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Erste Teile des Neandertaler-Erbguts sind entziffert  
  Zwei internationale Forscherteams haben wichtige Teile des Neandertaler-Erbguts entziffert. Erste Analysen zeigen, dass sich die evolutionären Wege des modernen Menschen und des Neandertalers vor rund einer halben Million Jahre getrennt haben.  
Eine Gruppe um Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie berichtet im britischen Fachblatt "Nature" sogar von möglichen genetischen Hinweisen auf eine Kreuzung beider Hominiden.

Eine parallel im US-Fachjournal "Science" veröffentlichte Analyse liefert dafür allerdings keine Belege.
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"Analysis of one million base pairs of Neanderthal DNA" von Richard E. Green et al. erschien in "Nature" (Bd. 444, S. 330). "Sequencing and Analysis of Neanderthal Genomic DNA" von James P. Noonan et al. erschien in "Science" (Bd. 314, S. 1113; doi: 10.1126/science.1131412).
->   Nature-Web-Focus zur Neandertaler-DNA
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Neue Methode ermöglicht Erbgut-Rekonstruktion
Bisher war eine genaue Untersuchung des Neandertalergenoms daran gescheitert, dass nicht genügend intaktes Erbmaterial zur Verfügung stand. Lediglich das separate Erbgut der Zellkraftwerke (Mitochondrien) war untersucht worden.

Die Gruppe um Pääbo nutzte nun eine neue Technik, die Mitautor Michael Ronan für die Firma "454 Life Sciences" in Branford entwickelt hat.

Sie untersuchten mehr als 70 Knochen- und Zahnproben von verschiedenen Neandertalerfunden in Europa und Asien. Sechs davon waren gut genug erhalten, um DNA zu entnehmen.
->   454 Life Sciences - Neandertal Press Kit
Kroatischer Knochenfund (fast) ohne Fremd-DNA
 
Bild: Johannes Krause, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Eine Probe aus der Vindija-Höhle in Kroatien (Bild oben) erwies sich als besonders geeignet: Diese wies kaum Verunreinigungen durch menschliche DNA auf - 99 Prozent der Erbbausteine stammten vom Neandertaler.

Mehr als eine Million DNA-Bausteine ließen sich rekonstruieren. Zum Vergleich: Das menschliche Genom besteht aus mehr als drei Milliarden Basenpaaren.
Auftrennung der Arten vor 516.000 Jahren
Der Vergleich der bislang entzifferten Neandertaler-DNA mit dem Erbgut von Mensch und Schimpanse ergab, dass sich der Neandertaler und der moderne Mensch vor rund 516.000 Jahren trennten.

Das stützt auch die Analyse einer Gruppe um Edward Rubin von Energy Joint Genome Institute in Walnut Creek (US-Staat Kalifornien) in "Science". Für die Suche nach dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Neandertaler und modernem Mensch verglichen sie gezielt einzelne Gene mit jenen des Menschen.

Rubin und seine Kollegen bestimmen damit das Alter des letzten gemeinsamen Vorfahren auf 706.000 Jahre. Vor 370.000 Jahren sei die Trennung der beiden Arten dann endgültig gewesen.
Genetischer Stammbaum
 
Bild: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Bild oben: Aus einem noch unbekannten gemeinsamen Vorfahren entwickelte sich in der Schimpansen-Linie (p) der Schimpanse; in der hominiden Linie (h) entstand der gemeinsame Urahn von Mensch und Neandertaler, von dem die Neandertaler-Linie (n) und die menschliche Linie (s) abzweigten.

Darunter ist die Anzahl unterschiedlicher Basenpaare angegeben, die sich aus der Sequenzierung der ersten Million Basenpaare ergeben. Die Zahlen in Klammern ergeben sich, wenn man die altersbedingten Schäden der Neandertaler-DNA herausrechnet.
Hinweise auf Vermischung
Aus Zahl, Art und Position der Veränderungen einzelner DNA-Bausteine im Neandertaler-Erbgut und dem Vergleich mit Mensch und Schimpanse folgert die Gruppe um Pääbo, dass es einen Gen-Austausch zwischen den Vorfahren des modernen Menschen und dem Neandertaler gegeben haben könnte.

Ein solcher Erbgut-Transfer sei dann vermutlich vor allem vom Menschen zum Neandertaler erfolgt. Die Möglichkeit eines Gen-Austausches müsse jedoch durch weitere Erbgutanalysen untersucht werden.
Gesamtes Neandertaler-Erbgut in zwei Jahren
David Lambert und Craig Millar von der Universität Auckland (Neuseeland) unterstreichen in einem begleitenden Kommentar in "Nature" (Bd. 444, S. 275) die generelle Übereinstimmung der beiden Studien.

Diese Fortschritte wiesen auf eine spannende Entwicklung hin - auf die Entzifferung des gesamten Neandertalergenoms. In zwei Jahren hoffen Pääbo und seine Kollegen, die vollständige Sequenz des Neandertalererbguts vorlegen zu können.

Damit könnten endlich die Unterschiede zwischen uns und unserem vor rund 30.000 Jahren ausgestorbenen Verwandten genau festgestellt werden, betonen Lambert und Millar.
Archäologische Befunde bestätigt
Die Archäologin Bärbel Auffermann, stellvertretende Direktorin am Neanderthal Museum in Mettmann, wertet die Tatsache als "sensationell", dass Pääbo und seine Kollegen in sehr kurzer Zeit große Teile des Erbguts rekonstruieren konnten.

Die Übereinstimmung der neuen genetischen Daten mit den bisherigen archäologischen Untersuchungen unterstütze die Bemühungen beider Disziplinen, betont Auffermann. Denn auch Archäologen datieren die Trennung von Mensch und Neandertaler auf etwa 500.000 Jahre.
Interdisziplinäre Suche nach Mosaiksteinen
Dennoch möchte Auffermann die Bedeutung der neuen Veröffentlichungen für die Neandertalerforschung nicht überbewerten. Die Erbgutanalyse sei allein nicht in der Lage, die brennendsten Fragen zu dem Frühmenschen zu klären.

Um etwa den genauen Zeitpunkt seines Aussterbens zu bestimmen, sei vor allem eine bessere Datierung der vorhandenen Knochenfunde und ein Abgleich mit Klimadaten aus dieser Zeit notwendig.

Nur alle betroffenen wissenschaftlichen Fachrichtungen gemeinsam seien in der Lage, das Neandertaler-Mosaik zusammenzusetzen.

[science.ORF.at/dpa/MPG, 16.11.06]
->   Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
->   Neandertaler - Wikipedia
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->   Homo sapiens hatte Sex mit Neandertalern (31.10.06)
->   Neandertaler lebten länger als angenommen (14.9.06)
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->   Neandertaler: Älteste humane DNA analysiert (7.6.06)
 
 
 
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01.01.2010