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Urprung des Lebens: Belege für Theorie der Tiefseequellen  
  Einer bekannten Theorie zufolge ist das Leben in heißen Tiefseequellen entstanden. Deutsche Chemiker haben nun im Laborversuch nachgewiesen, dass sich in diesen Quellen Aminosäuren - die Bausteine der Proteine - bilden konnten.  
Das berichten der Chemiker Günter Wächtershäuser und seine Kollegin Claudia Huber von der TU München. Die Versuche stützen die Ansicht, dass sich die Urform des Leben aus geochemischen Prozessen in den Tiefen der Ozeane entwickelt hat.
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Die Studie "Alpha-Hydroxy and Alpha-Amino Acids Under Possible Hadean, Volcanic Origin-of-Life Conditions" von Claudia Huber und Günter Wächtershäuser ist in "Science" (Bd. 314, S. 630 - 632
doi: 10.1126/science.1130895) erschienen.
->   Abstract
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Leben - ein Definitionsproblem
Was ist das: Leben? Gar nicht so einfach zu beantworten, wie ein Blick ins Biologie-Lehrbuch zeigt: Reizbarkeit, zellulärer Aufbau, Vermehrung, Wachstum, Bewegung und allerlei anderes werden da als typische Eigenschaften des Lebens aufgezählt. Das trifft ohne Zweifel für die heute existierenden, höher entwickelten Lebewesen zu.

Wenn man sich für den Ursprung des Lebens interessiert, verstellt diese Liste auch den Blick fürs Wesentliche. Denn in der Stunde Null der Naturgeschichte war das Leben sicher noch primitiver aufgebaut und kannte weder Reizbarkeit noch Bewegung.
Zwei Schulen der Präbiotik
Im Prinzip gibt es zwei Schulen der Präbiotik, die jeweils unterschiedliche Szenarien entworfen haben. Die eine sagt: Zu Beginn entstand das genetische System, alle anderen Eigenschaften kamen dann sukzessive hinzu.

Die andere Schule geht vom Primat des Stoffwechsels aus: Demzufolge besteht die Urform des Lebens aus einem selbst erhaltenden Metabolismus, an den erst später die Genetik angekoppelt wurde.
->   Chemische Evolution - Wikipedia
Die "Ur-Pizza"
Ein wichtiger Vertreter der "Metabolism first"-Schule ist der deutsche Chemiker und Patentanwalt Günter Wächtershäuser. Er entwickelte in den 90er Jahren die Idee, dass die ersten Stoffwechselprozesse an mineralischen Oberflächen stattfanden.

"Ur-Pizza" wird sein Modell mitunter genannt, weil es davon ausgeht, dass die erste Stoffwechselprozesse von Molekülen ausgeführt wurden, die an mineralische Oberflächen gebunden waren und so in den Weiten der Ursuppe ihre Reaktionspartner fanden.

Eine besondere Rolle kommen bei diesem Modell Metall- und Schwefelverbindungen zu. Proteine, die solche Komponenten enthalten, sind auch in den heute existierenden Lebwesen sehr verbreitet und spielen eine wichtige Rolle im Energiestoffwechsel. Man geht daher davon aus, dass sie sehr ursprüngliche Formen von Proteinen darstellen.
->   Günter Wächtershäuser - Wikipedia
Suche nach den ersten Katalysatoren
Allerdings kann man ein Modell zum Ursprung des Lebens nicht einfach mit komplexen Molekülen beginnen lassen. Ein solches Modell muss vielmehr erklären, wie komplexe Moleküle entstanden sind, bevor sie in den Ur-Stoffwechsel eingriffen.

Damit kommt man zu einem Problem, das Präbiotikern aller Couleurs Kopfschmerzen bereitet: Denn biochemische Reaktionen brauchen Katalysatoren. Diese Rolle übernehmen heute Proteine. Allerdings entstehen Proteine nicht "einfach so" - sie sind ihrerseits das Produkt einer bereits elaborierten, fein abgestimmten Biochemie.

Mit anderen Worten: Es muss ursprünglich einfachere Katalysatoren gegeben haben, die später von den Proteinen abgelöst wurden.
Heiße Quellen als natürliche Reaktionsgefäße
Günter Wächtershäuser vermutet, dass Eisen-, Nickel- und Schwefel-Mineralien die Ur-Katalysatoren waren. Das ist erstens chemisch plausibel und wird zweitens durch geologische Funde gestützt. Denn in den Tiefen der Ozeane, wo die Kontinentalplatten aneinander grenzen, dringt Meerwasser durch Spalten in der Erdkruste in heiße Basalt- und Magma-Zonen ein, erhitzt sich, reichert sich mit Mineralien an und wird wieder durch kaminartige Öffnungen ausgestoßen.

"Hot vents" bzw. "hydrothermale Quellen" nennt man diese Unterwasserkamine, wo es Metalle, Mineralien und thermische Energie im Überfluss gibt. Und genau dort, vermutet man, ereigneten sich die ersten Reaktionen, die zum Ursprung des Lebens führen.
Wie Aminosäuren zueinander finden
Bei aller Plausibilität dieses Modells sind allerdings auch Beweise im Labor vonnöten. Im Jahr 1998 zeigten Wächtershäuser und seine Kollegin Claudia Huber, dass sich die Bausteine der Proteine, die Aminosäuren, tatsächlich zu größeren Molekülgruppen zusammenschließen, sofern man Eisen-, Nickel- und Schwefel-Verbindungen als Katalysatoren einsetzt (Science 281, S. 670).

Dieser Nachweis war wichtig, ließ jedoch auch Fragen offen. Denn selbst für die relativ simpel gebauten Aminosäuren gilt die Forderung, dass sie aus noch einfacheren Bauteilen entstanden sein müssen. Gefragt war also ein Experiment, das ein noch früheres Kapitel der Geschichte abbildet. Eines, das zeigt, wie aus natürlich vorkommenden Kohlenwasserstoffen Aminosäuren entstehen konnten.
Elementare Bausteine entstehen spontan
Genau dieses Kapitel haben Wächtershäuser und Huber nun nachgeliefert. Als Katalysatoren verwendeten sie die bereits bekannten Eisen- und Nickel-Verbindungen, die Reaktionen liefen bei 80 bis 120 Grad unter starkem Druck ab - Bedingungen, wie sie auch in hydrothermalen Quellen herrschen.

Innerhalb von Stunden bzw. Tagen bildeten sich aus stickstoff- und schwefelhältigen Kohlenwasserstoffen verschiedene Aminosäuren, die Bausteine der Proteine.

Zwar ist mit diesen Versuchen die Kluft zwischen Unbelebtem und Lebendigem, zwischen Geo- und Biochemie noch immer nicht vollständig geschlossen, wie Wächtershäuser und Huber einräumen. Dennoch: Sie ist nun zweifelsohne schmäler geworden.

[science.ORF.at, 30.10.06]
->   Günter Wächtershäuser - patent.de
->   TU München
 
 
 
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01.01.2010