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Diskussion über anstößige Namen von Genen  
  Wer ein Gen entdeckt, darf es auch benennen. Da kann es durchaus vorkommen, dass ein kreativer Genetiker seine Entdeckung statt "Acetylglucosaminyltransferase" lunatic fringe, also "radikale Randgruppe" nennt. Das wird von offizieller Seite nicht immer als lustig empfunden - potenziell anstößige Namen sollen nun geändert werden.  
Initiative der Humangenetiker
"Wie würden sie sich fühlen, wenn ihnen jemand mitteilte, dass sie eine Mutation im Gen 'radikale Randgruppe' tragen?" Die Frage, die das Nomenklatur-Komitee des Humangenomprojekts (HUGO) auf seiner Website stellt, ist freilich eine rhetorische. Ernst gemeint ist sie dennoch.

Namen von Genen sollten laut den internationalen Nomenklatur-Richtlinien nicht anstößig sein, daher sind Wortschöpfungen wie lunatic, radical und manic fringe den gestrengen Wächtern über das Humangenom ein Dorn im Auge.
->   Should potentially offensive gene names be changed?
"Sie haben recht wilde Ideen"
Entstanden ist das Problem, weil neuartige Gene zumeist an relativ einfachen Modellorganismen - wie etwa der Fruchtfliege Drosophila - entdeckt und deren Bezeichnungen auf die menschlichen Versionen dieser Gene übertragen wurden.

"Die Fliegengenetiker sind nicht unbedingt anarchistisch, aber sie haben recht wilde Ideen, was die Namen von Genen betrifft", sagt die Vorsitzende des HUGO-Nomenklatur-Komitees, Sue Povey. Ein berühmtes Beispiel dafür ist etwa das Gen sonic hedgehog, das nach einem Video-Spiel der Firma Sega benannt wurde.
"Das wäre eine unpassende Konversation"
Das mag bei Fruchtfliegen unproblematisch sein, beim Menschen kann das mitunter für Verstimmungen sorgen. Zumindest dann, wenn die Erbfaktoren mit bestimmten Krankheitssymptomen assoziert sind. Das gilt etwa für mutierte Varianten von lunatic fringe, die eine Entwicklungsstörung des menschlichen Skeletts auslösen.

Mark Ludman von der Dalhousie University in Kanada, der an diesen Varianten forscht, möchte jedenfalls nicht in die Situation kommen, einen Patienten über den Zustand seiner "radikalen Randgruppe" aufzuklären, wie er gegenüber dem News-Portal von "Nature" betont: "Das wäre meiner Meinung nach eine unpassende Konversation."

Aus diesem Grund überlegt man nun seitens des Nomenklatur-Komitees, bei strittigen Namen nur mehr die Kurzbezeichnungen zu verwenden oder eine komplette Namensänderung vorzunehmen.
Einführung von Zungenbrechern?
Es könnte es daher passieren, dass man in Zukunft statt lunatic fringe nun "LFNG, O-fucose beta1,3-N-acetylglucosaminyltransferase" schreiben muss, wie auf der HUGO-Website vorgeschlagen wurde. Das dürfte auch niemanden glücklich machen, denn solche Wortungetüme will und kann sich wohl niemand merken.

Für die Beibehaltung der kuriosen Namen spricht zudem, dass sie zumeist recht nette Eselsbrücken beinhalten. Wie etwa bei einem Gegenspieler des Gens decapentaplegic, der ausschließlich über die mütterliche Erblinie wirkt.

Die Entdecker des Gens ließen sich offenbar von Initiativen à la "Mütter gegen Atomkraft" inspirieren und einigten sich auf mothers against decapentaplegic. Das mag politisch semikorrekt sein, eingängig ist es allemal.
Ken und Barbie ...
In den Nomenklatur-Richtlinien steht im Übrigen, dass der Name eines Gens mit dessen Funktion zu tun haben soll. Wie offensichtlich der Konnex sein muss, ist allerdings Auslegungssache.

Und hier dürften die Fliegengenetiker tatsächlich etwas lockerer vorgehen als ihre Kollegen aus der Humanabteilung: ken and barbie etwa ist für die Entwicklung der Fliegen-Genitalien notwendig. Tiere, bei denen dieses Gen beeinträchtigt ist, weisen keinerlei externe Geschlechtsteile auf - genau wie die berühmten Puppen.
... und der Sensenmann
Dass das Prinzip "name follows function" in der Genetik mitunter frei variiert wird, zeigen u.a. auch swiss cheese, das Löcher im Insektenhirn erzeugt, cheapdate, dessen Träger ziemlich schnell betrunken werden, und bruchpilot, das für die Flugtauglichkeit benötigt wird.

Und nicht zuletzt gibt es auch Tandembegriffe, die Wechselwirkungen andeuten: etwa bei den beiden Erbfaktoren grim und reaper ("Sensenmann"), die beim programmierten Zelltod zusammenarbeiten.

Bleibt zu hoffen, dass die nomenklatorische Sense des Komitees nicht allzu scharf gewetzt ist. Die Entscheidung wird demnächst auf der HUGO-Website und in anderen Gen-Datenbanken veröffentlicht.

Robert Czepel, science.ORF.at, 8.11.06
Links zum Thema:
->   Clever Drosophila gene names
->   Light Moments in the Lab
->   The wide world of Drosophila mutants
->   news@nature
 
 
 
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01.01.2010