News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Bakterien nutzen Radioaktivität als Energiequelle  
  Geologen haben in einer südafrikanischen Goldmine Bakterien entdeckt, die seit Jahrmillionen in völliger Isolation überleben. Das Besondere daran: 2,8 Kilometer unter dem Erdboden gibt es keine nennenswerte Energiequelle außer natürlicher Radioaktivität. Die Mikroben haben sich offenbar mit diesen Bedingungen arrangiert: Sie nutzen die Strahlungsenergie von Uranmineralien wie andere Organismen das Sonnenlicht.  
Wie die Bakterien einst dorthin gekommen sind, ist für die Forscher um Li-Hung Lin von der Princeton University ein Rätsel. Auch in anderer Hinsicht lässt der Fund einige Mutmaßungen zu: Vielleicht gibt es auf fernen Planeten ähnliche Lebensformen?
...
Long-Term Sustainability of a High-Energy, Low-Diversity Crustal Biome" von Li-Hung Lin et al. erschien in "Science" (Bd. 314, S. 479 - 482; doi: 10.1126/science.1127376).
->   Abstract
...
Robuste Bärtierchen
Wenn es ums Überleben unter widrigen Bedingungen geht, sind Kleinheit und Einfachheit eindeutig von Vorteil. Das gilt etwa für die weniger als einen Millimeter großen Bärtierchen, die vermutlich robusteste Gruppe unter den Vielzellern. Man kann sie kochen, in flüssigem Helium (-272 °C) aufbewahren, ja sogar einem Druck von 6.000 Bar aussetzen - die Bärentierchen kümmert das alles ziemlich wenig.

Haben sie einmal ein Dauerstadium gebildet, bei dem der Wassergehalt abgesenkt und die Lebensprozesse auf ein Minimum reduziert werden, widerstehen sie so gut wie jedem schädlichen Einfluss, den man in einem Durchschnittslabor herstellen kann.
->   Bärtierchen - Wikipedia
Winzige Widerständler
Das ist beeindruckend, aber noch immer Kleinkram im Vergleich zu dem, was das Bakterium Deinococcus radiodurans zu leisten (bzw. zu erleiden) vermag. Austrocknung ist auch für diesen Überlebenskünstler kein Problem, ebenso wenig wie der Kontakt mit gentoxischen Chemikalien und ionisierender Strahlung.

Letzteres hat sich nicht von Ungefähr im Namen des Bakteriums niedergeschlagen: Deinococcus radiodurans überlebt Strahlendosen von unglaublichen 15.000 Gray (Strahlungsenergie in Joule pro Kilogramm). Zum Vergleich: Die für Menschen gerade noch vertretbare Dosis liegt bei drei bis fünf Gray.

Dementsprechend gibt es auch kaum einen Lebensraum, der für "Conan, das Bakterium", wie Deinococcus bisweilen genannt wird, ungeeignet ist. So wurde es etwa nicht nur in Fäkalien und Hausstaub, sondern auch auf bestrahlten medizinischen Instrumenten und auf Gesteinen in der Antarktis nachgewiesen.
->   Deinococcus radiodurans - Wikipedia
DNA-Reparatur in Vollendung
Woher stammt nun diese außerordentliche Resistenz gegenüber widrigen Lebensbedingungen? Zum einen hat Deinococcus das Prinzip der "back up copy", das jeder PC-Anwender kennt, im eigenen Erbgut verwirklicht. Es verfügt über mehrere Kopien desselben, die im Notfall als Korrekturvorlage für zerstörte DNA-Abschnitte dienen.

Zum zweiten arbeiten auch die Reparaturenzyme des Bakteriums mit besonderer Güte. Wie kürzlich eine Arbeitsgruppe um Miroslav Radmann von der Universität Paris herausfand, läuft die DNA-Reparatur von Deinococcus nach einem bislang unbekannten Zweischrittmodus ab. Damit kann offenbar das Erbgut selbst dann rekonstruiert werden, wenn es zuvor durch harte Strahlung in hunderte Fragmente zerlegt wurde (Nature, 10.1038/nature05160).

Einzig in Ernährungsfragen agiert Deinococcus relativ konventionell: Im Labor wächst es am besten in dicken Nährstoffsuppen unter Anwesenheit von Sauerstoff. Insofern ist der Spitzname "Conan" durchaus treffend, denn der war ja auch kein Kostverächter.
Einzelgänger tief unter der Erde
Etwas extravaganter ernährt sich hingegen ein Bakterium, das nun im Basaltgestein einer südafrikanischen Goldmine entdeckt wurde. Wie ein Team von Geowissenschaftlern in der aktuellen Ausgabe von "Science" berichtet, existieren 2,8 Kilometer unter der Erdoberfläche bakterielle Lebensgemeinschaften, die in wassergefüllten Hohlräumen überdauern.

Genetische Vergleiche mit verwandten Arten zeigen, dass sie seit mindestens drei, vielleicht sogar schon seit 25 Millionen Jahren in völliger Isolation leben. Das ist insofern bemerkenswert, als sämtliche bisher bekannten Bakteriengemeinschaften mittelbar von der Energie des Sonnenlichts abhängen.

Selbst diejenigen Mikroben, die in Meeressedimenten oder hydrothermalen Quellen vorkommen, werden durch Grund- und Meerwasser mit Molekülen versorgt, die letztlich mit Hilfe der Photosynthese entstanden sind. Bei den nun entdeckten Mikroben kann das definitiv ausgeschlossen werden.
Uran als Energiequelle
Fragt sich: Wovon leben sie in dieser Umgebung? Die zahlenmäßig dominierenden Bakterien sind so genannte Sulfatreduzierer, ernähren sich also von Sulfaten und Wasserstoff, schreiben die Geowissenschaftler um Li-Hung Lin von der Princeton University.

Die beiden Moleküle entstehen offenbar aus Wasser und Schwefelmineralien, die in der Goldmine mit natürlich vorkommendem Uran reagieren. Letztlich beziehen die Mikroben ihre lebensnotwendige Energie aus radioaktiver Strahlung - ein absolutes Novum in der Welt der Bakterien, die ja nicht gerade arm an Stoffwechselexzentrikern ist.

Ökologisch betrachtet nehmen die Sulfatreduzierer im Basaltgestein damit eine ähnliche Rolle wie Pflanzen und photosynthetisierende Bakterien auf der Erdoberfläche ein: Sie sind die einzigen im unterirdischen Mini-Ökosystem, die anorganische Energie in biologisch verwertbare Formen umwandeln können. Von ihren Stoffwechselprodukten hängen sämtliche anderen Mikrobenarten ab, die ebenfalls in den Tiefen der Goldmine hausen.
Modellfall für extratrerstrisches Leben?
Das führt zu zwei Schlussfolgerungen: Erstens muss man den Begriff der Biosphäre nun wohl erweitern - nämlich um 2,8 Kilometer in der Vertikalen. Zweitens eröffnet der Fund neuen Raum für Spekulationen über extraterrestrische Lebensformen. Denn radioaktive Energie, Wasser und Schwefelmineralien sollte es auch auf anderen Planeten geben.

Robert Czepel, science.ORF.at, 23.10.06
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Treibhausgas fressende Bakterien entdeckt (18.10.06)
->   Bisher kleinstes Erbgut entziffert: Nur 182 Gene (13.10.06)
->   Bakterien-Genom: Klein, aber rein (19.8.05)
->   Strahlungsresistent: Conan, das Bakterium (9.1.03)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010