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Tauben und Paviane sind "Gedächtnis-Künstler"  
  Tauben und Paviane gelten als "Gedächtnis-Künstler" im Tierreich. Die Grenzen ihrer Erinnerungsleistung hat nun ein französisch-amerikanisches Forscherduo ausgelotet. Vertreter beider Arten mussten ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, sich an Bilder zu erinnern: Während sich Tauben zwischen 800 und 1.200 merken können, schaffen Paviane bis zu 5.000 Bilder.  
Es gab keine Anzeichen, dass die Erinnerungsgrenze der Primaten zu Studienende, nach mehr als drei Jahren, bereits erreicht war.

Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Tauben wie auch Paviane ein effektives Langzeitgedächtnis besitzen, schließen Joel Fagot vom CNRS Institut de Neurosciences Cognitives de la Mediterranée und sein US-Kollege Robert G. Cook aus ihrer Untersuchung.
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Der Artikel "Evidence for large long-term memory capacities in baboons and pigeons and its implications for learning and the evolution of cognition" ist als Vorab-Online-Publikation der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (6.-10. Oktober 2006, DOI: 10.1073/pnas.0605184103) erschienen.
->   Abstract
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Breite Palette von Verhaltens- ...
Vögel wie auch Primaten sind dafür bekannt, dass sie eine breite Palette von Verhaltens- und Wahrnehmungsfähigkeiten besitzen. Dafür verantwortlich soll, so lautet eine häufige Hypothese, ein leistungsfähiges Langzeitgedächtnis sein.

So können die Tiere bestimmte "externe" Ereignisse mit einem bestimmten Verhalten assoziieren. Die Zuschreibung eines Langzeitgedächtnisses wirft allerdings die Frage auf, wo seine Grenzen liegen.

Fagot und Cook wählten nun Paviane (Papio papio) und Tauben (Columba livia) als Vertreter der zwei Klassen der Vögel und Säugetiere aus, um die Grenzen des Erinnerns zu erheben.
... und Wahrnehmungsfähigkeiten
Erscheint die Paarung zunächst ungewöhnlich, so spricht einiges für einen direkten Vergleich der zwei Arten: Beide verlassen sich sehr auf das Gesehene und demonstrierten bereits in vorhergehenden Studien Erinnerungsvermögen sowie Wahrnehmungsfähigleiten, so die Autoren. Zudem gehören sie zu zwei vorherrschenden Linien der Wirbeltiere an.

Dass Paviane abstrakt denken und Ähnlichkeiten erkennen können, hatte Fagot mit seinem US-Kollegen Edward Wassermann bereits 2001 erkannt. Grundlage für ihre Tests waren bereits damals Bildertests.
->   Mehr dazu: Auch Paviane können abstrakt denken (15.10.01)
Langzeitgedächtnis-Tests
 
Bild: Joel Fagot

Und auch diesmal ging es um das Erkennen von Bildern: Fagot und Cook entwarfen einen Langzeitgedächtnis-Test. Für beide Probanden-Arten galt das gleiche Verfahren, um einen Vergleich zu ermöglichen.

Die zwei erwachsenen Test-Paviane wie auch die zwei Test-Tauben (jeweils Männchen) mussten die "Bilder-Assoziations-Tests" (picture-response associations) über drei bis fünf Jahre durchlaufen, während sich die Anzahl der Bilder, die es zu erinnern und "beantworten" galt, kontinuierlich erhöhte.

Jedem auf einem Bildschirm gezeigten Farbbild folgte ein Angebot von zwei Wahlmöglichkeiten - mit einer "richtigen" Assoziation. Die Paviane antworteten durch Betätigen eines Joysticks (s. Bild oben), die Tauben durch das Pecken mit dem Schnabel.
Formen des Erinnerns fast identisch
Die Resultate: Im Durchschnitt der letzten 75 Testssituationen gaben die zwei Paviane bei 5.910 bzw. 6.180 gezeigten Bildern zu 78 bzw. 80 Prozent die richtigen Antworten.

Nicht ganz so gut, aber für ihre Größe doch beachtlich: Die zwei Tauben erreichten 62 bzw. 68 Prozent richtige Antworten bei 3.037 bzw. 1.978 Bildern.

Die Forscher erhoben auch die "wahre" Gedächtnisleistung: Die Tauben erinnerten sich an 800 bis 1.200 Bilder, bis ihr Erinnerungsvermögen ausgeschöpft war, während die Paviane bei 3.500 bis 5.000 Bildern ihr Limit zu Untersuchungsende noch nicht erreicht zu haben schienen, schreiben Fagot und Cook.

Zudem zeigten die zwei Arten ähnliche Raten bei Erinnerungsverlust, Reaktionszeiten sowie gleiche Ergebnisse, als die Forscher die Antworten in Zusammenhang mit dem Lernzeitpunkt brachten: Die in der Testreihe sehr früh und erst jüngst erlernten Bilder konnten sich alle Probanden besser merken.
Unterschiedlich große Wahrnehmungswelten
Dass die Affen eine so viel größere Gedächtnisleistung als die Tauben haben, lässt die Forscher darauf schließen, dass sie in einer vielfältigeren Wahrnehmungswelt als die Tauben leben.

Warum bei den Tauben eine Grenze während der Tests erreicht wurde, könnte an dem Nichtvorhandensein von zusätzlichen neuronalen Schaltkreisen zur Bildaufnahme und Abspeicherung liegen, so die Forscher.

Auch spiele sicherlich die Größe des Hippocampus als Gedächtnis- und Lernzentrum eine Rolle. Zudem könnten die abgebildeten Gegenstände bei der zunehmenden Bildervielfalt zu ähnlich geworden sein - und seien daher schlechter zu merken gewesen.
Gedächtnisleistung im Wandel der Zeit
Trotz Millionen Jahren von auseinander gehender Entwicklung zeigten beide Tierarten sehr ähnliche Gedächtnisprofile (Vergessen, Reaktionszeit etc.). Damit hat sich seit der evolutionären Trennung der Säugetiere und Reptilien vor 250 Millionen Jahren vor allem die Gedächtnisleistung geändert, aber anscheinend nicht die Grundlagen des Erinnerns.

Fagot und Cook sehen in ihren Ergebnissen auch Hinweise darauf, dass die Expansion des Gedächtnisses der Ursprung der menschlichen Intelligenz gewesen sein könnte.

[science.ORF.at, 7.11.06]
->   CNRS Institut de Neurosciences Cognitives de la Mediterranée
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->   Visuelle Kategorisierung bei Tauben (4.3.02)
 
 
 
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01.01.2010