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100 Jahre Alzheimer: Die Entdeckung einer Volkskrankheit  
  Zunächst ist Alois Alzheimer die Anerkennung versagt geblieben. Als der Psychiater am 3. November 1906 in Tübingen erstmals "Über einen eigenartigen schweren Erkrankungsprozess der Hirnrinde" referierte, werteten Kollegen seine Entdeckung als Kuriosität. 100 Jahre später hat Alzheimers Name einen Fixplatz in Medizin und Medien: Von der nach ihm benannten Hirnkrankheit sollen weltweit über 20 Millionen Menschen betroffen sein - Tendenz steigend.  
Bis heute nicht heilbar
"Alzheimer sah damals nur das Endstadium und hatte keine Ahnung von der Dynamik der Krankheit. Das ist erst in den Jahrzehnten danach erforscht worden", erklärt Mathias Jucker vom Tübinger Hertie-Institut für klinische Hirnforschung. Heilbar ist die Krankheit bis heute nicht.

"Auch wenn Alzheimer gestoppt werden könnte und für unsere Gesellschaft kein Problem mehr wäre, bleibt das alternde Gehirn ein Risikofaktor für etliche Krankheiten", so Jucker. Der Wissenschaftler betont ungeachtet steigender Fallzahlen: "Alzheimer bekommt nicht jeder, und es ist auch keine Begleiterscheinung des normalen Alterns."
Der Fall "Auguste D."
Relativ jung ist die erste Alzheimer-Patientin, Auguste Deter, als sie 1901 mit 51 Jahren in die Frankfurter "Anstalt für Irre und Epileptische" gebracht wird. Die Frau gibt an, "sich selbst verloren" zu haben. Dem Mediziner Alzheimer ist der Gedächtnisverlust der Frau ein Rätsel, weil diese bis dahin gesund war und weder erblich vorbelastet noch traumatisiert ist.

Auf 31 handgeschriebenen Seiten dokumentiert der gebürtige Unterfranke Alzheimer (1864-1915) akribisch seine Beobachtungen. Auch Gespräche mit "Auguste D." finden sich in den Unterlagen: "Wie heißen Sie?" - "Auguste." - "Familienname?" - "Auguste." - "Wie heißt ihr Mann?" - "Ich glaube Auguste."
Degeneration des Gehirns
Nach dem Tod der Patientin am 8. April 1906 "um 3/4 6 Uhr morgens" lässt sich Alzheimer Auguste Deters Gehirn schicken, um es zu untersuchen. Der Forscher entdeckt massiven Zellausfall und Ablagerungen.

Ein halbes Jahr später bilanziert er in Tübingen bei der "Versammlung Südwestdeutscher Irrenärzte": "Mein Fall Auguste D. bot klinisch ein so abweichendes Bild, dass er sich unter keine der bekannten Krankheiten einreihen ließ."

Inzwischen ist bekannt, dass sich bei der meist vom 65. Lebensjahr an einsetzenden Krankheit Nervenzellen im Gehirn allmählich zurückbilden. Viele Betroffene erkennen Angehörige und Freunde nicht mehr, haben Schwierigkeiten bei der Orientierung und müssen mit Sprachproblemen kämpfen.
"Volkskrankheit der Zukunft"
"Der Tübinger Vortrag fand nicht unbedingt die gewünschte Aufmerksamkeit", schildert Alzheimer-Biograf Konrad Maurer. 100 Jahre später hat sich das ins Gegenteil verkehrt: Von Alzheimer als "Volkskrankheit der Zukunft" ist angesichts einer alternden Gesellschaft die Rede.

Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft rechnet damit, dass die Zahl der Alzheimerkranken in Deutschland spätestens im Jahr 2040 die Zwei-Millionen-Marke überschritten haben wird. In Österreich rechnet man ab dem Jahr 2050 mit rund 150.000 Betroffenen.

Thomas Kunczik, Geschäftsführer der Hirnliga, einem Zusammenschluss von Alzheimer-Forschern, hofft auf Auftrieb für Vorbeugung und Therapie von Demenzerkrankungen durch das Jubiläum. Doch Kunczik ist auch skeptisch: "Alzheimer ist vielfach noch eine Krankheit, die Angst macht und verdrängt wird."

Jörn Bender, dpa, 2.11.06
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Kongress
Von 2. bis 5.11.2006 findet an der Universität Tübingen ein Kongress statt, bei dem die Zukunft der Alzheimer-Forschung diskutiert und das Lebenswerk von Alois Alzheimer gewürdigt wird.
->   Kongress-Website
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->   Alzheimersche Krankheit - Wikipedia
->   Alzheimer-Krankheit - netdoktor.de
->   Stichwort "Alzheimer" im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010