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Transplantierte Sehzellen machen blinde Mäuse "sehend"  
  Ein internationales Forscherteam hat lichtempfindliche Sinneszellen direkt in die Netzhaut von blinden Mäusen implantiert: Die Nager gewannen durch den Eingriff wieder Lichtempfindsamkeit zurück. Die Ergebnisse zeigen einen neuen Therapieansatz bei der Heilung von Netzhautkrankheiten auf.  
Häufige Ursachen für Erblindung sind mangelhaft funktionierende oder degenerierte Sehzellen, so genannte Photorezeptoren. Diese konnten bei Mäusen mit Hilfe der Zell-Transplantation erfolgreich ersetzt werden.

Bisherige Transplantationsversuche mit Stammzellen waren an einer schlechten Integration der Zellen in die Netzhaut gescheitert. Die von Robert E. MacLaren vom University College London Institute of Ophthalmology und seinem Team verwendeten Zellen waren bereits etwas älter. Diese fügten sich bestens in die neue Umgebung ein. Fazit: Es kommt aufs Timing an.
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Der Artikel "Retinal repair by transplantation of photoreceptor precursors" ist in der Fachzeitschrift "Nature" (Bd. 444, S. 203, 9. November 2006) erschienen.
->   Abstract
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Keine körpereigene Reproduktion von Sehzellen
Der Verlust von Photorezeptoren führt zur Erblindung, die nicht mehr umkehrbar ist, denn die Sehzellen werden vom Organismus nicht mehr ersetzt. Daher bietet die Zell-Transplantation den einzigen Behandlungsweg.

Dieser kommt zugute, dass die Degeneration von Photorezeptoren die inneren neuronalen Schaltkreise nicht angreift. Neue transplantierte Sehzellen müssen also "nur" neue Kontaktstellen (Synapsen) zu den anderen Nervenzellen des "Sehsystems" entwickeln.
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Photorezeptoren
Es gibt zwei Arten von Photorezeptoren: die Stäbchen und die Zäpfchen - beides sind hoch spezialisierte Zellen, die Licht empfangen und dieses in chemische Signale umwandeln. Die Signale werden über die innere Netzhaut und den optischen Sehnerv ins Gehirn weitergeleitet, wo sie zu Bildern umgewandelt werden. In den häufigsten Fällen von Erkrankungen der Makula und Netzhaut ist es der Verlust von Photorezeptoren, der zur Erblindung führt.
->   Photorezeptoren - Wikipedia
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Mangelhafte Zellintegration bisher problematisch
Bisher scheiterten Transplantationsversuche mit Stammzellen häufig daran, dass sich die Zellen nicht richtig integrierten und sich nicht in neue Photorezeptoren ausdifferenzierten, schreiben die Forscher. Zudem verbanden sich die neuen Zellen nicht mit anderen Neuronen und konnten so die Sehfunktion nicht wiederherstellen.

Einen möglichen Grund sehen die Forscher darin, dass die Netzhaut erwachsener Säugetiere keine Ausdifferenzierung der Stammzellen in Photorezeptoren unterstützt. Der Ansatz von MacLaren und seinem Team daher: die Verwendung von etwas älteren Zellen, nämlich Vorläuferzellen, die noch nicht reif waren, aber sich soweit entwickelt hatten, dass sie zum Dasein als Stäbchen-Photorezeptoren bestimmt waren. Hier vermuteten die Wissenschaftler eine bessere "Anpassungsfähigkeit".
Extraktion und Transplantation
Bild: University of Michigan
"Markierte" Stäbchen (grün)
Die Gruppe um MacLaren extrahierte unreife Netzhautzellen von neugeborenen Mäusen zu einem Zeitpunkt, bei dem normalerweise Stäbchen-Photorezeptoren gebildet werden - und transplantierte diese in ausgewachsene Netzhäute von Mäusen.

Die Versuchsmäuse litten an Netzhautkrankheiten, die aufgrund von genetischen Defekten aufgetreten waren und fehlerhafte oder degenerierte Stäbchen umfassten.

Dabei kam ihnen eine eigens entwickelte Technik zu Hilfe, die Stäbchen zu markieren und für die Transplantation vorzubereiten.
Vorläuferzellen: Voll integrationsfähig
Die transplantierten Zellen entwickelten sich zu Stäbchen, bildeten Synapsen zu anderen Nervenzellen aus und führten letztendlich dazu, dass die Mäuse wieder verbessert Licht wahrnehmen konnten. Die Zellen integrierten sich also in die Netzhaut.

Überraschenderweise war bei der erfolgreichen Transplantation ein bestimmtes Zeitfenster zu beachten: Die Zellen mussten bereits aufgehört haben, sich zu teilen. Mäuse, die die Zellen bereitstellen, müssen zwischen drei und fünf Tage alt sein.
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Transplantationsversuche
Die Netzhaut-Transplantation hat bereits eine lange Geschichte, wie Thomas A. Reh in einem begleitenden Artikel erörtert. Bereits in den 1920er Jahren machten Augentransplantationen bei Salamandern Blinde wieder sehend. Die erste erfolgreiche Transplantation von einer Säugetier-Netzhaut erfolgte 1959 bei Ratten. Weitere Transplantationsversuche scheiterten häufig an dem Problem einer mangelhaften Anbindung an die übrigen Netzhautzellen.
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Zukunftsaussichten
Die Ergebnisse von MacLaren lassen darauf schließen, dass transplantierte Vorläuferzellen auch die Sehkraft zurückgeben könnten. Und: Es bleibt die Frage, ob Stammzellentherapien immer der beste Ansatz für den Gewebeersatz sind.

Bis die Transplantationen mit Vorläuferzellen bei Menschen getestet werden können, vergehen noch mehrere Jahre der Forschung, sagt Anand Swaroop, Co-Autor der Studie, in einer Aussendung. Außerdem sei die Wiederherstellung der Sehfähigkeit bei Mäusen nicht mit der bei Menschen gleichzusetzen. Zudem sei es bei Menschen problematisch, die altersgerechten Vorläuferzellen zu gewinnen.

[science.ORF.at, 9.11.06]
->   University College London Institute of Ophthalmology
->   Transplantierte Netzhaut lässt Erblindete sehen (28.10.04)
->   Blinde Mäuse sehen Licht (28.5.01)
 
 
 
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01.01.2010