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"Verletzte" Roboter im Hinkeschritt  
  US-Forscher haben Roboter entwickelt, die in gewisser Hinsicht zur Selbstheilung fähig sind. Amputiert man ihnen ein Bein, dann entwickeln sie neue Bewegungsweisen, um die Behinderung auszugleichen. Das Ergebnis: Sie setzen ihre Mission im Hinkeschritt fort.  
Das berichtet ein Team um Joshua Bongard vom College of Engineering and Mathematical Sciences der University of Vermont.
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"Resilient Machines Through Continuous Self-Modeling" von Josh Bongard et al. erschien in "Science" (Bd. 314, S. 1118-21; doi: 10.1126/science.1133687).
->   Abstract
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Neue Schritte mit dem Gipsbein
Wer jemals mit einem Gipsbein durch die Gegend spaziert ist, weiß: Eingeschränkte Bewegungsfreiheit muss irgendwie kompensiert werden. Das sieht zwar meist nicht unbedingt elegant aus, aber es funktioniert: Auch Gipsbeinträger kommen - hinkend - voran.
Roboter lieben das Gleichförmige
Wir können auf Behinderungen nur deswegen flexibel reagieren, weil wir über ein inneres Körperbild verfügen, das wir gegebenenfalls an neuartige Bedingungen anpassen. Aus Sicht der Robotik keine geringe Leistung, denn: Veränderungen, Zufälliges, Unvorhergesehenes - das sind die natürlichen Feinde des Roboters.

Werden sie mit Umweltbedingungen konfrontiert, auf die sie mit ihrem festgelegten Inventar nicht sinnvoll reagieren können, verhalten sie sich wie die Fliege an der Fensterscheibe - nämlich stur inadäquat.

Noch schlimmer ist es, wenn sich nicht die Umwelt, sondern der Roboter selbst ändert. Was nützt das schönste Bewegungsprogramm, wenn der Maschine plötzlich eine der Gliedmaßen abhanden kommt? Gar nichts: In diesem Fall ist eben kreatives Humpeln angesagt - und diese Fähigkeit war bis dato echten Lebewesen vorbehalten.
NASA-Missionen brauchen autonome Maschinen
Nun haben US-Forscher erstmals Roboter mit einem Humpel-Tool ausgestattet. Der Witz an der Sache ist, dass die Maschine Verhaltenslösungen autonom entwickelt und nicht auf ein Set vorgegebener Bewegungsabläufe zurückgreift: "Es gibt einen großen Bedarf nach planetaren Rovern, die Aufgaben selbständig lösen können", beschreibt Joshua Bongard die Motivation zur vorliegenden Studie:

"Forschungen dieser Art sind insbesondere für die NASA unentbehrlich. Roboter auf fremden Planeten müssen ohne Hilfe des Menschen fähig sein, ihre Mission fortzusetzen - auch wenn sie beschädigt wurden. Unser Roboter ist imstande, ohne Kamera zu erkennen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Und er kann sich selbst beibringen, trotz einer Beschädigung weiterzugehen."
Schrittweise Verbesserung von Hypothesen
 
Bild: Science

Der von Bongard und Kollegen entwickelte Roboter (Bild oben) tut im Wesentlichen drei Dinge: Zuerst führt er eine Reihe willkürlicher Bewegungen aus, die er mit Sensoren überwacht. Aus den dabei entstehenden Daten entwirft er einige Selbstmodelle, die die Beziehung von Bewegung und "Sinneseindruck" erklären.

Im dritten Schritt testet er diese "Hypothesen" an der Realität und wählt die tauglichste aus. Nachdem die Maschine diesen Zyklus mehrmals durchläuft, werden die Selbstmodelle im Lauf der Zeit leistungsfähiger.
Roboter gleicht Behinderung aus
Auf diese Weise sollte es Im Prinzip nicht nur möglich sein, die "normale" Fortbewegung zu optimieren, sondern auch etwaige Störungen auszugleichen. Das haben Bongard und Kollegen auch experimentell nachgewiesen: Sie amputierten dem Roboter ein halbes Bein und schickten ihn erneut auf die Laborpiste.

Das Ergebnis: Die Maschine passte sich den veränderten Bedingungen an und humpelte fortan mit dem Beinstumpf durch das Labor. Wer sich das Video des Versuchs ansieht, wird zwar feststellen, dass der Roboter noch nicht ganz reif fürs Staatsopernballett ist. Aber hier geht es freilich ums Prinzip: Die Amputation legte die Maschine zumindest nicht lahm.
->   Video des Roboters
"Vorläufer von Terminator"
Die Reaktionen auf die Arbeit fallen jedenfalls einhellig positiv aus: "So etwas wie das habe ich noch nie gesehen", meint etwa Ronald Arkin vom Georgia Institute of Technology gegenüber dem Newsdienst von "Nature". Aus seiner Sicht ist damit eine neue Schwelle in der evolutionären Robotik erreicht worden.

Und der nächste Schritt in der Entwicklung zum vollständig autonomen Androiden? Vermutlich ein Netzwerk von Robotern, bei dem die Individuen voneinander lernen können, so Arkin.

Falls sie beim Lesen dieses Texts an eine Filmszene aus "Terminator" denken mussten, in der sich ein beschädigter Cyborg auf Beinstümpfen fortbewegt, befinden sie sich übrigens in guter Gesellschaft. Auch Robotik-Spezialist Arkin dachte daran: "Man könnte sagen, dass das ein Vorläufer ist."

Robert Czepel, science.ORF.at, 17.11.06
->   Josh Bongard - University of Vermont
->   Ronald Arkin - GIT
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01.01.2010