläger selbst entdeckt hat.
Adulte Stammzellenforschung national fördern
Durch das aktuelle (sechste) EU-Forschungsrahmenprogramm werde die adulte Stammzellenorschung aus seiner Sicht derzeit ausreichend gefördert, so Markus Hengstschläger im ORF-Radio, doch fordert er mehr Unterstützung durch nationale Fördergelder ein:

"Es würde mich sehr freuen, wenn jene Länder, die - aus für mich nachvollziehbaren Gründen - keine embryonale Stammzellenforschung wollen, nun auch nationale Projekte entwickeln, um gerade die adulte Stammzellenforschung zu fördern."
"Intransparentes" Amerika
Zwischen Österreichs offizieller Stellungnahme und der US-amerikanischen Position sieht der Wiener Genetiker Hengstschläger einen großen Unterschied.

Hengstschläger: "In den USA wird die embryonale Stammzellenforschung nur von öffentlicher Hand nicht gefördert. Hingegen war die österreichische Stellungnahme, dass man das überhaupt nicht will. Die Entscheidung George W. Bushs führt lediglich zur Intransparenz, weil ja trotzdem embryonale Stammzellenforschung betrieben wird, aber halt in der Privatwirtschaft. Und das führt dazu, dass wir einfach nicht erfahren, was gemacht wird."

APA/Barbara Daser, Ö1-Wissenschaft/Lukas Wieselberg,science.ORF.at, 25.7.06
->   Der Kompromiss des EU-Ministerrats (Presseaussendung; pdf-Datei)
Aktuelles zu dem Thema in science.ORF.at:
->   EU über Stammzellen: Österreich stimmte dagegen (25.7.06)
->   Stammzelltherapien: Private Institute als Anbieter (20.7.06)
->   Bushs Veto gegen Stammzellenforschung endgültig (20.7.06)
 
 
 
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01.01.2010