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Wie der Leopard seine Flecken verändert  
  Wie der Leopard zu seinen Flecken kommt, weiß man seit dem Jahr 1952: Damals entwickelte der britische Mathematiker Alan Turing ein Modell, mit dem sich viele Musterbildungen in der Natur erklären lassen. Allerdings verändert der Leopard sein Fell im Lauf seines Lebens - ein Prozess, an dessen mathematischer Beschreibung man bisher scheiterte. Nun wiesen drei Forscher nach, dass auch die wandelbare Großkatze mit Turings Modellen zu zähmen ist.  
Der Trick dabei: Geht man davon aus, dass die Fellmusterung des Leoparden in zwei Phasen mit unterschiedlichen Regeln abläuft, dann kann das komplexe Muster durch Computer-Simulationen nachempfunden werden. Ob dieser Zweistufigkeit im Modell auch etwas Reales in der Natur entspricht, ist allerdings noch offen.
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Die Studie "Two-stage Turing model for generating pigment patterns on the leopard and the jaguar" von R. T. Liu et al. erschien in "Physical Rieview E" (Bd. 74, 011914; doi: 10.1103/PhysRevE.74.011914).
->   Abstract
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Der Schatten macht das Fell
Im Jahr 1902 veröffentlichte Dschungelbuch-Autor Rudyard Kipling den Erzählband Just So Stories, in dem sich unter anderem die Geschichte "How the leopard got its spots" befindet. Darin ging Kipling einer Frage nach, die sich alle Kinder - und vermutlich auch die meisten Erwachsenen - schon einmal gestellt haben. Nämlich die: Wie kamen Giraffe, Zebra, Leopard und Kollegen eigentlich zu ihren wunderbaren Fellmusterungen?

Kiplings Antwort: Giraffe und Zebra standen einfach lang genug im Halbschatten und die Punkte auf des Leoparden Fell sind schlichtweg Fingerabdrücke eines hilfreichen Menschen.
->   How the Leopard Got His Spots - Rudyard Kipling
Alan Turings Modell
Etwas ernster, dafür umso einflussreicher war die Antwort, die der britische Mathematiker Alan Turing genau 50 Jahre später gab: Er zeigte, dass ganz verschiedene Formen, wie etwa die Streifen des Zebras oder die Flecken der Giraffe, durch ein Modell beschrieben werden können, das lediglich zwei Ingredienzien enthält.

Turing postulierte, dass die beobachteten Musterungen durch zwei Substanzen ausgelöst werden, die er Morphogene nannte. Diese sollten erstens durch eine Oberfläche (etwa eine Tierhaut) diffundieren und zweitens miteinander reagieren, weswegen er seine Formeln auch als Reaktions-Diffusions-Gleichungen bezeichnete.
->   The Chemical Basis of Morphogenesis - Alan Turing
Zwei Substanzen im Wechselspiel
Der entscheidende Punkt dabei ist, dass ein Morphogen als Hemmsubstanz wirkt und seine eigene sowie die Produktion des anderen Morphogens unterdrückt. Bei der zweiten Substanz, dem Aktivator, ist es genau umgekehrt: Es fördert die Bildung beider Morphogene.

Dreht man nun an den verschiedenen Parametern des Systems - Diffusionsgeschwindigkeit, etwaige Grenz- und Sättigungswerte etc. -, dann kann leicht die eine oder andere Substanz in verschiedenen Bereichen der Oberfläche die Oberhand gewinnen. Bewirkt nun beispielsweise der Aktivator dunkle und der Hemmstoff helle Pigmentierung, lassen sich auf diese Weise fast beliebige Muster erzeugen. Auf jeden Fall all jene, die auch in Rudyard Kiplings Geschichte eine Rolle spielen.
Probleme mit dem Leoparden
Oder besser gesagt fast alle: Denn das Leoparden-Muster bereitete Mathematikern bislang gewisse Schwierigkeiten. Flecken oder ringartige Strukturen lassen sich mit den Turingschen Reaktions-Diffusions-Gleichungen zwar relativ einfach erzeugen. Was aber Fachleuten Kopfzerbrechen machte, war die Tatsache, dass sich das Leopardenmuster im Laufe der Zeit qualitativ verändert.

Das Fell der Jungtiere weist zunächst dunkle Flecken auf, die sich später zu Ringen entwickeln. Beim erwachsenen Tier sind die Ringe dann entweder durchbrochen - oder sie bekommen in ihrem Zentrum zusätzliche Punkte.

Diese Entwicklung lässt sich offenbar nicht in einem einstufigen Modell abbilden, wie nun Forscher der National Chung-Hsing University in Taiwan sowie der Oxford University herausfanden. Es funktioniert allerdings, wenn man den Prozess in zwei Stufen - mit jeweils unterschiedlichen Bildungsregeln - aufteilt.
Zweistufigkeit in der Natur?
Turings Vermutung, dass die Musterbildung durch die einfache Wechselwirkung chemischer Substanzen realisiert wird, wurde mittlerweile mehrfach bestätigt: Morphogene gibt es tatsächlich in der Natur.

Bei dem neuen Modell der Forscher aus Taiwan und England ist allerdings offen, ob die zweistufige Architektur etwas Reales beschreibt. Wenn das der Fall ist, dann muss es in der Entwicklung der Katzen irgendeinen biochemischen "Schalter" geben, der sich ab einem gewissen Alter selbständig umlegt und so die Bildungsregeln für die Fellmusterung verändert.

Anotida Madzvamuse von der Auburn University, der ebenfalls mit Turing-Modellen arbeitet, hält das zumindest für prinzipiell möglich: Seiner Ansicht nach könnte das etwa passieren, wenn der "Schalter" des Modells von der Größe des Tieres abhängt.

[science.ORF.at, 7.8.06]
->   Morphogen - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010