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Hannah Arendt vor 100 Jahren geboren  
  Am 14. Oktober 1906 wurde die Politikwissenschaftlerin und Philosophin Hannah Arendt in Hannover geboren. 1933 musste sie als junge jüdische Frau aus Deutschland fliehen, 1975 starb sie nach einem Herzinfarkt als US-Bürgerin in ihrer New Yorker Wohnung.  
Bekannt wurde sie mit ihrem Ausspruch von der "Banalität des Bösen", als sie über den Jerusalemer Prozess gegen den Nazi-Schlächter Adolf Eichmann berichtete.

Das politische Denken von Arendt ist auch am 100. Jahrestag ihrer Geburt aktuell.
Denken von der Geburt bis zum Tod
In einem berühmt gewordenen TV-Interview mit Günter Gaus sagte sie 1964: "Denken beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod."

Es bedürfe "nicht nur des Kopfes, sondern auch des Herzens, das heißt der Einfühlung, der Fähigkeit, das Besondere, das Zufällige, von der Ratio nicht Vorhergesehene wahrzunehmen".
->   Transcript des Gesprächs mit Günter Gaus (RBB)
Suche einer posttotalitären Weltsicht
Im Abstand von über vierzig Jahren gelten Arendts Überlegungen zur Natur des Bösen und zu politischen Systemen generell als bleibend und auch wieder neu aktuell.

"Das Klima des Postmodernismus und der Identitätspolitik sowie die Suche nach einer nicht-ideologischen posttotalitären Weltsicht haben ihrem Denken eine erneuerte Relevanz und Vitalität verliehen", schrieb der in Jerusalem lehrende Historiker Steven Aschheim in einem Sammelband über die Eichmann-Kontroverse.

Ö1: Adolf Eichmann zu seiner inneren Einstellung
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Medien-Überblick zum 100. Geburtstag von Arendt I

Die Zeit: Seyla Benhabib - Denn sie war ein freier Mensch
NY Times: Arendt's Insights Echo Around a Troubled World
Die Welt: Arendts Aktualität ist ungebrochen
Ö1: Der Sinn von Politik
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Politik braucht Meinung der Anderen
Antonia Grunenberg, die Leiterin des Hannah-Arendt-Zentrums an der Universität Oldenburg, meinte zur Aktualität von Arendt: "Ihr Begriff von Pluralität wäre eine unglaubliche Bereicherung der Diskussion um den Islam. Sie übernimmt den amerikanischen Begriff der Pluralität und der besagt - anders als die europäische Tradition - dass ich die andere Meinung brauche."

Arendt habe die Ansicht vertreten, dass Politik vom Streit geprägt sei. "Das heißt nicht nur, dass ich sie (die andere Meinung) toleriere, sondern, dass ich sie brauche, weil sie eine Bereicherung ist," so Grunenberg.

Das gelte allerdings nicht für Radikale, die sich mit ihren Ansichten außerhalb des Gemeinwesens stellten.
Leitfigur des demokratischen Verfassungsstaats
Der Historiker Gerhard Besier hält Arendt für eine Leitfigur des demokratischen Verfassungsstaats.

"Sie erklärt den Totalitarismus und macht verständlich, warum Menschen einem solchen System auf den Leim gehen. Und zugleich zeigt sie uns, wie sich politisch Handelnde als freie Individuen in der Gemeinschaft verhalten sollen", sagte der Chef des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden.
Macht und Gehorsam "eine Versuchung"
Bild: dpa/A0001 Upi
Hannah Arendt
Besier zufolge sind sowohl die Ausübung von Macht als auch der Gehorsam gegenüber Herrschenden für Menschen eine Versuchung. "Dass Macht eine Sucht darstellen kann, mag einleuchten. Was an Gehorsam verführerisch ist, scheint zunächst unklar."

Wer Verantwortung für sein Leben abgebe und im Gegenzug das Versprechen erhalte, dass für ihn gesorgt werde, fühle sich offenbar entlastet.

"In Mittel- und Ostmitteleuropa hat diese Gehorsamsbereitschaft eine lange Tradition. Das gilt für Deutschland, aber auch für unsere östlichen Nachbarländer", sagte der studierte Psychologe und Theologe.
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Medien-Überblick zum 100. Geburtstag von Arendt, II

Freitag: Über den eigenen Schatten springen
Deutschlandfunk: Zum 100. Geburtstag von Hannah Arendt
Stuttgarter Nachrichten: "Lachen, das nichts ist als Ausdruck der Lust zu leben"
Deutsche Bundeszentrale für Politische Bildung über Hannah Arendt
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Keine Gleichsetzung von Nazis und Kommunisten
Besier warnte auch vor der Gleichsetzung totalitärer Regime mit den früheren Ostblock-Staaten. "Hannah Arendt wäre es nie eingefallen, die Herrschaft der Nazis mit der autoritären SED-Diktatur gleichzusetzen."

Wer die politischen Systeme vergleiche, müsse auch ihre Unterschiede klar benennen. "Arendt hat ausdrücklich betont, dass sie die Sowjetunion nach Stalins Tod nicht mehr für ein totalitäres System hielt. Natürlich übte sie harte Kritik an den Diktaturen des Ostblocks, aber auch an den politischen Verhältnissen in den USA der 1950er und 60er Jahre."

[science.ORF.at, 13.10.06]
->   New York Times 1963 über Arendt und ihr Eichmann-Buch (pdf-Datei)
->   oe1.ORF.at: Hannah Arendt im Portrait
->   hannaharendt.net
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Was die EU von Hannah Arendt lernen kann (17.3.06)
->   Hannah Arendt: Optimismus trotzt neoliberalem "Zwang" (2.12.05)
->   Anti-Terror-Krieg: Ein Versuch nach Hannah Arendt (10.9.02)
 
 
 
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01.01.2010