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Monets "London-Serie" über Sonnenstand datiert  
  Impressionistische Gemälde des letzten Jahrhunderts als historische Wetterkarten und Anzeiger von Luftverschmutzung? Zwei britische Forscher haben nachweisen können, dass zumindest im Fall einer Bilder-Serie von Claude Monet eine Ableitung des Atmosphärenzustands in London um 1900 möglich wäre. Denn: Vergleiche des abgebildeten Sonnenstands mit Sonnendaten aus den Jahren zeigten, dass Monet die Bilder wirklich in London malte.  
Einen "Eindruck der Wirklichkeit" abzubilden, war das Hauptanliegen der Impressionisten. Somit scheint gerade für diese Kunstströmung die Frage zulässig, was uns die Bilder über die Erscheinungsform der Umwelt sagen - und vielleicht an "Daten" mitliefern - können.

Auf die Suche nach quantitativen Informationen begaben sich Jacob Baker und John E. Thornes von der School of Geography, Earth and Environmental Sciences der University of Birmingham in den Bildern, die das Parlament in London an unterschiedlichen Tagen zeigen.

Ihre geometrischen Berechnungen konnten eigenen Angaben zufolge auch erstmals den genauen Ort lokalisieren, von dem aus der französische Maler seine Impressionen festhielt.
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Der Artikel "Solar Position within Monet's House of Parliament" von J. Baker and J. E. Thornes wird in dieser Woche als Online-Publikation in den "Proceedings of the Royal Society A: Mathematical, Physical and Engineering Sciences" (9. August 2006, doi:10.1098/rspa.2006.1754) erscheinen.
->   Abstract (sobald online)
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Londoner Nebel und seine Aufzeichnungen
Der Londoner Nebel ist ein Phänomen, das in der Vergangenheit das Bild der Stadt prägte und unzähligen Kriminalgeschichten als atmosphärische Untermalung diente - sei es dem Sherlock Holmes-Erfinder Sir Arthur Conan Doyle oder Filmregisseur Alfred Hitchcock.

Londons Nebel erreichte seine "Höchstwerte" in den späten 1880er Jahren, nahm in den Folgejahrzehnten aber eher ab. Noch einmal sehr plötzlich trat ein mehrtägiger Smog im Jahr 1952 auf, als er Tausende Tote forderte, wie Baker und Thornes berichten.

Die Aufzeichnungen über die Luftqualität um die Jahrhundertwende des 19. und 20. Jahrhunderts sind allerdings wenig umfassend - und damit auch das sichere Wissen, was wirklich zur Luftverunreinigung führte, so die britischen Forscher.

Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass der Staub und der Ruß aus den Kohleöfen hauptsächlich verantwortlich waren: An den Partikeln (Aerosolen) kondensierte die feuchte Meeresluft und ließ den berühmten Londoner Nebel entstehen.
->   Smog-Katastrophe in London 1952 - Wikipedia
Aus Bildern lernen
In die "Blüte" des Londoner Nebels fallen auch die Gemälde, die der französische Impressionist Claude Monet (1840 - 1926) malte. Seine Londoner Serie zeigt Landschaften und Licht- bzw. Atmosphärenzustände in der Zeit der Jahrhundertwende.

Warum sollten sich aus den impressionistischen Bildern, die dem Anspruch der Abbildung einer realen Erscheinungsform erlagen, nicht auch meteorologische Daten gewinnen lassen, fragten sich nun der Chemiker Baker und sein Kollege. Die Gemälde könnten so als indirekte Indikatoren für vergangenes Wetter, die Luftverschmutzung oder das Klima dienen.
Unsicherheit: Zeitlicher Bezug
Bild: EPA
C. Monet: "Londres, le Parlement, effet de soleil dans le brouillard" (1904)
Die zwei britischen Forscher untersuchten daher neun von neunzehn Bildern aus der Serie "Houses of Parliament". Dabei ging es ihnen allerdings nicht so sehr darum, welche Daten aus den Bildern gezogen werden können, sondern ob die Bilder überhaupt für eine solche Untersuchung in Frage kommen.

Denn: Immerhin war bis dato nicht ganz geklärt, inwiefern Monets Gemälde die wirklichen "Himmelsverhältnisse" abbilden - der Maler sie also nicht teilweise in seinem Atelier im französischen Giverny fertig gestellt hatte und eben nicht vor Ort.

Auch war das genaue Datum der abgebildeten Atmosphärenverhältnisse nicht genau bekannt: Auf das Datum der Signatur konnte kein Verlass sein, da Monet seine Bilder erst nach Fertigstellung datierte.
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Monet in London
Monet unternahm insgesamt drei Reisen nach London - soweit bekannt: im Herbst 1899 und in den frühen Monaten der Jahre 1900 und 1901. Unter den während dieser Zeit gemalten Bildern befindet sich auch die Serie zum "Houses of Parliament". Er begann die Serie auf seinem zweiten Besuch und malte sie am späten Nachmittag vom gegenüber liegenden St. Thomas' Hospital aus, was u. a. aus Briefen des Malers an seine Frau hervorgeht.
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Winkelrechnung und Monets Standpunkt
Die Forscher untersuchten den Sonnenstand auf den Bildern: Sie berechneten ihn mit Hilfe der Türme und Turmspitzen des Parlaments als Bezugspunkte. Winkelmesser und Lineal konnten die Forscher allerdings nicht an den Originalbildern ansetzen, sondern sie griffen auf fotografische Abbildungen zurück.

Für die Ableitung benötigten die Forscher allerdings auch den genauen Betrachtungswinkel Monets, also den Platz, an dem er die Bilder malte.

Wo genau Monet im St. Thomas' Hospital die Gemälde malte, war bislang noch nicht geklärt. Doch über die in den Bildern festgehaltene Perspektive sowie historische Aufzeichnungen konnten die Wissenschaftler den Ort des Geschehens präzisieren: Monet soll auf der Terrasse des zweiten Flurs der "Governors' Hall" im Verwaltungsbereich gemalt haben.
Sonnenstand mit Sonnenbahnen verglichen
Über Winkelberechnungen erhielten die Forscher den genauen Sonnenstand in den Bildern. Diesen verglichen sie mit Daten der Sonnenbahnen in den betreffenden Jahren über dem Parlament, die von der Astronomical Applications Department vom US Naval Observatory bereitgestellt wurden.

Daraus konnten die Briten die genauen Tage und Stunden des abgebildeten Atmosphärenzustands ableiten. Ergebnis: Die so bestimmten Daten der Gemälde liegen alle in dem Zeitraum, als Monet im Jahr 1900 und 1901 in London war - Sonnenstände des späten Nachmittags bis frühen Abends.
Monet bereitete Skizzen vor
Wie bereits aus Briefen Monets hervorgeht, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass der Maler jede Leinwand mit Skizzen des Gebäudekomplexes vom Parlament vorbereitete und dann die Atmosphäre vor Ort erfasste. Die Zeichnung der Atmosphäre und der Sonne repräsentieren einen Stand in einem Zeitraum von rund 20 bis 30 Minuten.

Die Forscher selbst wollen damit bewiesen haben, dass es Monets wirkliche Absicht war, die Lichtverhältnisse so akkurat wie nur möglich darzustellen - sie seien damit eine wirkliche visuelle Aufnahme der städtischen Atmosphäre des Viktorianischen Londons und seines Nebels. Das Phänomen konnte übrigens in den letzten Jahrzehnten über verbesserte Luftschutzmaßnahmen (Clean Air Act 1965) weitgehend eingedämmt werden.

Lena Yadlapalli, science.ORF.at, 9.8.06
->   Jacob Baker
->   US Naval Observatory
->   Claude Monet - Giverny
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01.01.2010