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Akademische Arbeiten: Bis zu 30 Prozent Plagiate
 
  Ab wann gilt eine Diplomarbeit oder Dissertation als eigenständig verfasst, ab wann als Plagiat? Diese Frage stellt sich nun wieder, seit gestern an der Universität Klagenfurt eine junge Assistentin entlassen werden musste, da sie augenscheinlich ihre Diplomarbeit aus dem Internet abgeschrieben hat. Sogar ein Verfahren zur Aberkennung des Magistergrades wurde eingeleitet.  
Das ist nicht der erste derartige Fall an Österreichs Universitäten: Fachleute schätzen, dass bis zu 30 Prozent aller Abschlussarbeiten so zustande kommen.
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Plagiatsvorwurf: Assistentin wurde entlassen
Im Plagiatsverfahren gegen eine Absolventin und mittlerweile Assistentin der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt hat Rektor Heinrich C. Mayr ein Verfahren zur Aberkennung des Titels eingeleitet. Auch ihr Dienstverhältnis wurde gelöst.
->   Mehr dazu in oesterreich.ORF.at (9.8.06)
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Aus drei Büchern ein viertes machen
Wissenschaft ist dann, wenn man aus drei Büchern ein viertes zusammenschreibt. Das ist ein altes, vielleicht ein böses Wort.

Ein bisschen was ist schon dran wahr, meint Birgit Sauer, Politikwissenschafts-Professorin an der Uni Wien und als Angehörige einer einschlägigen Ethik-Kommission Spezialistin für das Aufspüren abgeschriebener bzw. mangelhaft zitierender Diplomarbeiten und Dissertationen.

Denn zitieren muss man als Wissenschaftler korrekt - die Anmerkungen, woher man seine Informationen bekommen hat, machen den Unterschied zum gestohlenen Wissen erst aus, sagt Birgit Sauer.
Bis zu 30 Prozent abgeschrieben
Sie schätzt aus ihrer Erfahrung, wie viele Abschlussarbeiten hierzulande Plagiate sind: "Ich kann mir das gut vorstellen, dass es bei zwanzig, dreißig Prozent liegt. Aber das ist wirklich eine wilde Spekulation und es sind sicher auch nicht alle Texte zu 100 Prozent abgeschrieben."

Sauer spricht von einer "Grauzone zwischen dem, wo jemand nicht sauber zitiert und wo jemand systematisch einfach etwas abschreibt". Nur letzteres sei ein bewusster Täuschungsversuch, die Übergänge allerdings fließend.
Internet erleichtert Vorgang
Besonders betroffen sind die so genannten Buchwissenschaften, wo es eben aufs Schreiben ankommen: Geistes, Sozial-, und Wirtschaftswissenschaften, weniger die Naturwissenschaften.

Es werde in Österreich nicht so viel abgeschrieben wie in den USA, sagt Birgit Sauer, aber die Tendenz ist auch bei uns steigend. Ursache dafür ist nicht zuletzt das Internet. "Dadurch kann man viel leichter Copy und Paste machen als früher, als man etwas aus Büchern abgeschrieben hatte."
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"Open Access" als Gegenstrategie?
Im April des Vorjahrs fand in Linz ein Symposion zum Thema "Plagiate und unethische Autorenschaften in Wissenschaft und Literatur" statt. Stefan Weber, der den aktuellen Fall in Klagenfurt ins Rollen gebracht hat, schrieb damals einen Gastbeitrag darüber. Eine der Gegenstrategien, die dabei vorgeschlagen wurden, war "Open Access" - also die Veröffentlichung aller neue Texte im Internet, wodurch Plagiate offensichtlich werden und sehr simpel überführt werden können.
->   Text von Stefan Weber (18.4.05)
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Software erkennt Plagiateure
Die Abschreiber aufzuspüren ist bislang die Sache von einzelnen mehr oder weniger Freiwilligen. Einige Institute verlangen die Abgabe von Abschlussarbeiten schon in elektronischer Form, aber nicht jedes Plagiat ist mit einer simplen Internet-Suchmaschine auszuspüren, sagt Birgit Sauer:

"Es gibt Softwareprogramme, in die Textkörper eingespeist sind. Wenn man dann einen neuen Textkörper eingibt, vergleicht die Software die Texte. Dann wird es erstmal da durchgeschleust und dann wird der Prozentsatz mit anderen bereits veröffentlichen wortidentischen Übereinstimmungen festgestellt."
Bessere Betreuung würde Situation verbessern
Die beste Methode, Plagiate zu verhindern, liegt aber in den Händen der oft überlasteten Betreuer, der Professoren. Eine seriöse Betreuung hieße laut Sauer, ab einer bestimmten Anzahl von Diplomanden und Dissertanten Schluss zu machen.

"Und das heißt dann auch, wenn man sie seriös betreut, sie bringen immer wieder Texte, liefern immer was ab, sodass man den Denkfortschritt auch verfolgen kann. Die meisten Plagiate kommen vor, wenn jemand sagt, ich schreibe eine Diplomarbeit, ich komm eine halbes Jahr später wieder und lege das Ding gebunden auf den Tisch."
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Tutorial zur Erkennung von Plagiaten
Die Berliner Medieninformatik-Professorin und Plagiarismus-Expertin Debora Weber-Wulff hat ein Tutorial ins Internet gestellt, um das Erkennen von Plagiaten zu erleichtern.
->   Tutorial "Fremde Federn Finden"
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Zwischen Skrupellosigkeit und Überforderung
Nicht alle, die ihre Abschlussarbeit abschreiben, sind gleich zu behandeln, meint Birgit Sauer, die gegen ein Studierverbot für ertappte Plagiateure ist.

Die Motive seien vielfältig: Manche wollten nur skrupellos schnell durchs Studium kommen, andere würden aus momentaner Überforderung handeln.

Martin Haidinger, Ö1-Wissenschaft
science.ORF.at, 9.8.06
->   Birgit Sauer
->   Der Beitrag im Ö1-Mittagsjournal
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Plagiatsforscher wurde plagiiert (17.8.05)
->   Verlage sagen Plagiarismus den Kampf an (19.5.05)
->   Birgit Sauer: Plagiate im Zeitalter von "Copy and Paste" (19.8.03)
 
 
 
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01.01.2010