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Kreativste Forscher mit neuer Methode ermittelt  
  Häufig von Kollegen zitiert zu werden gilt in der Wissenschaft als Auszeichnung. "Zitierkartelle" und Ähnliches haben diese Form des Qualitätsmaßstabs aber in Verruf gebracht. Ein spanischer Physiker schlägt nun einen neuen Maßstab vor, der die Kreativität von Wissenschaftlern ausdrücken soll. Kreativster Physiker ist demzufolge Philip W. Anderson, ein Fachmann für kondensierte Materie, kreativster Biowissenschaftler der Neurologe Solomon H. Snyder.  
Die Idee zu dem neuen Kreativitäts-Index stammt vom Statistiker Jose Soler von der Autonomen Universität Madrid, wie die Online-Zeitschrift "physicsweb" berichtet.
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Der Artikel "A Rational Indicator of Scientific Creativity" von Jose Soler ist auf dem Preprint-Server arXiv.org (physics/0608006) erschienen.
->   Der Artikel
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Die Macht des Citation Impact
Wie oft Wissenschaftler von ihren Kollegen in seriösen Veröffentlichungen zitiert werden, gilt als Qualitätsmerkmal und entscheidet nicht selten über die Berufslaufbahn der Betroffenen.

Mehrere Instrumente messen diese für die Karriere so wichtige "Zitier-Rate" (Citation Index): U.a. wird sie mittels einer Datenbank des in Philadelphia beheimateten Institute for Scientific Information (ISI, nunmehr: Thomson Scientific) ermittelt.
Datenbank mit Zitatehäufigkeit
Das ISI hat u.a. die Datenbank "ISIHighlyCited.com" erstellt, in der Forscher aus verschiedenen Disziplinen aufgelistet werden, von denen die weltweit meisten Zitate stammen.

Der Vorschlag von Jose Soler basiert auf dieser Datenbank, geht nun aber einen Schritt weiter und versucht auch Kreativität aus ihr abzuleiten.
->   ISI Highly Cited
Kreativität: Alles, was nicht in den Fußnoten steht
Kreativität, so schreibt Soler, ist die Schöpfung neuen Wissens. Was neu und alt ist, ist für ihn keine philosophische Frage, sondern handfest sehr leicht voneinander zu unterscheiden.

Altes Wissen - die Zusammenfassung herrschender Lehrmeinungen - ist alles, was in einer Studie zitiert wird und sich in den Fußnoten wiederfindet. Neues Wissen ist kurz gesagt alles andere.

Seine Methode der Kreativitätsmessung ist deshalb sehr einfach und kennt nur zwei Größen: zum einen die Literaturverweise, die eine Studie auf frühere Veröffentlichungen macht, zum anderen die Zitierungen, die später auf die Studie verweisen. Daraus errechnet Soler einen Quotienten.
Quotient aus Verweisen und Zitaten
Nach Solers Logik bedeutet Kreativität, selbst wenig zu zitieren und später oft zitiert zu werden. Umgekehrt sind Studien von Forschern dann wenig kreativ, wenn sie viele Verweise auf frühere Arbeiten beinhalten, selbst aber danach nur selten zitiert werden.

Soler errechnet aus den einzelnen Studien eines Autors dessen "Kreativitäts-Index", wobei die Anzahl der Ko-Autoren berücksichtigt werden.

Mit diesem System hat er nun die Kreativität jener Physiker ermittelt, die im ISI-Ranking die ersten zehn Plätze belegen.
Philip W. Anderson: Der kreativste Physiker
Dabei stellte sich heraus, dass der Theoretiker für kondensierte Materie von der Princeton University, Philip Anderson, mit einem Index von 36,9 Punkten der kreativste ist.

Platz zwei belegt der Stringtheoretiker Ed Witten vom Institute for Advanced Study in Princeton (35,9), Platz drei Steven Weinberg von der University of Texas (29,3). Alle drei sind mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden.

Der durchschnittliche Kreativitätsindex der Top-Ten-Physiker betrug 18,5.
->   Philip Anderson bei ISI
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Solomon Snyder: Der kreativste Biowissenschaftler
Genau wie für die Physiker errechnete Soler auch den Kreativitäts-Index der laut ISI besten zehn Biowissenschaftler. Platz eins in Sachen Kreativität belegt hier der amerikanische Neurowissenschaftler Solomon H. Snyder von der Johns Hopkins University, vor dem Krebsforscher Bert Vogelstein vom Howard Hughes Medical Institute und dem Mikrobiologen David Baltimore, der zurzeit Präsident des California Institute of Technology ist.

Der durchschnittliche Kreativitätsindex der Life-Science-Forscher liegt bei 21,7.
->   Solomon Snyder bei ISI
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Keine Macht den Selbstzitaten und Review-Artikeln
Einen der Vorteile seiner Methode sieht Soler in einer relativen "Geringschätzung" von Review-Artikeln: Diese werden zwar häufig zitiert, beinhalten als "Überblicksartikel" aber nur selten neue Informationen. Da sie in der Regel sehr viele Verweise auf frühere Studien beinhalten, ist ihr Beitrag zur Kreativität im Sinne Solers relativ gering.

Auch die "Technik des Selbstzitats" soll durch die neue Methode weniger attraktiv werden, da sich auch diese negativ auf den Kreativitätsindex auswirkt - im Gegensatz zu den herkömmlichen Zitat-Datenbanken.
Selbst ein Top-Zitierter
Detail am Rande: Jose Soler, der nun die neue Kreativitäts-Messung vorgestellt hat, gehört selbst zum erlauchten Kreis der Top-Zitierten. Zumindest in einem seiner weiteren Spezialbereiche, der Theorie kondensierter Materie:

Das "Journal of Physics: Condensed Matter" reiht ihn mit seiner Studie "The SIESTA method for ab initio order-N materials simulation" unter die fünf meistzitierten Autoren seit 1989.

[science.ORF.at, 23.8.06]
->   Jose Soler, Autonome Universität Madrid
->   Physicsweb
->   Most Cited Papers in all of Journal of Physics: Condensed Matter
->   Philip Anderson, Princeton University
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01.01.2010