News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
"New Scientist": Forscher und ihre Zukunftsvisionen  
  Welche wissenschaftlichen Durchbrüche wird die Menschheit bis zum Jahr 2056 feiern können? Nobelpreisträger und andere Forscher stellen in der aktuellen Ausgabe des US-Magazins "New Scientist" ihre persönlichen Zukunftsvisionen für das nächste halbe Jahrhundert vor. Anlass ist der 50. Geburtstag des Heftes.  
Die Entdeckung einer allumfassenden Theorie zur Entstehung des Universums, das Auffinden von Spuren außerirdischen Lebens, die Einführung von intelligenten Robotern als Kooperationspartner des Menschen - das sind einige der Prophezeiungen von Wissenschaftlern, die versucht haben, die großen Errungenschaften ihrer Disziplinen der nächsten 50 Jahren zu benennen.

Berichtet der "New Scientist" seit 1956 vor allem über neue Forschungsarbeiten aus der (Natur-) Wissenschaft und Technologie, so liegt der Schwerpunkt bei den gesammelten Wortmeldungen auch in diesem Feld.
...
Wortspenden der Wissenschaftler sind unter dem Titel "Brilliant minds forecast the next 50 years" auf der Website des Magazins "New Scientist" veröffentlicht. Anlässlich des 50. Geburtstags erschien eine Spezialausgabe ("50th Anniversary Special 1956 - 2006", 18. November 2006).
->   "New Scientist"-Forecasts
...
Die Suche nach dem "letzten Gesetz"
Bereits Albert Einstein träumte von einer "Final Theory" oder der "Theorie von Allem", die alle Elementarteilchen und Naturkräfte erklärt und verknüpft. Doch Einstein wie auch vielen Kollegen misslang ihr Aufbau.

Die häufig auch als "Weltformel" bezeichnete Theorie wäre für seine Disziplin die wichtigste Entdeckung der nächsten 50 Jahre, meint der Physik-Nobelpreisträger aus dem Jahr 1979, Steven Weinberg von der University of Texas. Ob das gelingen wird, ist er sich allerdings auch nicht sicher: "Ein großer Schritt in diese Richtung wäre die Entdeckung von Partikeln wie Gauginos oder Squarks, die bei der Supersymmetrie eine Rolle spielen."

Bereits seit den 1970er Jahren schwirrt die Vorstellung über die Supersymmetrie Physikern in den Köpfen, damit verknüpft wäre eine Vereinheitlichung der Elementarteilchenphysik - sie wäre eine Grundlage für eine "Final Theory" und würde Materie- und Kraftteilchen zusammenbringen. Doch auch die Supersymmetrie konnte bisher nicht aufgespürt, die Massen der supersymmetrischen Teilchen von den Teilchenbeschleunigern nicht erfasst werden.
->   Steven Weinberg: Dreams of a Final Theory (1994)
Entstehung des Universums
Auch wenn es vorstellbar ist, dass in der Kosmologie Durchbrüche erfolgen, etwa Erkenntnisse zur Dichte dunkler Materie gewonnen oder der Nachweis kosmischer Gravitationswellen, so wird der Ursprung des Universums aber auch weiterhin im Dunkeln bleiben - bis weitere Fortschritte hin zu einer "Final Theory" gemacht worden sind, ist Weinberg überzeugt.

Und auch der theoretische Physiker und Nobelpreisträger (1999) Gerard 't Hooft von der Utrecht University setzt alle Hoffnungen auf die Entdeckung einer Theorie, "die nicht nur die Quantenmechanik und Schwerkraft vereint, sondern auch jedes einzelne Detail der Evolution des Universums vorhersagen kann".
->   Gerard 't Hooft: How to become a good theoretical physicist
Ursprungs des Lebens
Viele Forscher, die sich mit der Frage nach dem Ursprung des Lebens befassen, gehen davon aus, dass Leben nicht nur auf dem Planeten Erde existiert. Doch wie entsteht Leben? Eine Antwort könnte laut Paul Davies, Physiker von der Arizona State University, schon bald gefunden werden: "Der Trumpf wäre die Entdeckung von Leben auf einem anderen Planeten wie etwa dem Mars."

Der leichtere Weg: Ginge man davon aus, dass Leben auf Grundlage der Naturgesetzte sehr leicht entstehen kann, so könne es sich auch mehrfach auf der Erde ausgebildet haben. "Das meiste Leben ist mikrobiell - und man kann nicht nur aufgrund des Hinsehens sagen, ob ein Mikroorganismus von 'unserem' Leben oder fremdartig ist." Die Suche nach "terrestrischen Aliens" hätte gerade erst begonnen.

Für Chris McKay, Planetenwissenschaftler vom NASA Ames Research Center in Kalifornien, könnten Spuren von fremdartigem Leben etwa im Permafrost auf dem Mars versteckt sein, auf der Oberfläche des Jupitermondes Europa oder in den Geysiren des Saturnmondes Enceladus.
Die Zelle als Einheit des Lebens
"Die grundlegende Einheit des Lebens" sieht Paul Nurse, Präsident des Rockefeller University in New York City und Medizin-Nobelpreisträger aus dem Jahr 2001, in der Zelle verborgen. Es gebe bisher bereits das Werkzeug, mit dem molekulare Prozesse in den Zellen beschrieben werden können, die die Eigenschaften des Lebens offenbaren.

"Parallel wird es uns möglich sein, die logischen Systeme wie auch Informationssysteme zu analysieren, die mit den molekularen Prozessen in Verbindung stehen - und so das Verhalten von Zellen zu bestimmen. Was dabei rauskommt: ein Verständnis der Zelle als eine chemische Maschine und ein Computer" - und damit ein großer Schritt in Richtung der Beantwortung, was das Leben ist.
->   Sir Paul Nurse - Nobelpreisträger 2001
Computer-Revolution
Dass im Jahr 2056 der "Computer-Revolution" und den damit verbundenen Veränderungen ähnlich viel Bedeutung beigemessen wird wie der industriellen Revolution, ist für Eric Horvitz, Wissenschaftler bei Microsoft Research und Präsident der American Association for Artificial Intelligence, vorstellbar.

Intelligente Systeme werden das Leben der Menschen - die Arbeit, die Organisation, das Lernen usw. - vereinfachen, Übersetzungssysteme die Kooperation von Menschen verbessern. Und: "Roboter als Wissenschaftler werden helfen, neue Theorien zu entdecken und zu bestätigen", so Horvitz.

Die verstärkte Zusammenarbeit von Robotern und Menschen wird laut Rodney Brooks, Direktor des Computer Science and Artificial Intelligence Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT), gefördert, sobald Roboter Objekte klassifizieren können: "In den nächsten 50 Jahren werden wir das Problem der Objekterkennung lösen können." Wenigstens Teillösungen könnten auf Grundlage neuer Ideen entstehen, die aus einer Zusammenarbeit der Bereiche Psychophysik und "Brain Imaging" erwachsen.
Gedächtnis-Manipulation
Das menschliche Hirn ist Untersuchungsgegenstand der US-Psychologin Elisabeth Loftus von der University of California in Irvine. Ihre Prognose: Bis 2056 wird es möglich sein, die Erinnerung von Menschen zu fälschen. "Psychologen haben bereits so viel darüber gelernt, wie man falsche Erinnerungen 'einpflanzt', dass einige sagen, wir hätten bereits ein Rezept, um dies zu tun."

Ihre düster anmutende Zukunftsversion: "Im Jahr 2048 wird ein Nachfahre von George Orwell '2084' schreiben, ein Buch über eine totalitäre Gesellschaft, die Kontrolle braucht. Wenn wir die 'Falschen-Erinnerungsrezepte' erlernt haben, dann müssen wir uns Gedanken machen, wer diese Menschen kontrolliert", so Loftus. Mehr denn je müsse man daran denken, dass das Gedächtnis - wie auch Freiheit - ein zerbrechliches Gut sei.
Natur des Menschen und Religion
"Wir haben die Auszeichnung, dorthin zu gehen, wo keine Art bisher hingegangen ist. Ob wir das gut nutzen, hängt von der Natur des Menschen ab - und davon, wie wir unsere Gesellschaften organisieren", meint der Verhaltensforscher Frans de Waal der Emory University in Atlanta.

Wichtige Voraussetzung für ihn: Die Anerkennung der einen Theorie, mit der das Verständnis über die Natur des Menschen verbessert werden könne: "Es gibt nur eine solche Theorie; deshalb sage ich voraus, dass in 50 Jahren in jedem Psychologie- und Soziologie-Department ein Porträt Darwins an der Wand hängen wird."
Was bleibt: Die Ungewissheit
"Fünfzig Jahre dauert es ungefähr, dass Durchbrüche stattfinden, die zuvor nicht vorhergesehen werden konnten", so Terry Sejnowski vom Salk Institute und der University of California in San Diego. So sei etwa die Struktur der DNA 1953 entdeckt und das menschliche Genom 2003 sequenziert worden - ein Durchbruch, an den der DNA-Mitentdecker Francis Crick eigenen Angaben zufolge niemals gedacht hätte.

Es bleibt abzuwarten, was wirklich in den nächsten 50 Jahren passieren wird. Und ein Körnchen Wahrheit könnte auch in John D. Barrows (University of Cambridge) Worten zu finden sein: "Nichts wirklich Revolutionäres ist jemals vorhergesagt worden, weil es genau das ist, was es revolutionär macht."

[science.ORF.at,20.11.06]
Mehr Beiträge zum Thema "Zukunftsvisionen" in science.ORF.at:
->   Forschervisionen: Wie man Hurrikans stoppen könnte (19.10.05)
->   Zukunftsvision für ein Europa im Jahr 2025 (20.7.04)
->   Neue Visionen nach dem "Ende der Utopien" (13.4.04)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010