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Soziales Verhalten hat seine Grenzen  
  Teilen ist wichtig! - Das lernt jedes Kind. Dass diese soziale Norm allerdings in erster Linie der eigenen Sprach- oder Volksgruppe gilt, konnten nun Schweizer Forscher zeigen. Versuche mit indigenen Stämmen aus Papua-Neuguinea ergaben, dass Sanktionen gegenüber unsozialen Zeitgenossen nicht immer ganz gerecht ausfallen.  
Das Team um Erich Fehr von der Universität Zürich untersuchte, wie soziale Normen und Altruismus menschliche Gesellschaften formen und so die Grundlage für funktionierende Sozialgefüge bilden.
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Die Studie "Parochial altruism in humans" von Helen Bernhard et al. ist in "Nature" (Bd.442, S.912-915, 24. August 2006) erschienen.
->   Studie
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Bestrafung kann auch "gut gemeint" sein
Menschliche Gesellschaften basieren auf Arbeitsteilung und Kooperation. Soziale Normen waren entscheidend für die Evolution und Bewahrung derartiger kooperativer Strukturen. Sie beeinflussen bis heute Familienleben, Politik und Wirtschaft.

Menschliche Kooperation unterscheidet sich allerdings von anderen Arten, weil Menschen spezielle Muster des Altruismus aufweisen - wie zum Beispiel die Bestrafung von Normverletzungen.

Bestrafung bedeutet, dass Individuen ungerechtes und nicht-kooperatives Verhalten ahnden, obwohl ihnen die Bestrafung Kosten verursacht oder keinen materiellen Gewinn einbringt. Diese Bestrafung trägt dazu bei, soziale Normen, welche die Kooperation fördern, aufrecht zu erhalten.
Innerer Zusammenhalt - Abgrenzung nach außen
Evolutionäre Theorien besagen aber auch, dass der menschliche Altruismus eine gruppenspezifische Engstirnigkeit aufweist, da sie ausgrenzend gegenüber Mitgliedern anderer Gruppen ist.

Der Wettbewerb zwischen Gruppen fördert altruistische, die Gruppenzusammengehörigkeit stärkende Verhaltensregeln innerhalb der eigenen Gruppe - nicht aber altruistisches Verhalten gegenüber Mitgliedern von anderen nach Sprache, Kultur, Aussehen oder Rasse unterschiedlichen Gruppen.

In der Soziologie nennt man dieses evolutionär gesehen vermutlich sehr früh entstandene Verhaltensmuster "Parochialismus".
"Faires Teilen" als soziale Norm
 
Bild: Helen Bernhard

Im Experiment untersuchten die Wissenschaftler die Bestrafung anhand der sozialen Regel des "fairen Teilens", die in vielen ethnographischen Studien dokumentiert wird. Derartige Normen des Teilens machen Sinn, da sie Konflikten vorbeugen und den Zusammenhalt stärken.

Als Ort für die Untersuchung wählten die Wissenschaftler Papua-Neuguinea. "Papua-Neuguinea eignet sich hervorragend zur Beantwortung dieser Fragen, weil es sehr viele verschiedene - durch Gruppensolidarität gekennzeichnete - ethnische Gruppen gibt, deren Zusammenleben in erster Linie durch informelle soziale Normen geregelt ist", sagt Helen Bernhard, Mitverfasserin der Studie in einer Aussendung der Universität Zürich.

Die Menschen leben unter einfachen Bedingungen. Dies ähnelt weitaus mehr dem Leben, in welchem sich soziale Instinkte evolutionär entwickelt haben, als das in modernen europäischen Gesellschaften.
Bestrafungsspiel in wechselnden Kombinationen
Die Ngenika und die Wolimbka, zwei indigene Stämme in Papua-Neuguina, nahmen am Experiment teil. Dabei untersuchten die Wissenschaftler, in welchem Maße die Mitglieder der Stämme bereit waren, Kosten auf sich zu nehmen, um die Verletzung der Gleichheitsnorm zu bestrafen.

Für die Verhaltensstudie mussten knapp 200 Mitglieder beider Sippen ein Bestrafungsspiel durchführen. Dabei musste eine Person einen bestimmten Betrag mit einer zweiten nach eigenen Gutdünken teilen. Eine dritte Person durfte dann über das Verhalten der ersteren urteilen und diese gegebenenfalls mit einer Geldsumme abstrafen. Das Spiel wurde in wechselnden Kombinationen durchgeführt.

Es zeigte sich, dass die Menschen eine Normverletzung viel weniger bestrafen, wenn das Opfer ein Mitglied des anderen Stammes ist.

Sehr egoistische Geldbesitzer wurden in allen Konstellationen hoch bestraft, höher jedoch, wenn alle Beteiligten derselben Gruppe angehörten.

Außerdem erwarteten die Normverletzer, dass sie weniger bestraft würden, wenn der Bestrafende dem eigenen Stamm angehörte. Offensichtlich zurecht: Denn hier wird die Gerechtigkeit besonders oft verletzt.
Altruismus stabilisiert eigene Gruppe
Laut Fehr und seinen Kollegen dürfte der Altruismus in erster Linie der Stabilisierung der eigenen Gruppe dienen. Die Stammesmitglieder versuchten aber durch ihr Verhalten auch, unnötig Feindschaften zu vermeiden.

"Begünstigung der eigenen Gruppe und Gleichgültigkeit gegenüber den Mitgliedern anderer Gruppen ist vermutlich ein tief sitzender - evolutionär geprägter - Impuls, der bis in die heutige Zeit noch eine Rolle spielt.", so Urs Fischbacher, Wirtschaftswissenschafter an der Universität Zürich und Coautor.

[science.ORF.at/idw, 25.8.06]
->   Universität Zürich
->   Erich Fehr
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->   Spieltheoretische Analyse von Konflikt und Kooperation (9.12.05)
->   Kooperation: Fairness und Vertrauen wird belohnt (14.3.03)
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01.01.2010