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Warum Miesmuscheln so fest am Untergrund haften  
  Miesmuscheln kleben bekanntlich ziemlich hartnäckig auf ihrem Untergrund, wie jeder vom Urlaub am Meer weiß. Schon bisher wusste man, dass dafür spezielle Proteine verantwortlich sind. US-Forscher haben nun herausgefunden, dass eine einzige Aminosäure die Proteine zu dem macht, was sie sind: ein natürlicher Superkleber.  
Die Wissenschaftler konnten zeigen, wie die Weichtiere es schaffen, praktisch auf allen organischen und anorganischen Oberflächen zu haften, und das sogar im turbulenten und salzigen Meerwasser. Mögliche Anwendungen für medizinische Implantate klingen viel versprechend.
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Die Studie " Single-molecule mechanics of mussel adhesion" by Haeshin Lee et al. erscheint auf der Website der "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi:10.1073/pnas.0605552103).
->   Studie (sobald online veröffentlicht)
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Klebkraft als Lebensgrundlage
Es ist erstaunlich, wie wesentlich Kleben für das Überleben vieler Lebewesen ist. Manchen Tieren ermöglicht diese Fähigkeit, sich ihrem Lebensumfeld entsprechend fortzubewegen. Ohne diese Bio-Haftung könnten etwa Geckos nicht kopfüber oder sogar auf Glas laufen, ohne abzustürzen. Billionen feinster Fußhärchen, die durch elektrostatische Anziehung am Untergrund haften, sorgen für den nötigen Halt.

Mies- oder Pfahlmuscheln hingegen nutzen molekulare Kräfte zum Selbstschutz in einem extremen Umfeld. Die Hartnäckigkeit der Bindung unter den schwierigen Lebensbedingungen im Meer ist unvergleichlich, aber entscheidend für die Existenz der gesamten Art.
Eine einzige Aminosäure macht es möglich
Forschern der Northwestern University ist es nun erstmals gelungen, in einer Einzelmolekül-Studie das Verhalten der hauptverantwortlichen Aminosäure aufzuklären.

Das Haftorgan der Miesmuscheln besteht aus so genannten Byssusfäden, die das Tier selbst erzeugt. Diese ermöglichen dem Weichtier eine fixe Verankerung auf unterschiedlichsten Oberflächen. In den Fäden befinden sich mindestens fünf verschiedene klebende Proteine, die alle die Aminosäure L-Dopa (für Chemie-Beflissene: "3,4-dihydroxy-L-phenylalanin") enthalten.
->   L-Dopa - Wikipedia
Ermittlung von Bindungsstärken
Vor allem knapp an der Grenze der jeweiligen Klebefläche ist die Konzentration von L-Dopa extrem hoch. Dass dieser Stoff eine entscheidende Rolle für die Haftfähigkeit spielt, wurde schon bisher angenommen. Es war aber nicht bekannt, auf welche Weise die Substanz ihre außerordentliche Wirkung entfaltet.

Deswegen entschieden die Forscher, die Reaktion einzelner L-Dopa-Moleküle genauer unter die Lupe zu nehmen. Bei der Untersuchung wurde das Molekül auf verschiedene organische und anorganische Materialien aufgebracht. Danach wurden die Bindungsstärken mit Hilfe eines Rasterkraftmikroskops gemessen.
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Starke und schwache Bindungen
Chemischer Exkurs: Generell unterscheidet man zwischen schwachen und starken Bindungen, wobei die kovalente bzw. Atombindung zu den starken Bindungen zählt, bei welchen die Moleküle durch bindende Elektronenpaare zusammen gehalten werden.
->   Chemische Bindungen - Wikipedia
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Anpassung an unterschiedliche Materialien
Die Versuche zeigten, dass auf anorganischen metallischen Oberflächen eine nicht kovalente - also schwache - Bindung entsteht, die dennoch wesentlich stärker ist als etwa die Wasserstoffbrückenbindung. (Letztere besteht, wenn einander zwei Moleküle über ein Wasserstoffatom elektrostatisch anziehen). Dennoch bleibt sie auflösbar.

Nach einer Oxidation durch Meerwasser kann Dopa mit organischen Materialien noch stärkere - kovalente - Bindungen eingehen. Das erklärt die bemerkenswerte Vielseitigkeit der Klebkraft von Miesmuscheln und deren besondere Stärke im Meerwasser.
Zukünftige Verwendung für synthetische Implantate
Das Verständnis dieses Mechanismus soll nun auch praktische Anwendung finden, bei der Entwicklung von neuen Polymeren, indem versucht wird, die Haftfähigkeit der Muscheln nachzubilden.

Die Wissenschaftler versprechen sich viel vom Einsatz der chemischen Methode im medizinischen Bereich, zum Beispiel für Implantate, da sie Verbindungen zwischen synthetischen und biologischen Makromolekülen ermöglicht.

[science.ORF.at, 16.8.06]
->   Muscheln - Wikipedia
->   Rasterkraftmikroskop - Wikipedia
->   Northwestern University
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Das Erfolgsgeheimnis von tierischen Kletterkünstlern (17.05.04)
->   Atomare Kraft lässt Geckos an der Wand heften (27.08.02)
 
 
 
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01.01.2010