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Teilzeitstudium gegen hohe Uni-Abbrecher-Quote  
  Obwohl es laut amtlichen Statistiken in Österreich nur "Vollzeitstudierende" gibt, müssen zwei Drittel von ihnen nebenbei arbeiten. Dies trägt maßgeblich zu der hohen Quote an Studienabbrechern und zur relativ niedrigen Zahl an Akademikern bei. Der Hochschul-Experte Hans Pechar macht in einem Gastbeitrag auf diesen Umstand aufmerksam, der in der Debatte um Bildungsreformen oft vergessen wird. Würde man den Unis und ihren Studierenden ein Teilzeit-Studium ermöglichen, wäre dies nicht nur "kundenorientierter", sondern auch sozial gerechter, so seine Argumentation.  
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Von Hans Pechar

Nicht das Duell der Kanzlerkandidaten, sondern Sachthemen haben die Wahl entschieden, sagen die Meinungsforscher. Die Bildungspolitik spielte dabei eine Schlüsselrolle. Bis tief ins bürgerliche Lager hinein reicht die Erleichterung darüber, dass Elisabeth Gehrer endlich ihren wohlverdienten Ruhestand antreten darf.

Nun also ist eine Bildungsoffensive angesagt. Werden jetzt die Weichen gestellt, um Österreich vom vorletzten Platz bei der OECD-Akademikerquote wegzubringen?

Die SPÖ hat versprochen, die Studiengebühren abzuschaffen und am offenen Hochschulzugang festzuhalten. Das freut die ÖH, aber wird die Zahl der Abschlüsse deswegen in die Höhe schnellen?
Niedrige Akademikerquote wegen Studienabbrechern
Die niedrige Akademikerquote ist ja kein Phänomen der letzten Jahre. Trotz offenem und gebührenfreiem Zugang grundelte die Absolventenquote auch in den Jahren vor der konservativen Wende am unteren Ende des OECD Spektrums.

Österreich hat deshalb so wenige Akademiker, weil so viele Studierende ihr Studium abbrechen. Eine Bildungsoffensive im Tertiärbereich muss hier ansetzen.

Das kostet Geld - mehr Lehrkräfte, Ausbau der Stipendien - aber es bedarf auch organisatorischer Reformen, die eine bessere Vereinbarkeit von Studium und Beruf ermöglichen.
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Veranstaltungs-Hinweis
Das Hochschulpolitische Forum unter dem Titel "Studium für Studenten - Traditionelle Universitäten oder kundenorientierte Bildungsangebote?" wird vom IFF - Abteilung Hochschulforschung (Uni Klagenfurt), Ö1 Wissenschaftsredaktion und "Die Zeit" veranstaltet.

Neben Hans Pechar diskutieren Arthur Mettinger, Vizerektor an der Uni Wien für Lehre und Internationales, Michael Nake, Kanzler der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg, und ein Vertreter der HochschülerInnenschaft.

Zeit: Donnerstag, 12. Oktober 2006, 18:00 Uhr
Ort: ORF KulturCafe, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien
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Berufstätige Studierende "gibt es nicht" ...
Die Probleme berufstätiger Studierender beginnen damit, dass es sie von Amts wegen gar nicht gibt. Die amtliche Statistik weist nur Vollzeitstudierende aus, unterstellt also, alle Studenten würden ihr gesamtes Zeitbudget dem Studium widmen.

Ein Teilzeitstudium, das in gut verwalteten Hochschulsystemen - vor allem des angelsächsischen Bereichs - eine Selbstverständlichkeit ist, wird als eigenständige Studienform in Österreich nicht anerkannt.
... aber zwei Drittel erwerbstätig
Als wäre die Doppelbelastung durch Studium und Beruf ein zu vernachlässigendes Sonderproblem einer kleinen Minderheit. Dem vom Bildungsministerium herausgegebenen "Bericht zur sozialen Lage der Studierenden" entnehmen wir aber, dass zwei Drittel aller Studierenden während des Semesters erwerbstätig sind.

Die Hälfte davon regelmäßig. Elf Prozent sind sogar vollerwerbstätig, 23 Prozent arbeiten zwischen elf und 35 Stunden pro Woche. Nicht die Berufstätigkeit, sondern das Vollzeitstudium ohne zeitliche Restriktion ist mittlerweile die Ausnahme.

Und doch ist nahezu das gesamte Angebot der österreichischen Universitäten auf diese Studienform zugeschnitten.
Fiktion, die zu Problemen führt
Die Fiktion, Österreich hätte nur Vollzeitstudierende, führt zu vielen Problemen. Zum einen muss man auch dann volle Studiengebühren zahlen, wenn man das universitäre Lehrangebot nur zur Hälfte nutzt.

Zweitens trübt sie die Aussagekraft der offiziellen Statistik. Zum Beispiel ist die viel beklagte lange Studiendauer zu einem erheblichen Teil auf das statistisch nicht erfasste Teilzeitstudium zurückzuführen. Die Hochschulpolitik scheint kein großes Interesse an einer transparenten Darstellung dieses Zusammenhangs zu haben.

Drittens geht von der Ignoranz gegenüber der realen Lebenswelt der Studierenden das Signal aus, die zeitlichen Unvereinbarkeiten, auf die Berufstätige andauernd treffen, seien deren Privatproblem.
Wie "Bummelstudenten" gemacht werden
Diese Botschaft sendet die staatliche Hochschulpolitik an die Universitäten und diese leiten sie an die Studierenden weiter. Dass die Einschränkungen im Zeitbudget gar nicht sichtbar gemacht werden, erschwert die Artikulation und Wahrnehmung dieser Probleme.

Die Bereitschaft der Universitäten, ihr Studienangebot und die Öffnungszeiten der Bibliotheken auf die Bedürfnisse berufstätiger Studenten abzustimmen, ist enden wollend. So zieht sich deren Studium, das schon wegen der Doppelbelastung die Mindeststudiendauer überschreitet, auf Grund organisatorischer Probleme zusätzlich in die Länge.

Zu allem Überdruss müssen sie sich dann noch das Gerede von den "Bummelstudenten" anhören. Kein Wunder, dass viele resignieren und das Studium abbrechen.
Bemühte Ansätze mancher Unis ...
Einige Universitäten bemühen sich, berufstätigen Studierenden das Leben zu erleichtern, beispielsweise indem sie ihnen eigene Kontingente bei Lehrveranstaltungen mit Engpässen und Wartelisten einräumen.

Oder durch reduzierte Anwesenheitspflicht, wenn die berufliche Unabkömmlichkeit nachgewiesen wird. Immer häufiger werden auch virtuelle Lernplattformen eingerichtet, um die Zeitkonflikte zwischen Studium und Beruf zu entschärfen.
... aber mangelnde Vorgaben der Politik
Aber die Universitäten sind ihrerseits in einer Zwickmühle: das Ministerium belohnt bei der Finanzierung eine kurze Studiendauer. Da die Berufstätigkeit dabei nicht berücksichtigt wird, haben die Universitäten derzeit kein Interesse, auf die besonderen Problemlagen dieser Studenten mit entsprechender Serviceorientierung zu antworten.

Der gute Wille einiger Studienbereichsleiter reicht nicht. Hier ist die Politik gefordert. Zu Recht steht die Einführung eines Teilzeitstudiums ganz oben auf der Wunschliste der Rektoren für die nächste Legislaturperiode.
Stipendien-Erhöhung wird Problem nicht lösen
Zu glauben, mit einer Aufstockung der Stipendien würde sich die Sache erledigen, ist eine Illusion. Die Studienbeihilfe deckt die Unterhaltskosten nur bei einer spartanischen Lebensführung und einem Konsumverzicht gegenüber allem, was über das Notwendige hinausgeht.

Studenten bilden aber den Kern der "jungen, urbanen Schichten", die meisten sind nicht bereit, zugunsten des Studiums auf einen hedonistischen Lebensstil zu verzichten. Häufig soll das Jobben die nicht lebensnotwendigen, aber doch als unentbehrlich betrachteten Extras finanzieren.

Eine bessere Vereinbarkeit von Studium und Beruf ist auch dann nötig, wenn die Stipendien kräftig erhöht werden.
Teilzeitstudium auch für gerechtere Gebühren
Für den Fall, dass sich die Abschaffung der Studiengebühren doch als schwieriger herausstellt, als es vor der Wahl den Anschein hatte - wegen eines Vetos des Koalitionspartners oder der Einsicht, dass die Summe aller Wahlversprechungen das Budget explodieren ließe - eröffnet sich hier übrigens ein elegantes Ausstiegsszenario für die SPÖ.

Die Einführung eines Teilzeitstudiums würde den Gebühren den Giftzahn ziehen: Berufstätige - die überwiegend aus sozial schwächeren Schichten kommen - müssten nicht länger mehr zahlen als die übrigen Studierenden.

[11.10.06]
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Über den Autor
Hans Pechar ist Leiter der Abteilung Hochschulforschung der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) an der Universität Klagenfurt.
->   Abteilung Hochschulforschung (IFF)
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Weitere Gastbeiträge von Hans Pechar in science.ORF.at:
->   Fünf Jahre Studiengebühren - eine Bilanz (14.6.06)
->   Hochschulzugang: Eine Chance zur Normalisierung (4.10.05)
->   50 Prozent Drop-out sind keine Lappalie (13.3.02)
 
 
 
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01.01.2010