News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Aufmerksamkeit schärft die Sinne  
  Wahrnehmen bedeutet Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Dementsprechend erreicht nur ein Bruchteil der Netzhautbilder unser Bewusstsein. Umgekehrt dürfte auch das Bewusstsein die Leistungsfähigkeit der Wahrnehmung beeinflussen: Deutsche Forscher haben nun herausgefunden, dass Aufmerksamkeit offenbar die Sinne schärft.  
Ein Team um Stefan Treue vom Deutschen Primatenzentrum untersuchte bestimmte Nervenzellen von Affen, die an den ersten Schritten der Verarbeitung visueller Informationen beteiligt sind.

Dabei stellten sie fest, dass jene Zellen stärker auf visuelle Informationen aus dem Bereich des Gesichtsfeldes reagieren, dem das Tier seine Aufmerksamkeit schenkt - selbst dann, wenn es seine Blickrichtung nicht ändert.
...
Die Studie "Dynamic shifts of visual receptive fields in cortical area MT by spatial attention" von Thilo Womelsdorf et al. erschien auf der Website von "Nature Neuroscience" (13. August 2006, doi:10.1038/nn1748).
->   Abstract
...
Besser sehen ohne Augenbewegung
Spricht uns eine Person an, sehen wir zu ihr herüber. Was unsere Aufmerksamkeit erregt, wollen wir auch genau betrachten. Aber schon bevor wir die Blickrichtung wechseln, sorgen Mechanismen der Aufmerksamkeitssteuerung für eine bessere Sehfähigkeit in dem visuellen Bereich unseres Interesses, wie die Wissenschaftler um Treue nun zeigen konnten.

"Eine Verbesserung der Sehfähigkeit im Interessenbereich - auch ohne sofortige Augenbewegung - ist für die visuelle Informationsverarbeitung in einer natürlichen Umgebung von großer Bedeutung", erklärt Treue. Wenn mehrere Objekte gleichzeitig das Interesse erregen, müssen diese nicht eines nach dem anderen durch Änderung der Blickrichtung abgetastet werden.

Das visuelle System konzentriert bereits im Vorfeld die Sehschärfe auf die ihm wichtig erscheinenden Bereiche. Im laufenden Verkehr können wir so Verkehrsschilder am Straßenrand erkennen, ohne dabei den Blick von der Strasse wenden zu müssen.
Stufenweise Verarbeitung
Die Augen fangen ständig Unmengen an Informationen ein. In verschiedenen aufeinander folgenden Verarbeitungsebenen wird diese Fülle von Informationen auf ihre aktuelle Relevanz hin analysiert und reduziert. Anderenfalls wäre die Verarbeitungskapazität des Gehirns überfordert.

Deshalb wird nicht jeder Bildpunkt an die nächste Verarbeitungsebene weitergegeben, sondern zum Beispiel nur Informationen über den Verlauf von Kanten und Flächen oder über die Bewegungsrichtung verschiedener Bildbereiche. Erst nach Abstraktion der visuellen Informationen werden sie in höhere Ebenen des Gehirns weitergeleitet, wo sie als Bilder "erkannt" werden.
Aufmerksamkeit schärft die Sinne
Lange Zeit glaubte man, dass eine bewusste Entscheidung darüber, auf welches Objekt sich die Aufmerksamkeit richtet, nur in den obersten Verarbeitungsebenen getroffen wird - als Filter gewissermaßen, der nur relevante Informationen ins Bewusstsein lässt.

Treue und sein Team konnten nun erstmals überzeugend und mit einer Fülle von Messdaten zeigen, dass die Aufmerksamkeit bereits auf den unteren Bildverarbeitungsebenen zugreift und dort, im wahrsten Sinne des Wortes, die Sinne schärft.
Versuche an Affen
Für ihre Versuche trainierten die Wissenschaftler Makkaken, eine komplexe Aufgabe zu bewältigen. Die Affen richteten ihr Auge auf einen bestimmten Bildpunkt, während sie ihre Aufmerksamkeit einem anderen Reiz in der Peripherie ihres Gesichtsfeldes schenkten.

Gleichzeitig wurde die Aktivität von Nervenzellen im Areal "MT" des visuellen Kortex gemessen, einer gut untersuchten Gehirnregion, in der Zellen auf die Wahrnehmung von Bewegungen spezialisiert sind.

Je nachdem, auf welchen Bildbereich das Tier seine Aufmerksamkeit richtete, änderten die Zellen in der Region MT ihr Verhalten. Auf Bewegungen im Aufmerksamkeitsbereich reagierten die Zellen stärker als auf Bewegungen in anderen Bereichen - ohne dass das Tier dabei die Augen bewegte.

Damit konnten die Wissenschaftler zeigen, dass bewusste Prozesse die Aktivität von Zellen in der Sehrinde verändern und kontrollieren, welche Bildbereiche detailliert analysiert werden.
->   Visual cortex - Wikipedia
Versuche auf anderen Ebenen geplant
In Zukunft möchten Treue und seine Kollegen den Einfluss der Aufmerksamkeit auch auf die neuronale Aktivität von Zellen in anderen Ebenen der visuellen Verarbeitung analysieren. Daraus erhoffen sie sich einen besseren Einblick in den genauen Mechanismus der Sinnesschärfung durch die Aufmerksamkeit.

Ein genaues Verständnis der Aufmerksamkeitssteuerung hat viele mögliche Anwendungsbereiche - sowohl in der Medizin als auch in der Technik. So könnte es auf lange Sicht bei der Entwicklung von Therapien bei Aufmerksamkeitsstörungen helfen oder die Entwicklung von künstlichen Sehsystemen voranbringen.

[science.ORF.at/idw, 14.8.06]
->   Website von Stefan Treue
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010